Immer mehr Menschen treten in Deutschland aus der Kirche aus: Im vergangenen Jahr waren es mehr als eine halbe Million, so viele wie nie zuvor. Bei den Katholiken kehrten 272.771 Menschen der Kirche den Rücken, 26 Prozent mehr als 2018. Bei den Protestanten traten etwa 270.000 Menschen aus, rund 22 Prozent mehr als im Vorjahr.
Damit gibt es jetzt in Deutschland noch offiziell 22,6 Millionen Katholiken und 20,7 Millionen Protestanten, wie die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in Bonn und die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover mitteilten.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagte, an den Zahlen gebe es "nichts schönzureden". Bisweilen seien "mutige Veränderungen" erforderlich, und eben deshalb hätten die deutschen Katholiken den Reformprozess Synodaler Weg eingeleitet.
"Die aktuellen Zahlen bedrücken uns", sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. "Die Kirche will sich verändern und tut dies jetzt schon." So seien während der Coronakrise neue digitalisierte Formate entstanden, die gut ankommen würden.
Überhaupt sehe er in der Pandemie auch eine Chance: "Viele Menschen machen jetzt die Erfahrung, dass die plötzliche Unterbrechung des bisherigen Lebens und die Ungewissheit, wie es weitergehen wird, schwer auszuhalten ist. Der Glaube gibt Kraft dazu."
Im laufenden Jahr erwartet die EKD aufgrund der Pandemie allerdings einen deutlichen Rückgang der Kirchensteuereinnahmen von - je nach wirtschaftlicher Entwicklung - zehn bis 25 Prozent. Auch die katholische Kirche rechnet mit deutlich weniger Kirchensteuereinnahmen wegen der Coronakrise.
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller wies darauf hin, dass die Austrittswelle unabhängig von aktuellen Ereignissen erfolge: "Ohne erkennbare Skandale verliert die katholische Kirche jegliche Bindungskraft, und es wirkt so, als müsse ein Katholik eher begründen, warum er in seiner Kirche bleibt", sagte Schüller. Insbesondere Frauen, die bisher in Pfarreien engagiert mitgearbeitet hätten, zögen zunehmend die Konsequenzen aus einer fehlenden Bereitschaft zur Veränderung.
Eine Studie des katholischen Bistums Essen hatte 2017 als Hauptgrund für einen Austritt Entfremdung oder fehlende Bindung zur Kirche festgestellt. Auch die Kirchensteuer spiele eine Rolle, sei aber eher Auslöser als Ursache.
spiegel
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