ntv.de: In der Studie wird erwähnt, dass die Lufthansa 92 Tochtergesellschaften in Schattenfinanzzentren hat. Ist das üblicher ein Wert in der Welt großer Unternehmen?
Konrad Duffy: Das ist eine hohe Zahl. Sie könnte legitimiert werden, wenn die Lufthansa transparent aufzeigt, wieso das so ist. Wir finden, der Wert wirft Fragen auf: Beim genaueren Hinschauen hat sich der Verdacht auf Steuer getriebene Unternehmensstrukturen immer nur erhärtet.
Allein zehn dieser Töchter befinden sich auf Malta. Wirft das auch Fragen auf?
Malta ist ein Land in der EU, das problematisch heraussticht. Dort gibt es viele Töchter von Dax-Unternehmen. Vor ein paar Jahren hat die EU-Kommission eine transparente Aufschlüsselung von Finanzinstituten gefordert. Da haben wir gesehen, dass auch die Deutsche Bank auf Malta sehr viele Gewinne bei einer niedrigen Anzahl an Mitarbeitern macht - wie die Lufthansa. Das ist ein Indiz, dass es sich nicht um eine übliche Arbeitsstätte handelt. In einem der Tochterunternehmen beschäftigt die Lufthansa nur zwei Mitarbeiter, die für fast 200 Millionen Euro Gewinn verantwortlich sind.
Was macht Malta so attraktiv für Unternehmen wie die Lufthansa?
Es hat einen theoretischen Steuersatz von zirka 35 Prozent. Wenn man allerdings ein ausländisches Unternehmen ist, bekommt man abhängig von der Branche innerhalb von 14 Tagen fünf Sechstel oder sechs Siebtel der Steuern zurück. Im Endeffekt reduziert das den Steuersatz auf zirka fünf Prozent - das ist der niedrigste innerhalb der EU. Das lockt natürlich ausländische Firmen an.
Die maltesische Regierung wird sagen, dass sie ohne solche Steuersätze keine Chance auf ausländische Investitionen hat.
Das ist immer das Argument. In diesem Fall: Malta ist klein, es hat keine Industrien, es muss wettbewerbsfähig sein. Im Endeffekt ist es ein Unterbieten an Steuern. Das ist eine Abwärtsspirale, wenn die EU-Mitgliedsstaaten in einen Wettkampf geraten.
Warum greift dann die EU nicht ein? Sie verliert Geld, wenn die EU-Staaten untereinander um den niedrigsten Steuersatz konkurrieren. Auch die Bundesregierung kann kein Interesse daran haben, dass die Lufthansa ihre Steuern lieber in Malta als in Deutschland zahlt.
Wir fordern, dass Unternehmen, die Staatshilfen erhalten, Transparenz schaffen. Das löst das Problem nicht, ist aber ein Schritt, um zu erfahren, wie groß es ist. Auf EU-Ebene gab es bereits eine Initiative, für alle Unternehmen verpflichtend ein sogenanntes "Country by Country"-Reporting einzuführen. Im November ist diese Initiative gescheitert: Deutschland hat sich als einziges großes Land enthalten. Die Abstimmung ging damit knapp verloren.
Wofür steht "Country by Country"-Reporting?
Das bedeutet, dass ein Unternehmen für jedes Land, in dem es aktiv ist, aufschlüsselt, wie viel Gewinn es dort macht, wie viele Mitarbeiter es hat, wie viele Ausgaben und natürlich, wie viele Steuern es zahlt. Dadurch würde man erfahren: Gibt es Gewinn-Verschiebungen, um Steuern zu vermeiden? Oder gibt es legitime Gründe, wieso ein Unternehmen zum Beispiel auf Malta eine Tochtergesellschaft führt?
Und warum hat sich Deutschland bei diesem Vorschlag enthalten?
Das ist eine gute Frage. Meistens, wenn Deutschland sich auf EU-Ebene enthält, gibt es unterschiedliche Meinungen zwischen den Ministerien, die von unterschiedlichen Parteien geführt werden. Es kann durchaus sein, dass ein SPD-geführtes Ministerium und ein CDU-geführtes Ministerium sich nicht einigen konnten. Somit wurde entschieden, sich zu enthalten.
Innerhalb der EU besteht also keine Chance auf einen einheitlichen Steuersatz?
Den Unternehmenssteuersatz zu harmonisieren, ist bei 27 Mitgliedsstaaten extrem schwer. Das ist ein Eingriff in die Souveränität, da werden viele nicht mitziehen. Es gibt andere Ideen, wie die Quellensteuer. Die würde die Souveränität der Mitgliedsstaaten nicht direkt angreifen, sondern einfach sagen: Auch wenn die Lufthansa Tochtergesellschaften auf Malta führt, ist sie im Endeffekt ein deutsches Unternehmen und muss da Steuern zahlen, wo der Konzernsitz ist. Das würde das Problem der Gewinn-Verschiebung lösen.
Aber bis es so weit ist, befinden wir uns in einer Abwärtsspirale?
Ja. Im Endeffekt ist es eine Lose-Lose-Situation, die dazu führt, dass Steuereinnahmen fehlen. Jährlich werden 600 Milliarden Euro verschoben - diese Einnahmen gehen nicht ganz verloren, sondern sie werden woanders versteuert, aber zu einem viel niedrigeren Steuersatz. Dieses Geld fehlt wiederum in einer Krisensituation wie der aktuellen, in der wir Unternehmen helfen, Kurzarbeit bezahlen und generell den Laden am Laufen halten. Wenn immer mehr Länder diese Praxis unterstützen, haben wir bei der nächsten Krisen sehr viel größere Probleme.
Das klingt nach einem klassischen Beispiel des Gefangenendilemmas. Alle denken nur an sich, und am Ende hat jeder etwas weniger. Dabei könnten alle etwas mehr haben, sie müssten nur zusammenarbeiten. Dann wäre es egal, wo die Lufthansa eine Tochtergesellschaft aufmacht.
Es gibt natürlich Unterschiede. Deutschland, Frankreich und andere große Staaten haben ein Interesse daran, dass Gewinne dort versteuert werden, wo die Unternehmen sind, denn in der Regel sitzen die bei denen. Länder wie Malta haben ein Modell aufgebaut, um diese Unternehmen anzulocken. Die müssten sich neu ausrichten, das könnten die aber auch. Auch ein Land wie Malta kann nicht einfach sagen: Es gibt nur diesen Weg der absolut niedrigen Steuersätze, sonst gehen wir bankrott. Wieso das der Fall sein sollte, habe ich noch nie irgendwo schlüssig erklärt bekommen.
Mit Konrad Duffy sprach Christian Herrmann
Quelle: ntv.de
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