Ganze 230 Jahre lang ihrer Bürgerrechte beraubt, Opfer einer "Anomalie" - aber nun wird der historische Fehler endlich korrigiert! Das sind die Argumente für Washington D.C. als 51. Bundesstaat der USA. Mit allen demokratischen Rechten im Kongress. Das Repräsentantenhaus hat am Freitag schon grünes Licht gegeben und das passenderweise "H.R. 51" betitelte Gesetz verabschiedet. Die Stimmen kamen von der Mehrheit der Demokraten. Sämtliche oppositionellen Republikaner votierten dagegen. Nun geht das Vorhaben in den Senat. Dort wird es voraussichtlich scheitern.
Das Thema ist deshalb kontrovers, weil der Regierungsbezirk, in dem sich auch das Weiße Haus, das Kongressgebäude selbst und etliche Ministerien befinden, nur einen Beobachter ohne Stimmrecht ins Repräsentantenhaus entsenden kann. Die Bürgermeisterin der Stadt setzt das mit Diskriminierung gleich: "Als Washingtoner und als steuerzahlende amerikanische Bürger fordern wir das, was uns zusteht - die Rechte, die uns die Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert." Die 700.000 Einwohner von Washington D.C. haben zwar Stimmrecht für einen Präsidenten, aber nicht für den Kongress.
Zu viel Macht für eine Stadt?
Das Gesetz würde den Regierungssitz auf wenige Quadratkilometer einschrumpfen; auf das Weiße Haus, Kapitol, Oberste Gericht und einige weitere Bundesgebäude. Der Rest würde umbenannt in "State of Washington, Douglass Commonwealth". Namensgeber ist Frederick Douglass, ein afroamerikanischer Politiker und Anführer der Antisklavereibewegung im 19. Jahrhundert. Der republikanische Abgeordnete Andy Harris schlug vor, die Stadt solle stattdessen einfach wieder dem benachbarten Maryland beitreten. Washington D.C. war aus Virginia und Maryland herausgelöst worden, um die Hauptstadt vor dem politischen Zugriff der einflussreichen Bundesstaaten zu schützen.
Die Republikaner argumentieren, der Status als Bundesstaat würde vergleichsweise zu viel Macht für die Stadt bedeuten. Das Weiße Haus erklärte, dem in dem Gesetz vorgesehenen winzigen Rest des Regierungsbezirks stünde im Wahlmännersystem der Präsidentschaftswahl das gleiche Stimmrecht zu wie den bevölkerungsärmsten Bundesstaaten und wäre deshalb verfassungswidrig. Die Berater würden Präsident Donald Trump im Fall der Fälle empfehlen, sein Veto einzulegen.
Historischer Hintergrund, historisches Problem
Die Diskussion um den Status der Stadt zeigt ein grundsätzliches Problem des hunderte Jahre alten demokratischen Systems der USA. So sitzen etwa je zwei Senatoren aus Vermont und Wyoming im Senat. Diese Bundesstaaten haben sogar noch weniger Einwohner als die Hauptstadt, aber in der Kongresskammer das gleiche Stimmgewicht wie etwa die 20 Millionen Einwohner New Yorks oder gar 40 Millionen in Kalifornien. Nach demokratischen Maßstäben ergibt sich ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten der bevölkerungsärmeren Bundesstaaten und damit einer Minderheit.
Das Vorhaben, Washington D.C. in einen Bundesstaat umzuwandeln, ist bereits jetzt historisch. Zwar hatte es schon 1993 eine entsprechende Gesetzesinitiative gegeben, doch sie scheiterte damals im Repräsentantenhaus.
Die aktuelle Initiative hat vor allem nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd viel Schwung bekommen. Das Militär rückte in die Stadt ein, die Sicherheitskräfte agierten auf Geheiß des Weißen Hauses. "Die Besetzung von D.C. gab es nur, weil der Präsident glaubte, er käme hier damit durch", sagte Eleanor Norton, die Washington D.C. im Repräsentantenhaus ohne Stimmrecht vertritt und für die Gesetzesinitiative verantwortlich ist.
Inmitten der Proteste hatte sich etwa US-Präsident Donald Trump mit Tränengas den Weg vom Weißen Haus zu einer nahen Kirche freiräumen und sich davor mit einer Bibel in der Hand fotografieren lassen. Wäre der Regierungsbezirk ein Bundesstaat, hätte sie dies nicht toleriert, so Norton. Sie wolle ein "Ende dieser Anomalie". Norton ist selbst Afroamerikanerin. Ihr Urgroßvater sei aus der Sklaverei in Virginia nach D.C. in die Freiheit geflohen, aber seiner Stimmrechte beraubt geblieben, sagte sie.
Auf den Auto-Nummernschildern der Hauptstadt prangt seit schon seit Jahrzehnten "Taxation without Representation", Besteuerung ohne Vertretung. Selbst Präsident Barack Obama hatte sie an seiner Staatslimousine anbringen lassen. Die anklagende Aussage hat eine tiefe historische Bedeutung: "No taxation without representation“, keine Besteuerung ohne Vertretung, das war der Schlachtruf, mit dem sich die nordamerikanischen Kolonien im 18. Jahrhundert von der britischen Krone lösten und in den Unabhängigkeitskrieg zogen. Großbritanniens wirtschaftsstarke Überseegebiete wollten keine Abgaben an die Krone zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Die aktuelle Initiative für den 51. Bundesstaat im politischen Herzen der USA bedient sich also direkt des zentralen Gründungsmythos der USA.
Sichere Gegenstimmen
Nahezu alle bekannten Demokraten, darunter Fraktionschefin Nancy Pelosi und Joe Biden, der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Demokraten, unterstützen das Vorhaben. Doch aktuell kontrollieren die Republikaner den Senat. Trumps Partei hat bereits klargestellt, dass sie das Projekt scheitern lassen will. Selbst wenn einige Senatoren für die Abstimmung die Seiten wechseln würden, kann Trump noch sein Veto einlegen. Dieses könnte dann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beider Kammern überwunden werden.
Norton hofft, dass der nach der Wahl im November neu zusammengesetzte Senat abstimmt und die US-Hauptstadt zu einem eigenständigen Bundesstaat macht. Zwar ist es möglich, dass die Demokraten nach der Präsidentschaftswahl sowohl das Weiße Haus kontrollieren als auch im Kongress die Mehrheit stellen. Der Erfolg des Projektes ist aber dennoch unwahrscheinlich. Republikaner könnten endloses Reden im Senat androhen, einen sogenannten Filibuster. Der kann nur mit 60 von 100 Stimmen überwunden werden.
Warum die Demokraten dafür und die Republikaner dagegen sind, hat einen entscheidenden machtpolitischen Grund: Washington D.C. ist eine Hochburg der Demokraten, mindestens zwei Drittel der Einwohner gelten als ihre Anhänger. Zudem sind fast die Hälfte Afroamerikaner. Die Republikaner würden sich also sichere Gegenstimmen in den Kongress holen. "D.C. wird niemals ein Bundesstaat", sagte Trump in einem Interview zu den Plänen: "Warum? Damit wir zwei weitere Senatoren der Demokraten haben und fünf weitere Abgeordnete? Nein Danke. Das wird nie passieren."
Quelle: ntv.de
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