Es ist nicht der Golf, der Passat oder einer der weltweit beliebten Transporter aus dem Hause VW. Ein Blick in die Verkaufsstatistik verrät, dass das knapp 4.50 Meter lange SUV mit Namen Tiguan allen Familienmitgliedern im gesamten Volkswagen-Konzern davonfährt. Allein im letzten Jahr fand er insgesamt über 911.000 Käufer, ist in Europa und auch in Deutschland die Nummer 1 unter den Hochbeinern. Im Schnitt rollte 2019 in einem der vier Fabriken in vier Ländern alle 35 Sekunden ein Tiguan vom Band.
Doch auch Bestseller kommen in die Jahre, vor allem weil sich Elektronik und Digitalisierung rasend schnell weiterentwickeln. Was beim Start des aktuellen Tiguan vor vier Jahren der letzte Technikschrei war, ist heute in den Augen von Ingenieuren aber auch vieler Kunden ein alter Hut. Ein Update musste her. Ralf Brandstätter, ab 1. Juli neuer Chef der Marke, sagt: "Jetzt gehen wir den nächsten Schritt und elektrisieren, digitalisieren und vernetzen den neuen Tiguan. Damit ist das Kompakt-SUV für die Herausforderungen unserer Zeit gerüstet."
Lange Liste verfeinerter Technik
Die Liste der Neuheiten dank verfeinerter Technik ist lang: So steuert eine neue Elektronik den Plug-In-Hybrid mit seiner Kombination aus einem 1,4-Liter-Benziner mit 150 PS und einem Elektromotor mit 115 PS. Eine Kombination, die bereits den neuen Golf GTE antreibt. Zusammen kommt das Duo auf eine Nennleistung von 245 PS. Dank mitdenkendem Navigationssystem kann die rein elektrische Reichweite von rund 50 Kilometern klug verteilt werden. Liegt das eingegebene Ziel zum Beispiel in einer künftigen abgasfreien Zone, regelt der Bordcomputer das Wechselspiel der beiden Antriebe so, dass die letzten Kilometer ohne Zutun des Verbrenners absolviert werden können.
Natürlich verweist Entwicklungschef Frank Welsch darauf, dass "die meisten Kunden mit einer Batterieladung ihre durchschnittlichen Tagesdistanzen rein elektrisch zurücklegen können". Aber das ist auch hier nur ein Rechenbeispiele des Entwicklungschefs. Denn geladen wird die 13 kWh-Batterie dann abends an der Steckdose zu Hause. Was im Umkehrschluss heißt, dass der Plug-in-Hybrid in der Praxis, wie gehabt, nur etwas für das Klientel mit eigenem Häuschen ist. Natürlich kann der E-Motor den Tiguan eHybrid auch als reiner Booster dienen: Im GTE-Modus koppelt er beide Triebwerke und nutzt die maximale Power zum Beispiel beim schnellen Überholen. Wer diesen Modus allerdings öfter nutzt, wird mit Sicherheit keine 50 Kilometer elektrisch fahren.
Diesel mit doppelter Abgasreinigung
Auch der Diesel soll im neuen Tiguan wieder eine Zukunft haben. Der TDI-Motor wird nun durch das "Twindosing" genannte System von Schadstoffen weitgehend befreit. Dabei kommt ein zweiter Katalysator im Unterboden zum Einsatz. Er kümmert sich um die gefährlichen Stickoxide, die sein näher am Motor montierter „Kollege“ durchgelassen hat und wandelt sie in Wasser und harmlosen Stockstoff um. In Summe soll das Twindosing im neuen Tiguan mit Dieselmotor die Stickoxide um bis zu 85 Prozent reduzieren.
Auch beim Spitzenmodell feiert eine neue Technik ihren Einzug in der Tiguan-Familie. Das "R" mit seinem 320 PS starken Zweiliter-Turbobenziner nutzt einen Allradantrieb mit sogenanntem "Torque-Splitter". Wenn beim bisherigen "4motion" die Vorderräder nicht mehr genügend Haftung hatten, schickte das Differential die Kraft jeweils zur Hälfte auf die beiden Hinterräder. Das neue elektronisch gesteuerte System kann das je nach Bedarf. Im Extremfall wird das kurvenäußere Rad mit bis zu 100 Prozent der Leistung versorgt. Die Folge für den Fahrer: Höhere Kurvengeschwindigkeit, sicheres Herausbeschleunigen und weniger Lenkarbeit. Der Bordrechner registriert dabei durch Sensoren den Lenkwinkel, Gaspedalstellung, die Querbeschleunigung und das Tempo. Spannend für künftige Tiguan-Eigner, die auch mal auf einer Rennstrecke herumtoben wollen. Wenn es davon überhaupt welche gibt.
Wie beim Golf 8, übernimmt die digitale Revolution im Innenraum auch im Tiguan das Kommando. Bleibt zu hoffen, dass es sich anders als beim Golf um eine friedliche Revolution handelt. Neu sind also die Steuerung von Heizung und Klima über Regler mit Berührungsflächen, sogenannte Touch-Module, die auf Druck oder auf Wischgesten reagieren. Ähnliche Flächen sind auch in Griffnähe am Lenkrad. Das Infotainment-System MIB3 verbessert die Vernetzung mit dem Internet, hat eine eigene SIM-Karte und ist damit wie der neue Golf immer online. Zahlreiche Dienste wie Apple Carplay oder Android Auto funktionieren jetzt, ohne dass das Smartphone per Kabel verbunden sein muss.
Neues bei den Assistenten
Neues auch bei den Assistenzsystemen: Der "Travel-Assist" übernimmt zwischen 0 und 210 km/h das Lenken, Beschleunigen und Bremsen des Tiguan. Wobei sich das System für seine Arbeit aus dem bedient, was Abstandsradar und Spurhalteassistent an Daten liefern. Da es sich hierbei um teilautonomes Fahren der Stufe 2 handelt, muss der Fahrer selbstredend die Hände am Lenkrad lassen. Der Tempomat mit seinen Radaraugen nutzt jetzt auch die Kamera und die Daten des Navis, um Temposchilder, Kreisverkehr, Kreuzungen oder Ortseinfahrten einzubeziehen. Serienmäßig registriert der Notbremsassistent nunmehr Fußgänger, die offenbar gleich die Straße überqueren wollen.
Gegen Aufpreis versorgt der neue Tiguan seine Scheinwerferaugen auch mit dem derzeit besten Licht, das aus Touareg, Passat oder Golf bekannt ist. Das Matrix-System erhellt die Straße aus je 24 LED, wobei auch hier die Elektronik das Kommando hat. Der Fahrer kann immer mit Fernlicht unterwegs sein. Entgegenkommende Autos oder andere Lichtquellen werden durch gezieltes Dimmen der einzelnen LED-Leuchten vor Blendung geschützt. Logisch, dass auch die hinteren Blinker jetzt optisch in die Richtung "wischen", in die der Fahrer abbiegen will.
Und wie erkennt man einen neuen Tiguan von außen? Man schaut dem Neuling einfach ins Gesicht, die Frontpartie wurde nämlich dezent, aber trotzdem deutlich umgestaltet. Das Kühlergrill-Lächeln wird jetzt von einer vierten an den Seiten nach unten angeschrägten Lamelle verfeinert und erinnert so an den großen Touareg oder den amerikanischen VW Atlas. Die Motorhaube wurde durch eine kleine Stufe über dem Grill leicht erhöht und kommt somit optisch kraftvoller daher. Das Tagfahrlicht, bisher eine Art Lidstrich über den Scheinwerfern, umrundet jetzt die vier LED-Augen. Am Heck bleibt bis auf einen jetzt mittigen Modell-Schriftzug unter dem VW-Zeichen alles wie gehabt.
Einiges ist noch ungewiss
Noch gibt VW weder technische Daten, Details zu dem Motorenangebot geschweige denn die Preise bekannt. Fest steht aber, dass es wieder Versionen mit Front- oder Allradantrieb geben wird. Vermutlich werden zum Start im Herbst zwei Benziner (1,5 und 2,0 Liter) mit verschiedenen Leistungsstufen (derzeit 130 PS bis 190 PS) verfügbar sein. Hinzu kommen verschiedene Leistungsstufen des Zweiliter-Diesels.
Neu geordnet wurden auch die Ausstattungslinien. Immer serienmäßig werden LED-Scheinwerfer, Notbremsassistent, Multifunktionslenkrad und ein Infotainment-System mit mindestens 6,5 Zoll-Monitor sein. Ab der zweiten Stufe ("Life") kommen Abstandsradar, Fernlichtassistent, Dachreling und 17-Zoll-Räder hinzu. Die Top-Versionen "Elegance" und "R-Line", verfügen über Matrix-Licht, digitales Cockpit mit 10-Zoll-Bildschirm und einigem mehr. In der Aufpreisliste locken weitere Details, teilweise zu Paketen gebündelt. Unterm Strich sollen sich die Preise des Tiguan bei knapp 31.000 Euro für das Einstiegsmodell einpegeln.
Dennoch startet der Tiguan in eine schwere Zeit mit Unsicherheiten wegen Corona, Umweltdiskussion und sicher auch knapperen Kassen der Kunden. Hinzu kommt die Konkurrenz der kleineren und günstigeren SUV im eigenen Haus durch T-Roc und T-Cross. Und auch die reinen Elektroautos sollen in Kürze durchstarten. Traumzahlen wie in den vergangenen Jahren wird auch ein Erfolgsmodell wie der Tiguan wohl nur noch schwer erreichen können.
Quelle: ntv.de, hpr/sp-x
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