In der HIV-Therapie zeigt eine neue Wirkstoffklasse erste vielversprechende Ergebnisse. Im Fachblatt "Nature" stellt ein Team um Stephen Yant vom Pharmaunternehmen Gilead Sciences in Foster City (US-Staat Kalifornien) einen sogenannten Capsid-Inhibitor vor. Das Präparat GS-6207 kann den Aids-Erreger nach einmaliger Injektion unter die Haut demnach etwa sechs Monate lang kontrollieren und auch zur Prophylaxe dienen - bei guter Verträglichkeit. Größere Studien stehen jedoch noch aus. Ein deutscher Experte spricht von "sehr beeindruckenden Daten".
Bisher ist eine HIV-Infektion nicht heilbar - allerdings können Medikamente die Zahl der Viren im Körper unter die Nachweisgrenze senken. Dafür müssen Patienten eine Kombination verschiedener Medikamente täglich einnehmen.
Ein anderes Wirkprinzip
Im Vergleich zu den derzeitigen Präparaten beruht GS-6207 auf einem völlig anderen Wirkprinzip: Während sich jene Mittel vor allem gegen bestimmte Enzyme des Erregers (Integrase, Protease, Transkriptase) richten, zielt der neue Wirkstoff auf das sogenannte Capsid - jene Protein-Schicht unter der Virushülle, die das Erbgut umgibt. Gewöhnlich lagert sich das Capsid in der Wirtszelle an den Zellkern an, öffnet sich und ermöglicht das Eindringen des Virus-Genoms in die Zell-DNA - und damit die Vermehrung des Erregers.
Die Struktur des HIV-Capsids wurde 2013 geklärt. Darauf aufbauend entwarfen Wissenschaftler ein Molekül, dass sich in die Capsid-Struktur integriert, diese verändert und den Infektionsprozess so unterbindet. Im Labor wirkte GS-6207 bei allen getesteten HIV-1-Subtypen und auch - schwächer - gegen zwei Varianten des anderen Subtyps HIV-2, der in Westafrika vorkommt.
Im Labor war der Wirkstoff auch gegen HI-Viren wirksam, die gegen andere Medikamente resistent sind. Menschliche Zellen schädigte er dagegen kaum. Zwar entwickelten HI-Viren im Labor auch gegen den neuen Wirkstoff Resistenzen, blieben dabei jedoch sensibel für andere HIV-Präparate. Insofern eigne sich GS-6207 für die bisher in der Therapie übliche Kombination verschiedener Wirkstoffe, betonte das Team.
Geringe Nebenwirkungen in erster Testphase
In einer Phase-1-Studie, die die Sicherheit des Präparats prüfte, bekamen 32 junge gesunde Teilnehmer den Wirkstoff in verschiedenen Dosierungen unter die Haut injiziert, während acht weitere ein Placebo erhielten. Dabei habe sich das Mittel als gut verträglich erwiesen, schreiben die Autoren und nennen als häufigste Nebenwirkung zeitweilige Hautrötungen und Schmerzen an der Injektionsstelle.
Die Forscher entwarfen das Molekül zudem so, dass es in der Leber nur sehr langsam abgebaut wird. In Dosierungen ab 100 Milligramm blieben die Konzentrationen im Blutserum mindestens 12 Wochen im sehr wirksamen Bereich, bei Mengen ab 300 Milligramm sogar mindestens 24 Wochen. Eine kleine klinische Studie an 32 HIV-Patienten bestätigte sowohl die Verträglichkeit als auch die Wirksamkeit des Moleküls. Damit biete es sich für größere klinische Studien an, schreiben die Wissenschaftler, die zum Großteil bei Gilead beschäftigt sind oder waren.
"Eine starke Substanz"
"Diese Daten etablieren GS-6207 als ersten HIV-Capsid-Inhibitor mit potenter antiviraler Aktivität sowohl gegen Wildtyp-Viren als auch gegen Varianten, die gegen derzeitige antivirale Wirkstoffe resistent sind", schreibt das Team um Yant. Dies stütze die weitere Entwicklung des Mittels als lang anhaltende Therapie sowie für Menschen mit resistenten HIV-Varianten. Zudem biete sich das Mittel zur Infektionsprophylaxe bei Risikogruppen an.
Allerdings kann man davon ausgehen, dass die weitere Entwicklung des Wirkstoffs noch einige Jahre dauern wird. "Das ist eine starke Substanz", sagt der Molekularvirologe Frank Kirchhoff vom Universitätsklinikum Ulm, der nicht an der Arbeit beteiligt war. "Ich hätte nicht gedacht, dass man so aktive Substanzen gegen das HIV-Capsid entwickeln kann." Zwar führe GS-6207 - wie alle anderen HIV-Mittel auch - zu Resistenzen des Erregers; wichtig sei aber, dass diese Resistenzen nicht für andere HIV-Medikamente gelten. Zudem scheine das Mittel gut verträglich zu sein. Letztlich müsse man zur Abschätzung der Nebenwirkungen aber größere Studien abwarten, betont Kirchhoff.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa
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