Ja, stimmt schon: Der Einkaufsbummel macht mit dem lästigen Ding vor der Nase weniger Spass als sonst. Darunter leidet der Einzelhandel. Die Familie leidet auch: Beim Supermarkt wurde dem Nachwuchs unlängst Hausverbot angedroht, weil er sich nur mit hochgezogenem Hoodie-Kragen an der Security vorbeigeschlichen hatte. Nach der Anschaffung diverser Mund-Nasen-Schutz-Fünferpacks mit Mustern für jeden Anlass, müssten zuhause eigentlich immer genug bereitliegen - Fakt ist: Wenn man einen braucht, ist keiner da. Die Maske nervt.
Andererseits: Es ist immer eine schöne Bestätigung, beim Einkaufen einen Freund zu treffen und sich gegenseitig zu erklären: "Ich hab Dich trotz Maske erkannt!" Womöglich ist der Blick inzwischen hinreichend geschult und merkt sich vor allem die freiliegende Augenpartie. Soziologen wissen außerdem, dass es zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehört, nicht weiter aufzufallen. Und das ist der einzige Grund, weshalb wir unsere Maske inzwischen mit großer Routine auf- und wieder absetzen, beinahe ohne es wahrzunehmen, und obwohl kein Zweifel daran besteht, dass Stoff vor Mund und Nase irgendwie blöd aussieht. Das macht nichts, denn: Alle sehen mit ihren Masken irgendwie blöd aus. Unter lauter Maskierten fühlt man sich darum am wohlsten - mit Maske.
Präsentierte sich die Umgebung hingegen mehrheitlich unverhüllt, etwa weil Maskentragen nicht mehr Pflicht, sondern nur noch Empfehlung wäre, dann würde man plötzlich als Trägerin auffallen und nicht – wie derzeit – als Nicht-Trägerin. Es würde plötzlich starke Überwindung kosten, weiterhin eine Maske aufzusetzen. Noch dazu, da sie ja den Träger selbst kaum schützt, sondern vor allem die anderen, die offenbar keinen Wert darauf legen, ihr Gegenüber vor einer Infektion zu bewahren. "Ich trage meine Maske für Euch", sagte neulich eine Frau in der Berliner S-Bahn zu zwei jungen Männern, die zunächst stutzten, dann fummelte einer der beiden wortlos eine Maske aus der Hosentasche und setzte sie auf. Wäre man 15, hätte man alles sofort gefilmt und von Herzen umrahmt ins Netz gestellt.
Maskenempfehlung ist Humbug
Man kann konstatieren: Der Vorschlag, die Maskenpflicht in eine Maskenempfehlung umzuwandeln, wie am Wochenende von einigen Landespolitikern propagiert, ist Humbug. Wie gut, dass er am Montagabend noch kassiert wurde. Ohne Tragepflicht wird die Maske verschwunden sein, eine Empfehlung kann nicht funktionieren. Wissenschaftlich erwiesen ist aber, dass unter anderem die Stadt Jena sehr gut damit gefahren ist, frühzeitig eine Maskenpflicht einzuführen und damit die Fallzahlen zu senken. Über den Erdball verteilt gibt es weitere Studien, die zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen. Noch nicht wissenschaftlich belegt, aber sehr sichtbar ist, dass Staaten wie allen voran die USA oder Brasilien, deren Regierungschefs die Maske zum Zankapfel und Symbol politischer Überzeugung machten, seit Wochen und noch immer furchtbar viele Menschenleben an das Corona-Virus verlieren. Nicht nur wegen dieser Strategie, aber auch.
Was für ein Glück, dass es uns gelungen ist, ein solches Schicksal abzuwenden. Dass wir, nachdem Sars-CoV-2 über Wochen das einzig beherrschende Thema zu sein schien, uns heute, drei Monate später, schon wieder über den geplanten Sommerurlaub unterhalten können, über Ärger bei der Arbeit oder die Frage, ob sich der Känguru-Chroniken-Humor filmisch darstellen lässt. Hätte man das im April für möglich gehalten? Ich nicht.
Noch weiß niemand, ob das Virus sich auch im Oktober so gut von uns beherrschen lassen wird, wie es derzeit offenbar der Fall ist. Also sollten wir ihm das Leben mit den einfachsten Mitteln so schwer wie möglich machen. Die Maske hat ein fantastisches Preis-Leistungs-Verhältnis. Sie kostet kaum Geld, kaum Grundrechte, aber bekämpft das Virus mit nachweislichem Effekt. Wer sich mit kurzsichtigen Lockerungsmaßnahmen beliebt machen will, unterschätzt die Klugheit und Solidarität der Bürgerinnen und Bürger. Hört sich komisch an, aber maskiert sind mir die Deutschen gerade besonders sympathisch.
Quelle: ntv.de
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