Vor drei Jahren wollte Ringo Starr mal ausprobieren wie sich so ein Leben im Ruhestand anfühlt: Zwölf Monate lang die Füße stillhalten, daheimbleiben, für Enkel und Urenkel da sein und die Hunde ausführen. Wie man das eben so macht mit 77.
Dummerweise hielt der Ex-Beatle diese Harmonie keine zwei Wochen aus: Zwölf Tage lang habe er von morgens bis abends ausschließlich daran gedacht, wann er endlich wieder auf einer Bühne stehen dürfe, erinnerte sich der Musiker später. Er ging dann schnell wieder auf Tournee.
Natürlich könnte Sir Richard Starkey, so Ringo Starrs bürgerlicher Name, seit einem halben Jahrhundert seine Tage an sonnigen Golfplätzen verstreichen lassen. Aber Starr ist immer so unruhig wie umtriebig gewesen, wie die 20 Soloalben belegen, die er nach den Beatles veröffentlicht hat. Dazu kommen zahlreiche Gastaufritte auf Platten befreundeter Musiker und Einsätze als Schauspieler in seltsamen Produktionen wie "Magic Christian" (1969), "Son of Dracula" (1973) oder "Caveman - Der aus der Höhle kam" (1981).
Viel Zeit widmet er auch seinen Hobbys Fotografie und Malerei, nebenher entwarf er Möbel für seinen Design-Betrieb "ROR" und in den Siebzigerjahren betrieb Starr die Plattenfirma "Ring O'Records". Ein Privatleben leistet er sich obendrein: Mit Barbara Bach ist er seit bald 40 Jahren verheiratet, er hat drei Kinder aus seiner ersten Ehe mit Maureen Cox (darunter der erfolgreiche Schlagzeuger Zak Starkey), sowie Enkel und Urenkel. Ein perfektes Leben, könnte man meinen.
Krankenhaus-Schlagzeuger
Allerdings hat Starr auch immer wieder finstere Perioden überstanden: Insbesondere in seinen jungen Jahren hatte der am 7. Juli 1940 in Liverpool geborene Musiker mit einer fragilen Gesundheit zu kämpfen. Er war drei, als sein Vater die Familie verließ, von da an sah er ihn nur selten. Danach kümmerten sich seine Mutter und deren Eltern um "Ritchie", wie Verwandte ihn bis heute nennen.
Sein anderer Spitzname Ringo ist übrigens auf seine Vorliebe für Ringe zurückzuführen. Heute liegen die meisten von Starrs zahlreichen Ringen im Safe. Der einzige, den er immer noch trägt, und an dem er mehr hängt als an allen anderen seiner Schmuckstücke, ist der Hochzeitsring seines Großvaters.
Geld war knapp daheim, als Ringo aufwuchs, und immer wieder setzten ihm Krankheiten wie Blinddarmentzündungen und Diabetes so zu, dass er monatelang ins Krankenhaus musste. Einmal fiel er sogar ins Koma. Allerdings entdeckte er während einer dieser tristen Auszeiten, in einer Krankenhausband, seine Liebe zum Schlagzeugspielen.
Ein erstes Schlagzeug spendierte ihm sein Stiefvater Harry Graves zu Weihnachten 1957. Weil sein Talent schnell auffiel, trommelte Ringo bald nachts in allerlei Bands in Liverpool, während er sich tagsüber mit Jobs durchschlug: Mal bei der Eisenbahn, mal als Kellner auf einem Vergnügungsboot. Für erste Furore in Liverpool und Umgebung sorgte Ringo dann mit Rory Storm and the Hurricanes, für die er seinen Fabrikjob 1960 kündigte. Seine Familie hielt ihn für übergeschnappt - aber Starr wusste, dass er etwas gefunden hatte, dass ihn durchs Leben tragen würde. Am 1. Oktober 1960 kam er mit Rory Storm in Hamburg an, um im "Kaiserkeller" für Stimmung zu sorgen.
Der Clown der Band
Auch die Beatles, mit denen er bald befreundet war, waren zur Unterhaltung der Hanseaten an die Elbe gereist. Wenn ihr Schlagzeuger Pete Best mal unpässlich war, sprang Starr ein. Eines Tages rief Brian Epstein, der Manager der Fab Four aus Liverpool, bei ihm an und bot ihm einen Job an. Das erste Konzert als offizielles Mitglied der Beatles absolvierte Starr am 18. August 1962.
Was die Popularität bei den Fans anging, konnte Ringo von Anfang an mit Paul, John und George mithalten. Vielleicht, weil er stets den sonnigen Band-Clown gab. Allerdings war diese Rolle wohl auch daran schuld, das Starrs Bedeutung bei den Beatles immer unterschätzt worden ist.
Natürlich konnte er den anderen weder als Songwriter noch als Sänger das Wasser reichen. Wenn John Lennon, Paul McCartney und George Harrison im Studio über neuen Songs brüteten, spielte der Schlagzeuger gern Karten mit den Roadies. Dennoch, so hält der 2020 erschienene Band "Ringo Starr: Die Biographie" fest, stellte Lennon selbst klar: "Ringo war das Herz der Beatles!" Es war dann auch Starr, der sich um die Leichtigkeit innerhalb der Band bemühte, als der Druck von außen auf die Beatles enorm zunahm. Auch deshalb bekam er bald einen Song pro Album zugesprochen, auf dem er singen durfte, so wie bei "Yellow Submarine" oder "With a Little Help From My Friends".
Obendrein glänzte er als Schlagzeuger, auch wenn strenge Schlaumeier ihm immer wieder die nötige Virtuosität abgesprochen haben. Doch Technik und Präzision standen nie im Zentrum von Starrs Schlagzeugspiel, stattdessen improvisierte er so lustvoll und fröhlich, wie es seinem Charakter entsprach.
Überraschender Soloerfolg
Als Ende der Sechzigerjahre die Stimmung innerhalb der Band zunehmend gefror, konnte auch Starr nicht mehr helfen. Im Gegenteil, immer öfter diente er als Blitzableiter. Während der Aufnahmen zum "White Album" platzte ihm dann der Kragen, nachdem insbesondere Paul McCartney ausgiebig gemosert haben soll. Kurzentschlossen quittierte Starr den Dienst und düste verärgert mit seiner Familie nach Sardinien. Dort schrieb er den Song "Octopus's Garden" und kehrte auf inständiges Bitten seiner Bandkollegen doch zurück. Im Studio hatte George Harrison sein Schlagzeug mit Blumen geschmückt.
Das Ende der Beatles konnte Starr dennoch nicht verhindern. Es sei die größte Zäsur in seinem Leben gewesen, erinnerte er sich später. Allerdings füllte er das Vakuum, das die Beatles hinterlassen hatten, schnell mit verblüffend erfolgreichen Soloplatten. Songs wie "It Don't Come Easy", "Photograph" oder "Back Off Boogaloo" stiegen in den USA und England hoch in die Charts. John Lennon soll fassungslos gewesen sein, dass Ringo zeitweilig mehr Platten verkaufte als er.
Allerdings währte dieser Hit-Lauf nur kurz. Es folgten Platten, die zunehmend weniger beachtet wurden, sodass Starr sich mehr um die Schauspielerei und andere Vergnügungen kümmerte. Mit der mythenumrankten Glamour-Trinker-Gang "The Hollywood Vampires" zu der unter anderem Alice Cooper, Keith Moon und sein enger Freund Harry Nilsson zählten, schlug Starr wüst über die Stränge. Seine erste Ehe mit Maureen Cox, Mutter seiner drei Kinder, blieb dabei auf der Strecke.
Die Ermordung John Lennons setzte Starr 1980 so schwer zu, dass er sich weiter aus der Öffentlichkeit zurückzog. Doch im selben Jahr lernte er das ehemalige Bond-Girl Barbara Bach während der Dreharbeiten zu dem Film "Caveman" kennen. Sie heirateten 1981. Es wurde eine zeitweise turbulente Beziehung - die aber bis heute anhält und letztlich Ruhe in Starrs Leben brachte: Seit vielen Jahren tourt er regelmäßig mit einer "All-Starr-Band" durch die Welt, nimmt beständig Platten auf und ernährt sich vegetarisch.
Seinen 80. Geburtstag wird Ringo Starr wohl notgedrungen zu Hause in Los Angeles verbringen, wo er seit elf Wochen in durch Corona erzwungener Isolation ausharrt. Feiern will Starr dort mit einem virtuellen Konzert, an dem auch Paul McCartney teilnehmen wird. Aber sobald sich die Lage entspannt, will er wieder auf Tournee gehen, sagte er in einem Interview mit dem "Rolling Stone". Ruhestand ist noch lange kein Thema für ihn.
spiegel
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