Polestar 2 - das stimmigste E-Auto der Welt?

  10 Juli 2020    Gelesen: 667
  Polestar 2 - das stimmigste E-Auto der Welt?

Elektroautos gibt es viele; bei Reichweite und Leistung kann Tesla bis dato keiner das Wasser reichen. Jetzt schon! Mit dem Polestar 2 hat die Volvo-Submarke das wohl momentan schlüssigste Konzept für ein schickes, reichweitenstarkes, sportliches und gleichsam preiswertes Elektroauto am Markt.

Wer früher von Polestar sprach, war ein eingefleischter Volvo-Fan und hatte die Tuning-Abteilung der Schweden im Blick, die wiederum auf das 1996 von Jan "Flash" Nilsson als Flash Engineering ins Leben gerufene Rennsportteam zurückging. Doch seit jener Zeit ist viel Gummi auf den Tracks dieser Welt verbrannt worden und die Zeiten haben sich geändert. Volvo gehört seit 2010 zum chinesischen Fahrzeugkonzern Geely und so richtiges Tuning, wie es die M GmbH bei BMW oder AMG bei Mercedes macht, fand man bei den Schweden ohnehin noch nie. Wäre ja jetzt auch einmal mehr totaler Unsinn, denn mit dem Modelljahr 2020 sind alle Volvo-Modelle, egal wie potent sie daherkommen, im Rahmen einer Selbstverpflichtung bei 180 km/h abgeregelt.

Nichts, was andere nicht auch können

Insofern nimmt Polestar seit 2017 nicht nur den Part der Marke ein, die Hybrid- und Elektroautos unter dem Volvo-Geely-Dach baut und vertreibt, sie ist jetzt auch die Sportmarke, die sich Fans immer gewünscht hatten. Den ersten Beweis erbrachte Polestar mit dem schlicht als 1 bezeichneten Plug-in-Hybrid-Sportwagen, der 2017 auf der Automesse in Shanghai erstmals dem Publikum präsentiert wurde. Das mit 155.000 Euro sündhaft teure Sportcoupé wird allerdings von einem Reihen-Vierzylinder-Benziner und drei Elektromotoren befeuert. Das bedingt eine Systemleistung von 609 PS und ein maximales Drehmoment von 1000 Newtonmetern; in 4,2 Sekunden geht es auf Tempo 100 und in der Spitze sind 250 km/h drin.

Das ist alles beeindruckend, aber nichts, was andere Hersteller nicht auch könnten. Interessanter ist da der Polestar 2. Gegen ihn scheint die Nummer 1 eine reine Fingerübung von CEO Thomas Ingenlath und seinem Team gewesen zu sein. Nicht nur, dass man dem 2er ansieht, dass der Chef der Marke von Haus aus ein Designer ist, es ist zudem ein Elektroauto mit beeindruckenden Werten: Aus zwei E-Motoren generieren sich 408 PS und ein maximales Drehmoment von 660 Newtonmetern. Die Spitzengeschwindigkeit ist mit 205 km/h angegeben und die Reichweite liegt nach WLTP kombiniert bei 470 Kilometern mit einer Füllung des 78 kWh leistenden 400 V Lithium-Ionen-Akkus.

Der Geist einer neuen Marke

Nun sind Datenblattwerte schnell geschrieben - ob die sich wirklich in der Realität wiederfinden, ist dann eine ganz andere Frage. Im Falle des Polestar 2 ist das Ergebnis nach einer ersten Testfahrt erstaunlich. Selbst wenn man aufgrund der Gleichteile, die von Volvo übernommen sind, die Nähe zur Mutter nicht verhehlen kann, ist der "Geist einer neuen Marke für sportliche E-Autos", wie es Ingenlath nennt, in jeder Faser zu spüren. Nicht nur, weil es sich beim 2er um eine sehr schnittige Coupé-Limousine handelt, sondern weil auch die fast unsichtbaren Beigaben wie rahmenlose Außenspiegel, das Glas-Panorama-Dach mit beleuchtetem Polestar-Stern oder das geschwungene Heckleuchten-Band den Wagen zu etwas Besonderem machen.

Doch bei dem Testwagen kommt noch etwas anderes dazu: das optionale Performance-Paket für 5849 Euro mit geschmiedeten 20-Zoll-Rädern, 4-Kolben Brembo-Bremssättel vorne und manuell einstellbaren Öhlins-Dämpfern. Ja, tatsächlich muss, wer die Spannungsstufen hier verändern will, auf die Hebebühne, denn die Stellschrauben sind nur von unten zu erreichen. Aber mal ehrlich, wer mit dem E-Bolzer auf die Strecke will, der wird die Mühe nicht scheuen und jeder andere muss sich an der Stelle die Finger nicht schmutzig machen. Denn das Teil ist von Haus aus mit einer Gewichtsverteilung von 51 Prozent vorn zu 49 Prozent hinten schon ganz taff abgestimmt.

Ja, die Lenkung könnte für einen Sportwagen - und das ist der Polestar 2 zweifelsohne - etwas direkter sein. Da helfen auch die drei Verstell-Modi nicht, aber für den schnellen Schlenzer ums Eck reicht es allemal. Auch wer einen Leistungsabruf per Strompedal fordert, wird über den spontanen Antritt bass erstaunt sein. Denn der schwedische China-Kracher feuert mit einem Druck nach vorne, dass der Kopf des Fahrers in der Kopfstütze der Sportsitze eine Kuhle hinterlässt. Exakt 4,7 Sekunden braucht es, bis die 2,1 Tonnen schwere Fuhre Landstraßentempo erreicht hat.

Der Druck bleibt

Das beeindruckt insofern, als dass andere Hersteller von Elektroautos ab 60 km/h den Druck aus der Leitung nehmen, um den Akku zu schonen. Nicht so der Polestar, der schiebt sich wie Captain Kirks "Enterprise" mit Warp-Antrieb nach vorne und lässt die digitale Tachonadel erst bei über 205 km/h ruhen. Nun mag es sein, dass auch hier wie bei Tesla ein zu langer Flug in diesem Bereich mit einer Drosselung zur Schonung der Batterie verbunden ist. Das konnte nicht ausprobiert werden, dazu war die Strecke für den Freiflug zu kurz. Fakt ist aber, dass Polestar diese Geschwindigkeiten überhaupt zulässt. Andere Hersteller machen spätestens bei 150 km/h dicht.

Die Gründe dafür sind klar, man will den Akku schonen und die Reichweite verlängern. Und so ist es natürlich auch bei der Nummer 2: Wer ewig auf dem Gas steht, verbraucht mehr. Im Test wurden hier 28,3 kWh über 100 Kilometer gemessen. Da ist es natürlich schnell Essig mit den angegebenen 470 Kilometern Reichweite. Wer die Kraft, um den Kopf auch bei Tempo 180 noch mal nach hinten fliegen zu lassen, aber mit Bedacht einsetzt, der wird mit einem Verbrauch um die 20 kWh belohnt. Das dürfte zwar auch nicht ganz für 470 Kilometer reichen, aber deutlich in die Richtung gehen.

Und weil man auch mit einem Polestar 2 im landestypischen Verkehr nicht immer mit Vollstrom unterwegs sein kann, gibt es zeitgemäße Assistenten wie adaptiven Abstandstempomaten und Spurhalter. Die eingestellt, bringen das vielleicht einzige, aber maßgebliche Manko des Polestar 2 ans Licht. Nein, nicht dass diese Systeme nicht funktionieren. Die verrichteten auf der Testfahrt ihre Arbeit zur vollsten Zufriedenheit. Das Problem, das sich auftut, ist bautechnischer Natur. Die Unterflurbatterie verursacht nämlich eine Wölbung im Bodenblech, die es unmöglich macht, die Beine in einem rechten Winkel aufzustellen, weil die Füße immer in die dort vorhandene Kuhle abkippen. Das ist alles andere als entspannend. Und genau das ist es, was der Fahrer will, wenn er die kleinen Helferlein mit der Arbeit beauftragt. Auch bei der Übersichtlichkeit büßt der Polestar 2 Punkte ein. Nach hinten ist wegen des kleinen, als auch tief liegenden Heckfensters sowie der breiten C-Säule kaum etwas zu sehen. Hier ist die serienmäßige 360-Grad-Kamera ein echtes Pfund.

Die volle Ladung

Das alles tut dem Fahrspaß in Summe jetzt keinen Abbruch. Was dann noch bleibt, ist das Laden. Das ist auf unterschiedlichen Wegen möglich: mit dem bordeigenen Ladegerät (1- oder 3-phasig) mit bis zu 11 kW am Wechselstrom (AC). Was natürlich dauert. An der Haushaltssteckdose dürfte es in etwa Zeit der Nachtruhe sein. Deutlich schneller füllt sich der Akku am DC-Ladegerät, das den Gleichstromwandler gleich in sich trägt. Mit bis zu 150 kW braucht es 40 Minuten, bis die Leistungsfähigkeit der Batterie wieder bei 80 Prozent liegt. Natürlich muss ein solcher Power Charger erst einmal gefunden sein.

Ach so: Die Ladekabel lassen sich übrigens ganz einfach in dem 35 Liter fassenden Stauraum unter der Motorhaube unterbringen. Was wiederum zur Folge hat, dass der Kofferraum mit seinen 405 Litern vollumfänglich dem Gepäck zur Verfügung steht. Bei umgeklappter Rückbank sind es 1095 Liter. Apropos Rückbank: Die soll für drei Passagiere passen, aber auf dem Mittelplatz will keiner sitzen. Denn es gibt hier wie in einem Verbrenner eine Art Kardantunnel. Nur dass der Pseudo-Antriebsstrang nicht als solcher dient, sondern dem Akkumulator als Aufbewahrungsfläche. Insofern sollte man ehrlicherweise sagen, dass der Polestar 2 ein 2+2-Sitzer ist. Die beiden Reisenden finden sich dann auch wie in einer Coupé-Limousine typisch verstaut.

Behilflich bei der Suche nach einer Ladestation ist im Polestar 2 übrigens Google. Tatsächlich verzichten die Schweden im 2er auf ein eigenes Navigationssystem. Hier hat man sich gleich mit dem Kommunikationsriesen ins Einvernehmen gesetzt und ein Android-basiertes Betriebssystem auf das 28 Zentimeter große Zentraldisplay gebracht. Das heißt, die Navigation läuft automatisch über Google Maps. Zudem kann sich jeder, der ein eigenes Google-Konto hat, in dem autoeigenen System anmelden und eine Ansicht zusammenstellen, die der auf seinem Smartphone oder Tablet gleicht.

Heißer Preis

Das hat natürlich auch einen finanziellen Vorteil, muss hier doch kein teures Navigationssystem dazugekauft werden. Was uns dann auch gleich zum Preis bringt. Der Polestar 2 steht für 57.900 Euro in der Liste. Abzüglich der Mehrwertsteuersenkung und der angekündigten Innovationsprämie, die auf dem Konjunkturpaket der Bundesregierung beruht, bleiben noch 48.540 Euro für einen Polestar ohne Sonderlackierung, Performance-Paket und Anhängerkupplung. Tatsächlich darf der Schweden-Sportler nämlich auch 1,5 Tonnen an den Haken nehmen. Im kommenden Jahr wird Polestar dann eine Version zu einem Preis ab knapp 39.000 Euro anbieten. Die Einbuße für den Preis geht natürlich zulasten von Leistung und Reichweite.

So, wem das jetzt alles nicht passt, weil er lieber ein Elektro-SUV haben möchte, der muss sich nur noch bis ins nächste Jahr retten. Da wird Polestar nach Aussagen von CEO Ingenlath mit der Nummer 3 vorfahren. Einem stromernden SUV. Sportlich und schick wie die Nummer 2, so das Versprechen.

Quelle: ntv.de


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