Videos von verstümmelten Leichen schwarzer Menschen, Aufrufe, Flüchtlinge auf dem offenen Meer mit einem Maschinengewehr zu erschießen und die Behauptung, der Holocaust sei die "größte Lüge der Geschichte": Solche rassistischen und rechtsextremen Inhalte werden laut einer neuen Studie der Organisation Jugendschutz.net über die Chat-App Telegram in öffentlichen Kanälen verbreitet.
Die bisher unveröffentlichte Studie mit dem Titel "Telegram: Zwischen Gewaltpropaganda und 'Infokrieg'" liegt dem SPIEGEL vor. Sie gibt einen Einblick, wie volksverhetzende, antisemitische und gewaltverherrlichende Inhalte dort beispielsweise in Form sogenannter Memes geteilt werden, also als Bild-Collagen mit kurzen begleitenden Sprüchen. So wird beispielsweise der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan B. mit dem Spruch "Kill Them All" zum Vorbild stilisiert. Über das bekannte Bild des am Strand liegenden Alan Kurdi wird ein Neonazi-Skinhead montiert, der dem toten Flüchtlingskind auf den Hals springt.
Nach SPIEGEL-Recherchen sind auch die Livestream-Videos, die die Attentäter von Halle und von Christchurch gefilmt hatten, immer noch für jedermann abrufbar auf der Plattform zu finden. Telegram spielte gerade für die erste, massenhafte Verbreitung des Videos des Halle-Attentäters eine entscheidende Rolle. Die Videos sind in voller Länge abrufbar, inklusive der Todesschüsse. Sie können mit wenigen Klicks in öffentlichen Kanälen, die für ihre rechtsextremistischen Inhalte bekannt sind, angesehen werden und haben mehrere Zehntausend und in einem Fall mehr als 100.000 Aufrufe.
"Telegram ist zu einem wichtigen Knotenpunkt geworden, der rechtsextreme Akteure aus verschiedenen Spektren zusammenführt", heißt es in der Studie von Jugendschutz.net. Die Plattform würde die internationale Vernetzung des Rechtsextremismus stärken. Es würden Gefechtstaktiken und Anleitungen zum Waffenbau geteilt und Nachahmungstaten von Terroranschlägen ermutigt, schreiben die Autoren.
Trotz Meldung löscht das Unternehmen nur jeden zehnten Beitrag
Als Kompetenzzentrum von Bund und Ländern untersucht Jugendschutz.net auch den Umgang großer Internetunternehmen mit illegalen und jugendgefährdenden Inhalten. Für die aktuelle Studie wurden rund 200 klar illegale, rechtsextremistische Inhalte über eine interne Meldefunktion der App und per E-Mail an die Betreiber von Telegram gemeldet.
Laut der Studie sind nur knapp elf Prozent der gemeldeten Inhalte gelöscht worden. Die übrigen Inhalte, die wegen Volksverhetzung, verfassungsfeindlicher Kennzeichen oder Holocaust-Leugnung in Deutschland strafbar sind, blieben weiterhin online.
Telegram zeige kein proaktives Vorgehen gegen die drastischen Verstöße und reagiere nur unzureichend auf Meldungen, bilanzieren die Studienautoren. Telegram hat auf eine Anfrage des SPIEGEL mit Fragen zur Löschpraxis nicht geantwortet.
spiegel
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