Es ist die Nase, die den Ford Taunus so unvergleichlich macht. Mittig auf der Motorhaube erstreckt sich eine Wölbung, um sich dann von vorn bis zur Frontscheibe zu ziehen. Wie eine knubbeliger Riechkolben. Ungewöhnlich, auffällig und natürlich bewusst so gewählt.
Der Mann für die Nase
Doch das ist nicht die einzige Kuriosität dieses Autos. Der intern nur Typ TC (für Taunus Cortina) genannte Ford Taunus ist nahezu baugleich mit dem Ford Cortina MK III, der zeitgleich in England gebaut wird. Doch der Volksmund nennt die Mittelklasse alsbald Knudsen, mit lang gesprochenem U. Benannt ist das Modell nach einem seiner Schöpfer. Semon "Bunkie" Emil Knudsen. Der Mann ist zwar nur 19 Monate Ford-Chef, von 1968 bis 1969, bewirkt in dieser Zeit aber eine kleine Design-Revolution.
Der Manager war vorher fast 30 Jahre beim Konkurrenten GM und dort schon für einige "Kühler-Nasen" verantwortlich. Entsprechend verlangt er von den Ford-Designern prägnante Fahrzeuge. Seinem ersten Modell, dem Ford Thunderbird, verpasst Knudsen schon eine Ausbuchtung in der Motorhaube. Der Kölner-Ford-Design-Abteilung lässt er kurz nach seinem Eintritt bei Ford mitteilen, dass er sich beim neu zu entwickelnden Taunus keine glatte Motorhaube wünscht, sondern eine eher barocke amerikanische Formensprache. Die Designer reagieren. Zwar besitzt schon der Vorgänger P7b eine leichte Ausbuchtung, doch beim neuen Taunus wird sie zu einem markanten Profil, dass das Auto unverwechselbar machen soll.
Der Stil kommt an. Anfang 1970 rennen Interessierte den Ford-Händlern die Türen ein, als der Taunus als Nachfolger des P6 auf den Markt kommt. Zudem nennt Ford nach der Stilllegung beim P6 und P7 seine Mittelklasse wieder Taunus – ein Name, der schon seit 1939 verwendet wird. Mit 6655 Mark ist der neue Taunus 1970 günstiger als der Opel Rekord und nur unwesentlich teurer als der kleinere VW Käfer – dem Urmeter der damaligen Mobilität. Der Ford-Schlüssel zum Erfolg.
Käfer-Fahrer sind begeistert
Ford bietet das Fahrzeug, in vier Karosserievarianten an: als zweitüriges Fastback-Coupé, zweitürige Limousine, viertürige Limousine und als Turnier genannten Kombi. Dazu kommen die verschiedenen Ausstattungsvarianten Standard, L oder XL (dann sogar mit beheizbarer Heckscheibe), die Details wie dicke Teppichböden, Wischwasch-Anlage (bedienbar über den linken Fuß) und beim Coupé hintere Ausstellfenster bieten. Vor allem Käfer-Fahrer sind begeistert. Sind das doch alles Beigaben, die sie von der Wolfsburger Asphalt-Kugel nicht kennen. Zudem macht der Taunus als GT einen auf sportlich, setzt auf Sportfelgen aus Stahl, Kunstleder, Drehzahlmesser und eine Uhr. Der GXL verbindet den GT mit dem XL und kommt zusätzlich mit schwarzem Vinyldach, plüschigen Velourstoff und Chromleisten an der Pedalerie daher. Später heißen die Varianten N, L, GL, S und Ghia – in Köln wird das Luxus-Modell rheinisch "Dschia" ausgesprochen.
Mehr Design in der Mittelklasse bietet damals kein anderer Hersteller fürs Geld. Zu der Knudsen-Haube kommen das barock gezeichnetes Blech, ausreichend Chrom und elegante Scheinwerfer sowie ebensolche Rückleuchten. Als Basis dienen moderne und laufruhige Reihenvierzylinder, abgeleitet aus dem US-Modell Ford Pinto, mit obenliegender Nockenwelle und mit 1,3 und 1,6 Litern Hubraum, sie leisten zwischen 55 PS und 88 PS. Statt V4 setzt der neue Taunus als GXL auf einen laufruhigen V6 mit zwei Liter Hubraum. Anfangs leistet der Motor 90 PS, ab 1971 sogar 108 PS aus 2,3 Liter Hubraum – kein deutscher Hersteller bietet einen günstigeren Sechszylinder.
Der treibt auch nach fast 50 Jahren die zweitürige Limousine flott voran. Der V6 dreht nach dem Starten ruhig hoch, das Viergang-Getriebe schaltet sich flüssig. Nur die langen Wege zwischen den einzelnen Gängen und der weit vorne positionierte Schalthebel sind ungewohnt. Mit leichten Vibrationen zieht der Taunus durch die Stadt, verfällt schon bei 40 km/h im dritten Gang in den Cruiser-Modus. Die weichen Ledersitze fühlen sich bequem an, der Anschnallgurt schlabbert derweil um die Schulter. Durch die großen und weit nach unten reichenden Seitenscheiben dringt viel Licht ins Auto.
Sportliche Optik, unsportliches Fahrwerk
Gefühlt fährt man in einem Glaskasten, was der Rundumsicht guttut, und die Passagiere sind eins mit der Umgebung. Die 90 PS würden für 163 km/h reichen, doch das Vertrauen in die vorderen Scheiben- und hinteren Trommelbremsen, die hinter 165/ SR13-Rädern liegen, ist nicht besonders groß. Daher lieber gleiten und genießen. Das dünne Lenkrad führt den Taunus mit leichtem Spiel durch die Kurven. In dem nüchternen Armaturenbrett zittert die Tachonadel und im Heck summt das Differenzial. Knudsen-Taunus fahren ist also ein multisensorisches Erlebnis.
Außerdem: So sportlich der Zweitürer auch aussieht, so unsportlich ist das Fahrwerk. Schon damals kritisierten Tester, dass es hart und zu stößig arbeitet – das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch nicht geändert. Schon bei der kleinsten Bodenwelle reicht es Schläge trotz der weichen Sitze an die rückwertigen Dienste durch. In Kurven haben die Passagiere Mühe, sich in den Polstern zu halten. Dazu schaukelt die Karosserie schnell und stark auf. Denn beim Fahrwerk bleibt Ford sich im Vergleich zum Vorgänger treu: hintere Starrachse an zwei Längs- und Diagonallenker, darin Schraubenfedern und Dämpfer. Vorne gibt es doppelte Dreiecksquerlenker. Auf Blattfedern verzichten die Ingenieure zwar und montieren stattdessen Schraubenfedern, doch das rumpelige Stempeln lässt sich dadurch nicht beheben.
Hauptproblem ist die Verarbeitung
Das Hauptproblem der ersten Jahre ist aber ein anderes: Der attraktiv verpackte Taunus ist derart schlecht verarbeitet, dass es vom ADAC 1971 die silberne Zitrone für das pannenanfälligste Auto verliehen bekommt. Als Neuwagen, wohlgemerkt. Vieles im Ford klappert und rappelt, die Motoren verlieren Öl, Passungen stimmen nicht und Zierteile fallen einfach ab. Gut erhaltene Modelle haben heute in der Zustandsnote 3 einen Marktwert zwischen 3800 Euro und 12.100 Euro. Am höchsten wird das Taunus Coupé 2300 S mit 109 PS als GT oder GXL gehandelt.
Die von Journalisten und vielen Kunden monierten Schwächen versucht Ford mit den Modellpflegen 1973 und 1975 in den Griff zu bekommen. Bis Ende 1975 verkauft Ford immerhin über 1,1 Millionen Taunus TC, trotz des stark sinkenden Absatzes im Zuge der Ölkrise 1973. Die Qualität wird besser, das Fahrwerk dank zusätzlicher Stabilisatoren weicher und es wird ein übersichtlicheres Cockpit montiert. Dazu kommen optische Änderungen an Zierleisten und Schriftzügen. Statt Turnier nennt sich der Kombi nun „Freizeit-Taunus“. Kein Witz!
Das findet auch die Kundschaft nicht lustig. Auch das geänderte Design des Taunus TC Serie II und ab 1980 Serie III kommt nicht gut an. Wichtigste Änderung: die prägnante Nase muss einer glatten und langweiligen Motorhaube weichen, dazu fällt das coole Coupé aus dem Programm. Bei der Serie III sind Dachaufbau und Fenster höher, Frontschürze neu, seitliche Blinker um die Ecken, Frontgrill in Lamellendesign und Rückleuchten vergrößert.
1982 rollt der letzte Taunus vom Band, es folgt der in vielen Bereichen deutlich modernere Ford Sierra. Der ist konsequent aerodynamisch und für eine Nase auf der Motorhaube ist nun endgültig kein Platz mehr.
Quelle: ntv.de
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