"Es geht nicht um Stolz, es geht um unsere Zukunft"

  14 Juli 2020    Gelesen: 644
"Es geht nicht um Stolz, es geht um unsere Zukunft"

Gebaut in Amerika, gestartet in Japan - die Marssonde "Hope" der Vereinigten Arabischen Emirate soll mehr sein als ein teures Spielzeug der Scheichs. Es geht um wichtige Wetterdaten vom Roten Planeten.

Noch nicht einmal einer Handvoll Weltraumagenturen ist es bisher gelungen, eine Sonde zum Mars zu bringen. Weich gelandet sind bisher nur die Amerikaner und - für kurze Zeit - die Sowjets. Sonden, die den Roten Planeten umkreisen, gibt es außerdem noch aus Europa und Indien.

Etwa alle zwei Jahre stehen sich Mars und Erde auf ihren jeweiligen Bahnen nahe. Dann ist ein guter Zeitpunkt, eine Forschungsmission zum Roten Planeten zu schicken. In diesem Sommer passt die Konstellation wieder. Die Amerikaner wollen daher bald das neue Roboterauto "Perseverance" zum Mars schicken. Die Europäer hatten ähnliches vor, mussten aber aus technischen Gründen ihre geplante Mission verschieben.

Dafür machen in diesem Sommer nun zwei weitere Staaten Anstalten, den Planeten zu erreichen. Neben China, das einen Roboter auf der Oberfläche absetzen will, bringt auch ein Land eine Mission auf den Weg, das bisher überhaupt keine Rolle bei der Erforschung des Sonnensystems gespielt hat: Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) wollen am Mittwochabend (22:51 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit) ihren Mars-Orbiter "Hope", also Hoffnung, starten. Der arabische Name lautet "Amal".

Es geht um die Zeit nach dem Öl
Gebaut wurde die Sonde am Fuße der Rocky Mountains in den USA, durch die Welt transportiert mit einem russischen Schwerlastflugzeug, ins All gebracht wird sie nun auf einer Mitsubishi-Rakete vom Tanegashima Space Center im Südwesten Japans aus. Und doch, so sagen die Verantwortlichen vom Persischen Golf, handle es sich um ein originäres Projekt der Emirate - und nicht nur um ein eingekauftes Raumfahrzeug, auf das man am Ende noch einen Aufkleber mit der Nationalfahne geklebt hat. 

Missionsleiter Omran Sharaf berichtet im Videointerview mit dem SPIEGEL von den jahrelangen Vorarbeiten, vom amerikanisch-emiratischen Ingenieurteam, das die Sonde entwickelt und hergestellt habe, vom Kontrollraum am Mohammed bin Rashid Space Centre in Dubai, aus dem sie nach dem Start gesteuert wird – und vom strategischen Wert der Mission für sein Land:  "Es geht nicht um Stolz, es geht um unsere Zukunft."

Die Emirate wollten ihre Wirtschaft für die Zeit umbauen, wenn sie ihre Einnahmen nicht mehr hauptsächlich mit dem Verkauf von fossilen Brennstoffen verdienen. Um sich für die "Post-Öl-Wirtschaft" fit zu machen, wolle man mehr junge Menschen für eine Karriere in den Natur- und Ingenieurwissenschaften begeistern, so Sharaf. Die Arbeit an der 1.350 Kilogramm schweren Sonde von der Größe eines Autos und die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das Observatorium liefert, sollen dafür "den Ball ins Rollen bringen".

Mit einer Entwicklungszeit von nur sechs Jahren und einem Budget, das mit 200 Millionen Dollar angegeben wird, ist das Projekt sehr schnell und vergleichsweise billig umgesetzt worden. Das sei nur möglich gewesen, weil man nicht alle Komponenten selbst designt, sondern auf verfügbare Technologie gesetzt habe, sagen die Emiratis. Man kann auch sagen: Keines der Messgeräte ist eine Neuentwicklung, alle sind so ähnlich auf früheren Missionen schon einmal ins Sonnensystem geflogen.

Konstruiert und getestet wurde die Sonde vor allem am Laboratory for Atmospheric and Space Physics der University of Colorado. Dort hat man bereits viel Erfahrung mit dem Bau von Instrumenten für Satellitenmissionen der Nasa. Auch Forscher der Arizona State University und University of California waren an der Entwicklung beteiligt. Zur Kommunikation mit der Sonde sollen die riesigen Antennen des Deep Space Network der US-Weltraumbehörde Nasa genutzt werden.

Dennoch baue man Wissen im eigenen Land auf, versichert Sharaf. Nicht nur beim Team junger Ingenieure, die am Bau der Sonde beteiligt waren, nicht nur beim wissenschaftlichen Personal, das "Hope" auf seinem Flug betreuen soll. Bis jetzt belegten Studenten in den Emiraten fast immer wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge. Das ändere sich langsam: "Wegen der Mission haben Universitäten angefangen, Naturwissenschaftsprogramme aufzulegen, Studenten haben ihre Fächer gewechselt."

Starthilfe für die Forschung
Das Wissenschaftsmagazin "Nature" bestätigt, die Mission habe der Forschung in den Emiraten "Starthilfe gegeben". Außerdem wird herausgestellt, dass Frauen gut ein Drittel des "Hope"-Teams ausmachen, bei der wissenschaftlichen Mannschaft sind es gar 80 Prozent. Wird aber, so fragt der Artikel, "die Dynamik anhalten"?

Sharaf gibt sich jedenfalls überzeugt. Gleichzeitig verspricht er der globalen wissenschaftlichen Community durch die Mission frei verfügbare Daten vom Mars, die bisher noch nicht zur Verfügung stünden: Ziel sei es, das erste vollständige Bild des Klimas des Roten Planeten über ein komplettes Jahr zu erfassen. Ein Jahr auf dem Mars dauert rund 700 Tage, also rund doppelt so lang wie auf der Erde. Der im Sonnensystem von uns aus gesehen weiter außen liegende Planet braucht so lange, um eine Runde um die Sonne zu absolvieren.

"Wissenschaftlich gesehen ist das durchaus interessant"
In der dünnen Gashülle des Mars soll sich die in einem 20.000 bis 43.000 Kilometer vom Boden entfernten Orbit fliegende Sonde das Verhältnis zwischen den oberen und unteren Schichten ansehen. Das soll zum Beispiel erklären helfen, wie Staubstürme an der Oberfläche dafür sorgen, dass Wasserstoffmoleküle in höhere Schichten getragen werden. Aus Messungen der Nasa-Sonde "Maven" haben Wissenschaftler bereits erste Erkenntnisse darüber, wie die Kräfte des Sonnenwindes solche Moleküle von dort ins All reißen.

Der europäische "ExoMars Trace Gas Orbiter" hat den Zusammenhang zwischen Staubstürmen und dem Wasserstoff ebenfalls untersucht und darüber hinaus präzise Messungen von Spurengasen wie Wasserdampf oder Stickoxiden geliefert. Methan fand sich nicht, ein Widerspruch zu früheren Ergebnissen der ebenfalls europäischen Mission "Mars Express".

Dennoch blicken nicht an der "Hope"-Mission beteiligte Forscher zumindest mit einigem Wohlwollen auf das Projekt. "Wissenschaftlich gesehen ist das durchaus interessant", sagt Paul Hartogh vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Er ist wissenschaftlich an einem Messgerät auf dem "ExoMars Trace Gas Orbiter" beteiligt. "Die auf 'Hope' eingesetzten Messgeräte sind vielleicht nicht die technisch am weitesten entwickelten", sagt er. "Sie sollten aber gerade deswegen solide funktionieren und verlässliche Daten liefern."

Hartogh sagt auch, dass die geplante Umlaufbahn der Sonde um den Mars tatsächlich bisher noch nicht genutzt wurde. Auf ihr ließen sich zum Beispiel tageszeitliche Effekte in der Atmosphäre beobachten. "Das ist eine gute Idee." "Die Mission bietet eine neue Sichtweise für die Beobachtung des Mars, die uns bisher fehlte", sagt auch Jorge Vago, der bei der der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) als Projektwissenschaftler für die Mission „ExoMars“ arbeitet. "Andere Sonden liefern sicherlich bessere Einblicke auf der Mikroebene, diese hier hilft beim globalen Blick."

"Wenn etwas passiert, werden wir trotzdem weitermachen"
Die Emirate verfolgen seit einiger Zeit ein immer ambitionierteres Raumprogramm: Los ging es vor gut zehn Jahren mit zwei Erdbeobachtungssatelliten ("Dubai Sat"), die in Kooperation mit Südkorea entwickelt wurden und auf russischen Raketen starteten. 2018 flog außerdem der Erdbeobachtungssatellit "KhalifaSat" mit japanischer Technik ins All. Einen weiteren Mini-Satelliten startete man mit einer SpaceX-Rakete von Elon Musk.

Der bisherige Höhepunkt folgte im September und Oktober 2019, als der Militärpilot Hassa al-Mansuri als erster Astronaut seines Landes für eine gute Woche mit einer russischen "Sojus"-Kapsel zur Internationalen Raumstation flog. Inzwischen habe sein Land angekündigt, das Astronautenkorps auf vier Raumfahrer aufzustocken, sagt Sharaf. "Und wir planen nicht, dort aufzuhören."

Zuerst aber soll erst einmal "Hope" zum Mars fliegen. "Der Mars ist schwierig, der Mars ist hart. Wir verstehen das als Team und die Regierung versteht das auch", sagt Sharaf. "Wenn etwas passiert, Gott bewahre, werden wir trotzdem weitermachen."

Es gab übrigens Ende der Neunziger auch einmal eine japanische Marssonde, also aus dem Land, von dem aus die Emirate ihre Mission nun starten. Dieses Observatorium wurde allerdings auf seinem Flug durch eine Sonneneruption schwer beschädigt. Es konnte nicht in die Umlaufbahn um den Roten Planeten einschwenken und kreist seitdem auf einer fernen Umlaufbahn um die Sonne. Sein Name: "Nozomi". Das ist das japanische Wort für Hoffnung. Oder eben "Hope".

spiegel


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