Wenn an den Stränden Israels sich Sonnenanbeterinnen räkeln und Rettungsschwimmer aus ihren hohen Holzhütten mit ihren Megafonen die Gäste auf Sicherheitsbestimmungen hinweisen, dann ist die Sommersaison eröffnet. Auch wenn sich dieses Jahr der Beginn wegen der Corona-Pandemie um einige Wochen nach hinten verschoben hat. Zwar kann man in Israel oft das ganze Jahr über an den Strand gehen, doch Rettungsschwimmer sorgen mit ihrem "Hassake" - einem XXL-Brett für Steh-Paddler - und vielen Jetskis nur zwischen April und Oktober für Sicherheit.
Die Zeit am Strand ist unweigerlich mit Risiken verbunden und in einigen Situationen können selbst die besten Rettungsschwimmer nicht helfen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist mit sieben Prozent das Ertrinken die weltweit dritthäufigste Ursache für unbeabsichtigte verletzungsbedingte Todesfälle. Bei Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren ist es sogar einer der häufigsten Todesursachen. Jedes Jahr ertrinken weltweit fast 400.000 Menschen.
"Seitdem Ende Mai landesweit die Strände wieder öffneten, kommen jeden Tag Tausende von Besuchern", erzählt Matan Kolka, Direktor der Gesellschaft für Naturschutz in Israel vom Palmachim-Strand südlich von Tel Aviv. Die acht Kilometer lange Sandküste, die neben dem gleichnamigen Kibbuz liegt, ist ein Naturschutzgebiet mit vielen Kleintieren und Vögeln. Neben wilden Stränden - unter anderem für Nudisten - wird ein Ein-Kilometer-Streifen von Rettungsschwimmern bewacht. "Bei Massenandrang haben unsere Rettungsschwimmer viel zu tun. Und obwohl sie professionell arbeiten, ist es schwierig, eine so große Anzahl von Menschen im Auge zu behalten", sagt Kolka.
"Die Ergebnisse sind interessant"
Um Abhilfe zu leisten, hat das 2018 gegründete israelische Startup "Sightbit" eine Technologie mittels künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt, die das Strandpersonal alarmiert, wenn Badegäste in Gefahr sind. "In Kooperation mit unserer Behörde führt das Unternehmen mit Sitz in Be'er Scheva sein Testprogramm aktuell am Strand von Palmachim durch", erzählt Kolka. Die Ergebnisse seien interessant. Wenn die Entwicklung der KI abgeschlossen sei, "kann sie landesweit unsere Teams an jedem Strand nachhaltig unterstützen".
Mittels vieler Strandkameras bekommen Rettungsschwimmer einen Panoramablick über das Meer, den Strand und die Badegäste. Die Software, die neben der Beobachtung der Wasserbewegung auch gefährliche Bereiche des Strandes markiert, fokussiert vor allem gefährdete Personengruppen wie ältere Menschen und Kinder. Ein rot blinkendes Kästchen zeigt zusätzlich die Verfolgung gefährdeter Badegäste an.
Das Filmmaterial wird zu einem Datenstrom zusammengefasst, Algorithmen analysieren die Videofeedbacks. Die Ausgabe erfolgt in Echtzeit am Bildschirm, der vom Strandpersonal im Auge behalten wird. Wenn das System eine Gefahr erkennt, wie zum Beispiel eine starke Strömung, Menschen in tiefen Gewässern oder Kinder, die alleine schwimmen, dann erscheint entweder ein visueller Alarm und das Programm zoomt auf die Person oder es ertönt ein Notsignal.
"An jedem Strand einsetzbar"
"Unsere Software kann an jedem Strand verwendet werden", sagt Minna Shezef, Mitbegründerin und Marketingdirektorin des Unternehmens. "Es wird die Art, wie Strände gemanagt werden, total verändern." Sightbit bietet auch Risikoanalysen an, um Daten von Sandküsten zu liefern, an denen eine entsprechende Anzahl an Rettungsschwimmern am dringendsten benötigt wird, und sucht selbst nach Lösungen, wie man große Menschenmengen beaufsichtigt. Auch sagt es die Wetter- und die Seebedingungen voraus.
"Unsere Technologie ist im Wesentlichen ein KI-Rettungsschwimmer", sagt Shezaf. "Das Strandpersonal kann nicht alle Badegäste samt Gefahren gleichzeitig überwachen, deshalb werden unsere Kameras an Orten stationiert, wo Lifeguards trotz ihrer Ferngläser kaum Überblick haben." Sightbit wurde nach eigenen Angaben inzwischen eingeladen, zusätzliche Pilotprojekte an Stränden in den USA und in Europa durchzuführen.
Unternehmen und Institutionen haben begonnen, das Potenzial des innovativen Systems von Sightbit zu erkennen. Cactus Capital, die erste von Studenten geführte universitäre Risikokapitalfirma in Israel und ein Venture-Zweig der Ben-Gurion-Universität (BGU) in Be'er Scheva, hat sich mit dem Startup zusammengetan, um eine erste Finanzierungsrunde sowie ein Netzwerk von Ressourcen bereitzustellen.
Rettungsschwimmer bald überflüssig?
"Unser Kapitalanlagefonds mit besonderem Investitionskurs ermöglicht es, Studenten eine neue Art von Geschäftsführung auf der Grundlage praktischer Erfahrung beizubringen", sagt Dana Friedman, Direktorin für Unternehmertum an der BGU. Der Risikokapitalfonds investiert 20.000 bis 100.000 US-Dollar in neu gegründete Technologieunternehmen der besten Absolventen. "Sightbit hat uns überzeugt", erklärt Friedman. "Wir konnten uns mit Ihrer innovativen Technik, die sich auch für Umwelt und Nachhaltigkeit einsetzt, sofort identifizieren."
Auch Matan Kolka sieht die innovative Lösung des Startups, die Sicherheit der Badegäste mithilfe fortschrittlicher Technologien zu gewährleisten, positiv. "Die Software, die sich noch in der Entwicklungsphase befindet, ist sehr interessant für uns und kann unseren Gemeinden viel Geld einsparen." Angst, dass die KI dem Badepersonal die Arbeitsplätze streitig macht, hat er nicht: "Das Programm ist eine zusätzliche Hilfe, um die Arbeit der Rettungsschwimmer zu professionalisieren", sagt er. "Letztendlich geht es darum, Leben zu retten. Und wer dies tut - so steht es schon im Talmud, dem wichtigen jüdischen Schriftwerk - der rettet die ganze Welt."
Quelle: ntv.de
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