Die Verbreitung des Virus Herpes simplex (HSV) in der europäischen Bevölkerung geht beständig zurück. Die Häufigkeit der gängigsten Variante HSV-1 sinke in Europa pro Jahr um etwa ein Prozent, berichten Forscher um Laith Abu-Raddad vom Ableger der Cornell University in Doha im Golfemirat Katar. Besonders deutlich geht das Virus demnach in Nord- und Westeuropa zurück, wozu auch Deutschland zählt. Allerdings steige der Anteil von HSV-1-bedingten Fällen bei Genitalherpes, schreibt das Team im Fachblatt "BMJ Global Health". Die Studie deckt sich nach Angaben eines deutschen Experten mit der Entwicklung hierzulande.
Von dem Erreger HSV kursieren zwei Varianten: Den weitaus häufigeren Typ HSV-1 ziehen sich Menschen meist schon in der Kindheit über Speichel und Schmierinfektionen zu. Die lebenslange Infektion löst - etwa durch Sonnenlicht oder bei Stress - vor allem Lippenherpes aus, kann aber auch andere Probleme verursachen, etwa Genitalherpes und bei schweren Verläufen eine Infektion des Zentralen Nervensystems. Der seltenere Typ HSV-2 entsteht dagegen durch Schleimhautkontakt und befällt typischerweise den Genitaltrakt.
Große regionale Unterschiede bei Verbreitung
Weltweit ist HSV-1 weit verbreitet - allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Das Team um Abu-Raddad wertete nun 142 Studien zur Situation in 25 Ländern Europas aus. Demnach tragen nur noch zwei Drittel (67,4 Prozent) der Menschen in Europa den Erreger - das sei weniger als in den meisten anderen Weltregionen. Die Verbreitung sinkt demnach pro Jahr um etwa ein Prozent.
Die Häufigkeit steigt erwartungsgemäß mit dem Alter an. Überraschend ist dennoch der Befund, dass nur ein Drittel der Kinder und nur rund 39 Prozent der Menschen unter 20 das Virus tragen, im Vergleich zu knapp 74 Prozent der Erwachsenen. In der Altersgruppe über 50 sind knapp 83 Prozent infiziert. Das erklären die Autoren damit, dass sich früher wesentlich mehr Menschen in der Kindheit infiziert hätten. Die geringe Inzidenz heutiger Kinder führen die Forscher auf kleinere Familien, kleinere Schulklassen und bessere Hygiene zurück.
Schon innerhalb Europas deutliche Unterschiede
Allerdings verweisen sie auf deutliche Unterschiede innerhalb Europas: In Nordeuropa tragen demnach knapp 58 Prozent der Menschen den Erreger, in Westeuropa - wozu Deutschland zählt - sind es 66 Prozent, in Südeuropa 77 Prozent und in Osteuropa knapp 79 Prozent. Da die Metaanalyse die Studien je nach Qualität und Umfang der untersuchten Population unterschiedlich gewichtet, stimmt der Mittelwert aus den Regionen nicht mit der errechneten Prävalenz für Gesamteuropa überein.
Neben dem erfreulichen HSV-1-Rückgang besorgt die Forscher aber ein zweiter Trend: Demnach verursacht dieser Erreger inzwischen häufiger Genitalherpes - und der Anteil steigt pro Jahr um etwa ein Prozent. Frauen seien deutlich stärker betroffen als Männer, betont das Team - möglicherweise weil viele jüngere Frauen ältere Partner hätten.
Mehr junge Menschen früher sexuell aktiv
Der generelle Rückgang der HSV-1-Prävalenz in Europa sei eine positive Entwicklung, biete aber auch Anlass zu Sorge: "Ein größerer Anteil junger Menschen (bis zwei Drittel) erreicht anders als früher die sexuell aktive Phase ohne HSV-1-Infektion und hat damit das Risiko, die Infektion genital zu erwerben", betonen die Forscher und verweisen auf negative Auswirkungen von Genitalherpes auf das Sexualleben und die Lebensqualität. Dazu erläutert Klaus Jansen vom Robert-Koch-Institut (RKI): Habe jemand erst beim Sex Erstkontakt mit dem Erreger, steige das Risiko für Genitalherpes.
Jansen bestätigt die sinkende Verbreitung von HSV auch hierzulande: "Diese Entwicklung sehen wir seit einigen Jahren." Mit einem Team hatte der Infektionsepidemiologe dazu 2017 im Fachblatt "BMC Infectious Diseases" eine Studie veröffentlicht. Demnach sank die Verbreitung von HSV-1 in Deutschland von etwa 1998 bis etwa 2010 von 82 auf 78 Prozent. HSV-2 ging in dem Zeitraum von gut 13 auf knapp 10 Prozent zurück. Auch hierzulande sind beide Erreger bei Frauen etwas weiter verbreitet als bei Männern.
Die Autoren der aktuellen Studie sehen die dynamische Entwicklung als Grund dafür, die HSV-Häufigkeit weiter sorgfältig zu beobachten und einen Impfstoff zu entwickeln. Mehrere Impfstoffe würden derzeit untersucht, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das wäre unter anderem auch deshalb wichtig, so betont RKI-Experte Jansen, weil Genitalherpes die Anfälligkeit für eine HIV-Infektion deutlich erhöht.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa
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