So könnte Kanye West für Trump-Sieg sorgen

  21 Juli 2020    Gelesen: 401
  So könnte Kanye West für Trump-Sieg sorgen

Kanye Wests Präsidentschaftskandidatur bringt viel Drama und wirre Auftritte. Der Plan des Musikers wird belächelt. Dabei könnte West trotz abstruser Ideen und Pläne bei der Wahl im November wichtige Stimmen abgreifen und damit Donald Trump zur Wiederwahl verhelfen.

Die Idee zu einer Kandidatur sei ihm im Bad gekommen. Im Haus seiner Schwiegermama, der Mutter von Kim Kardashian-West. Das sagt bereits viel aus über Kanye Wests wunderlichen Plan, nächster Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Als notorischer Nichtwähler. Am Sonntag eröffnete der Rapper, der an einer bipolaren Störung leidet, nun offiziell seinen Wahlkampf - samt schusssicherer Weste, Tränen, intimen Geständnissen und Seifenopfer-Drama.

Die bisher bekannten Inhalte von Wests Wahlkampf übertreffen das locker. Tesla-Milliardär Elon Musk soll "Kopf des Raumfahrtprogramms" werden, das Weiße Haus soll so organisiert werden wie der imaginäre Staat Wakanda im Marvel-Blockbuster "Black Panther" und mit einer Corona-Impfung wäre er "vorsichtig", weil "sie Chips in uns stecken wollen", mit denen man nach dem Tod nicht durch die Himmelspforten schreiten könne. Der seit Kurzem extrem gläubige Musiker, der auch die Trennung von Kirche und Staat mit dem Einzug von Religion in alle Schulen unterwandern will, ist ein äußerst konservativer Zentrist. Seine Partei nennt er ohne große Umschweife "Geburtstagspartei", weil es im Falle eines Sieges so wäre, als hätte jeder Geburtstag.

Kann West mit solchen Vorstellungen wirklich US-Präsident werden? Zumindest dieses Jahr mit Sicherheit nicht: Zwar hatten die wenigstens Donald Trump den Sieg Monate vor der Wahl 2016 zugetraut, aber der Musiker geht nicht für eine der beiden großen Parteien ins Rennen und steigt so spät in den Wahlkampf ein, dass er es in manchen Bundesstaaten gar nicht mehr auf die Wahlzettel schaffen kann. Aber die Frage, ob man die Kandidatur ernst nehmen muss, sollte West den Präsidentschaftswahlkampf wirklich durchziehen, ist eine andere und darf nicht missachtet werden. Denn der 43-Jährige könnte den US-Wahlkampf in den nächsten vier Monaten gehörig durcheinanderbringen - und sogar Trump zum erneuten Präsidenten machen.

"Kleinste Unterschiede können Wahl entscheiden"

Trump hat das Problem, fast die komplette Wählerschaft der People of Color (PoC) an Biden verloren zu haben. Schließlich kommuniziert er seit Längerem offen seine rassistischen Tendenzen. "Kanye West könnte Donald Trump da in die Hände spielen", sagt Thomas Greven, Experte für das Parteiensystem und den Wahlkampf in den USA am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Der Präsident habe "völlig aufgegeben, für afroamerikanische Wähler interessant zu sein, und zwar in stärkerem Maße als jeder republikanische Kandidat seit Beginn der 1960-Jahre". West sei für Trump nützlich, denn er könnte dem Kandidaten der Demokraten, Joe Biden, "die eine oder andere Stimme wegnehmen", wenn es um die PoC-Wählerschaft geht.

Zwar führt Biden in manchen Umfragen mit zehn oder mehr Prozentpunkten. Aber im US-amerikanischen Wahlsystem, in dem nicht die Menge an landesweiten Stimmen, sondern an Wahlmännern den Präsidenten wählt, will das nichts heißen. "Kleinste Unterschiede können dort die Wahl entscheiden", sagt Greven. Es komme ganz genau darauf an, wer wo und mit wie viel Abstand gewinne: "Wenn nun eine Drittparteien-Kandidatur von Kanye West in einem Bundesstaat, in dem es eng ist, genug afroamerikanische Stimmen von Joe Biden abzieht, um dann auf einmal Donald Trump alle Wahlmänner zuzuspielen, dann hat diese marginale Kandidatur tatsächlich eine Konsequenz gehabt."

Wenig Stimmen, große Konsequenzen

Eine größere Bedeutung hätten laut Greven vermutlich die Anstrengungen der Republikaner, die Wahlbeteiligung der jungen Wähler zu be- und verhindern. Aber Wests Kandidatur könnte am Ende durchaus das Zünglein an der Waage sein. Denn immer wieder zeigen die US-Wahlen, dass es selbst bei großen Unterschieden in der nationalen Auszählung am Ende erstaunlich niedrige Zahlen an Wählern gebraucht hätte, die sich in entscheidenden Staaten hätten umentscheiden müssen, um das ganze Ergebnis zu kippen. Bei der Wahl vor vier Jahren hatte beispielsweise die vergleichbar geringe Anzahl von 80.000 Stimmen den Ausschlag für Trump gegeben. Im Jahr 2000 fehlten Al Gore nur berühmt-berüchtigte 269 Stimmen in Florida, mit denen er und nicht George W. Bush Präsident geworden wäre.

"Die Möglichkeit, die Wahl in den USA zu beeinflussen, hat also unglaublich mehr Potenzial, als wenn es tatsächlich eine landesweite Auszählung gäbe", sagt US-Experte Greven. Laut der "Washington Post" könnten allein 11.000 Stimmen in Michigan im November das Ergebnis zugunsten von Trump entscheiden. 6000 Menschen kamen im September 2019 zu Wests "Sunday Service Konzert" - die Show war weniger als 24 Stunden vorher angekündigt worden.

Ob West die PoC-Wähler tatsächlich aufgrund seiner Hautfarbe erreichen könnte, ist diskutabel. Greven glaubt eher, dass wegen Corona und der hohen Arbeitslosigkeit rational gewählt wird. Fakt ist aber, dass sich viele Minderheiten in den USA derzeit so fühlen, als würden die Demokraten ihre Stimmen als selbstverständlich ansehen. "Dabei ginge es dann nicht um eine rationale Abwägung, denn dann müssten die Afroamerikaner den Demokratischen Kandidaten wählen, der auch eine wirkliche Chance auf die Präsidentschaft hat", sagt Greven. "Es wäre eine symbolische Wahl." Seitdem sich West 2005 für die Opfer des Hurrikans "Katrina" starkmachte, wird er von vielen PoC als Protestperson angesehen. Das passt zur derzeitigen Lage in den USA mit den Black-Lives-Matter-Demonstrationen. Sein neustes Video trifft mit der Darstellung von Polizei-Brutalität und dem Preisen von Schwarz-Sein den Zahn der Zeit.

Verhilft Ablenkungsmanöver West Trump zum Sieg?

Fakt ist auch, dass Biden Probleme hat, die junge Wählerschaft von 18 bis 29 Jahren für sich zu gewinnen. 2016 stimmten neun Prozent dieser Gruppe für einen Kandidaten einer Drittpartei, während nur drei Prozent der über 65-Jährigen dies taten. Schon im März zeigten Umfragen, dass sich dieses Jahr noch mehr junge Wähler gegen die beiden großen Parteien entscheiden könnten. Viele dieser jungen Wähler haben das Vertrauen in die hauptsächlich über 65-jährigen Politiker verloren oder sind gänzlich ohne es aufgewachsen. West ist gut dreißig Jahre jünger als die 74 und 77 Jahre alten Trump und Biden. Einerseits bekommt der Musiker für seine politischen Ambitionen im Netz viel Unmut und Häme ab, andererseits vermuten Experten in den USA, dass der Rapper einen großen Happen der Protestwähler um sich scharen könnte.

Was Trump bei der wirtschaftlichen Misere und seinen Skandalen derzeit bliebe, so Wahlkampf-Experte Greven, seien "Ablenkungsmanöver". Da wird es dem US-Präsidenten möglicherweise gelegen kommen, dass mit West ein weiterer Lautsprecher den Wahlkampf entert. Schließlich ist der Künstler einer der berühmtesten Menschen auf dem Planeten mit enormem Einfluss. Millionen hören seine Musik, tragen seine Schuhe und Kleidung. Das Spiel mit medialer Aufmerksamkeit und Inszenierung beherrscht er wie sonst nur Trump. Mit seinen Millionen Twitter-Followern und den zusätzlichen 180 Millionen Menschen, die seiner Ehefrau bei Instagram folgen, kann West auf jeden Fall für Spektakel sorgen - und zumindest auf diesem Terrain hätte Biden mit lediglich sieben Millionen Followern keine Chance.

Ob West wirklich die Stimmen der PoC und Jungen abgreifen könnte und ob ein Chaos-Wahlkampf mit dem Musiker auch Wähler vom Gang an die Urne abschrecken könnte, was ebenfalls Trump mit seiner treuen Wählerschaft in die Hände spielen würde, lässt sich schwer voraussagen. Aber, zu diesem Schluss kommt auch die "Washington Post", ernst nehmen muss man Kanye West und seine Kandidatur. Denn: Im US-amerikanischen System geben so wenige Stimmen den Ausschlag, dass die Demokraten aufpassen müssen, dass es am Ende auch wegen Kanye West, wenn er seinen Wahlkampf wirklich durchziehen sollte, nicht ein böses Erwachsen für sie gibt - und der Rapper Trump zum Präsidenten macht.

Quelle: ntv.de


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