Europa macht es besser

  23 Juli 2020    Gelesen: 511
Europa macht es besser

Die US-Wirtschaft gilt als die dynamischste der Welt. Doch die Zweifel wachsen, dass sie sich von der Coronakrise schnell erholen wird. Analysten stellen fest: Europa hat die besseren Rezepte - und vor allem Deutschland.

Die Wette der Investoren läuft: für oder gegen Amerika.

"Nichts kann Amerika stoppen", hat der 89-jährige Warren Buffett nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie erklärt. Die Nation habe schon Schlimmeres überstanden, beruhigte das Orakel aus Omaha seine Aktionäre: "Das amerikanische Wunder, die amerikanische Magie haben immer obsiegt, und so wird es wieder sein." Anfang Juli investierte seine Gesellschaft fast zehn Milliarden Dollar ins Erdgasgeschäft. Eine Vertrauenserklärung für den US-Konjunkturaufschwung.

Eine ganz andere Weltsicht präsentierte dagegen diese Woche Ruchir Sharma, Mitte 40 und Investmentexperte von Morgan Stanley. "Welches Land wird in der Post-Pandemie-Welt triumphieren?", fragte Sharma in einem Gastbeitrag für die "New York Times". Sein Tipp: nicht die Wirtschaftsmächte USA oder China. Sondern Deutschland. Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hätten die Deutschen ihre Stärken während der Coronakrise voll ausgespielt, urteilt der Autor des Buches "The 10 Rules of Successful Nations": eine effiziente Regierung, niedrige Staatsschulden, den Ruf industrieller Exzellenz und dazu eine wachsende Zahl heimischer Techunternehmen.

"Kurzarbeit" geht in den amerikanischen Wortschatz ein
Für Experten wie Sharma ist Europa in den vergangenen Wochen zum Gegenentwurf zu Trumps Amerika geworden. Die deutsche "Kurzarbeit" hat sich einen Platz im amerikanischen Wortschatz erobert und wird neuerdings als Musterrezept gehandelt, um massive Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu vermeiden. Die jüngste Einigung der EU auf ein Hilfspaket beflügelt den neuen Glauben an Europa zusätzlich. Das Konjunkturpaket und die effektive Eindämmung des Virus würden dazu führen, "dass die Erholung in der Eurozone steiler und reibungsloser ausfallen wird als anderswo - einschließlich den USA", urteilen die Goldman-Sachs-Analysten Alain Durré und Sven Jari Stehn.

Amerika gilt als die dynamischste Volkswirtschaft der Welt und nach früheren Rezessionen hat sich das ausgezahlt. Während der Finanzkrise seien in den USA fünf Prozent aller Jobs verloren gegangen, verglichen mit drei Prozent in Europa, so die Harvard-Ökonomin Megan Greene. Danach habe es 119 Monate gedauert, bis die USA wieder das Vor-Krisen-Niedrigniveau erreichten - die Eurozone aber habe das bis zum Ausbruch der Seuche nicht geschafft. Der superflexible Arbeitsmarkt sei "immer ein Markenzeichen des amerikanischen Systems" gewesen, lobte Green. Und es stehen Tausende Unternehmer und Entrepreneure in den Startlöchern, um aus jeder Krise eine Chance zu machen.

Noch vor Kurzem warnte auch Morgan-Stanley-Experte Sharma davor, Amerika vorschnell abzuschreiben. Es gebe "keinen Grund zu glauben, dass der Abschwung das Standing der Vereinigten Staaten unter den Volkswirtschaften der Welt verändert", schrieb er in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift "Foreign Affairs". Amerika sei "die Comeback-Nation" und Kritiker, die den Niedergang vorhersagten, hätten sich in der Vergangenheit stets geirrt.

Die vergangenen Wochen scheinen den eloquenten Bankstrategen, der für ein Interview nicht zur Verfügung stand, eines Besseren belehrt zu haben.

Von wegen business as usual
Die Corona-Rezession jedenfalls ist anders als frühere Konjunkturtiefs. Der Verlauf der Erholung werde "zu einem großen Teil davon abhängen, wie erfolgreich wir bei der Eindämmung des Virus sind", hat Notenbankchef Jerome Powell jüngst im Kongress erklärt - und davon, dass die Politik die Erholung mit Hilfsprogrammen unterstütze.

In beiderlei Hinsicht sieht es nicht allzu gut aus. Der Versuch des US-Präsidenten, die Rückkehr zum business as usual zu erzwingen, ist dramatisch gescheitert.

Über vier Millionen Menschen haben sich in den USA schon mit Covid-19 infiziert, und die Ausbreitung des Virus ist außer Kontrolle. "Das Ergebnis der verfrühten Öffnung der US-Wirtschaft ist, dass sich die Pandemie intensiviert hat, was nun das Wirtschaftswachstum verlangsamt", urteilt der Ökonom Joe Brusuelas. Fluggesellschaften, Restaurants und Hotels berichten, dass die Nachfrage wieder nachlässt. Das Konjunkturbarometer der New Yorker Fed, das zeitnah Daten zur Wirtschaftsaktivität erfasst, hat inzwischen wieder ins Negative gedreht. Brusuelas pessimistische Vorhersage: "Kein Impfstoff, keine Erholung."

Ökonomen fürchten die "fiskalische Klippe"
Noch halten die vom Kongress beschlossenen Hilfspakete im Umfang von zwei Billionen Dollar den Konsum der Amerikaner und damit die Konjunktur am Laufen. Doch wenn nichts geschieht, fallen Ende Juli Millionen Menschen ins Bodenlose: Dann läuft die zusätzliche Arbeitslosenunterstützung von wöchentlich 600 Dollar aus, dank derer viele ihre Miete oder Kreditkartenschulden in den vergangenen Monaten zahlen konnten. Zudem läuft am Freitag ein Moratorium aus, das viele säumige Mieter vor dem Rauswurf aus der Wohnung schützte.

Ökonomen fürchten, dass die "fiskalische Klippe", das Auslaufen der staatlichen Zahlungen, die Konjunktur gefährlich zurückwerfen könnte. In Washington verhandeln Republikaner und Demokraten kurz vor Beginn der Sommerpause deshalb über ein weiteres Hilfspaket. Doch die Differenzen sind nicht nur zwischen den beiden politischen Lagern groß. Einige Ideen des Präsidenten sind selbst in den eigenen Reihen auf Befremden gestoßen. So pocht Donald Trump auf eine Senkung der Lohnsteuer, die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen. Ökonomen halten diese Steuersenkung für unsinnig, weil damit denen geholfen würde, die den Job während der Krise behalten haben, und Unternehmen Neueinstellungen derzeit wohl eher von den Umsatzerwartungen als Arbeitskosten abhängig machen. Auch Trumps Forderung, der Staat solle nur denjenigen Schulen und Universitäten helfen, die den regulären Betrieb trotz Ansteckungsgefahren wieder aufnehmen, stößt auf wenig Zustimmung.

Fassungslosigkeit bei vielen hat auch ein anderer Vorstoß Trumps ausgelöst: Das Weiße Haus forderte, die Gelder für Corona-Tests in den Bundesstaaten zu kürzen. Trumps krude Logik: Je weniger getestet wird, desto geringer ist auch die Zahl der (gemeldeten) Infektionen.

Sharma begründet sein Vertrauen in die deutsche Wirtschaft auch mit einem politischen Argument: Deutschland habe eine Regierung, die darauf vorbereitet sei, mit den kommenden Herausforderungen umzugehen. Soll wohl heißen: Für Amerika gilt das nicht.

spiegel


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