In der deutschen Umwelt- und Mobilitätspolitik hat sich - durch die Corona-Krise fast unbemerkt - ein revolutionärer Erkenntnis- und Gesinnungswandel vollzogen. Neben der Elektromobiliät auf Batteriebasis ist Wasserstoff als Energieträger für Industrie und Verkehr hoffähig geworden. Das trifft die deutsche Autoindustrie im Kern - und zwar positiv.
Deutschland hat sich im Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, durch strenge Begrenzung des Kohlendioxid-Ausstoßes bis 2050 "sauber" zu werden. Ab dann dürfen etwa Chemie-, Stahl- und Zementwerke nur noch klimaneutral produzieren. Verkehrsflotten zu Land, zu Wasser und in der Luft müssen entsprechend umgestellt werden und Hausbesitzer müssen von da an klimaneutral heizen. Das alles hat Folgen für Deutschland und seine Schlüsselindustrien, darunter die Automobilbranche mit etwa 20 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt.
Der Tod des Verbrenners ist eingeläutet
Der Verkehrssektor ist neben den "Hauptsündern" Energie- und Wärmeerzeugung sowie Landwirtschaft am vom Menschen verursachten CO2-Ausstoß mit 20 Prozent beteiligt, die Pkw-Flotte alleine mit 12 Prozent. Da das Auto - vor allem der Diesel - massiv ins Fadenkreuz der öffentlichen Kritik geraten ist, konzentriert sich die europäische Umweltpolitik vor allem auf scharfe Zielvorgaben bei den Abgas-Emissions-Grenzwerten bei Neuzulassungen.
Das Ziel lautet, die europäische Verbrennerflotte von 220 Millionen Pkw ab 2020 sukzessive durch Elektroautos zu ersetzen. Bei Zielverfehlung drohen den Herstellen gravierende Strafzahlungen. Für das Jahr 2030 wurden die europäischen Abgas-Grenzwerte für Pkw mit minus 35 Prozent gegenüber 2020 so niedrig fixiert, dass sie nur noch von Batterie-Elektroautos oder Hybriden mit einem Zusatz-Verbrennermotor als Hilfsaggregat erreichbar sind. Die Vorgaben haben den Tod der Verbrennermotoren bereits eingeläutet - 100 Jahre lang die tragende Säule und der Erfolgsgarant deutscher Automobilgeschichte.
Einer ganzen Industrie droht der Ruin
Denn aus dem regulatorischen Zugriff der EU-Politik ist für die deutschen Hersteller mit ihren Oberklasse-Fahrzeugen ein Würgegriff geworden: Halten sie an der Produktion ihrer Pkw- und SUV-Palette mit Verbrennermotoren fest, drohen Strafzahlungen von über 80 Milliarden Euro - Volkswagen allein 4,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ohne Anpassungen könnte es den Ruin einer ganzen Industrie bedeuten. Oder sie setzt - wie VW ab 2026 - voll auf Elektroautos. In diesem Fall könnte sie aber ebenfalls Gefahr laufen, krachend zu scheitern, weil im Weltmarkt wie im heimischen Markt bislang Verbrenner das Massengeschäft dominieren.
Sehr zum Leidwesen der Politik, die im Mai 2010 voller Zuversicht die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) gegründet hatte. Deren Zielsetzung war, mit hohen staatlichen Kaufprämien bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen. Dieses Vorhaben ist gefloppt: Am 1. April 2020 lag der Bestand elektrisch angetriebener Pkw nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) gerade mal bei 284.000 Autos - und da sind E-Autos, die als Hybride mit einem Verbrenner-Zusatzmotor für alle Notfälle ausgestattet sind, sogar noch mitgezählt.
Die doppelte Kehrtwende
Damit war klar, dass auch in Zukunft Deutschland kein Leitmarkt der Elektromobilität werden würde. Und das trotz der Milliarden an bisherigen staatlichen Kaufprämien und Investitionen in das E-Tankstellennetz seit 2010.
Was für ein Dilemma - auch für die Politik, die das Problem allerdings elegant durch eine doppelte Kehrtwende löste:
- In den Wirren der Koalitionsverhandlungen wurde die E-Mobilitäts-Strategie sang-und klanglos einkassiert und im September 2019 - an deren Stelle - die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) ins Leben gerufen. Danach sollte die Mobilität der Zukunft zwar weiterhin elektrisch vonstatten gehen, aber von Elektroautos auf Strombasis als alleinigem Antriebsmedium war keine Rede mehr. Es hatte sich rumgesprochen, dass Elektroautos niemals den Gesamtbestand von 47 Millionen Pkw in Deutschland, 220 Millionen in Europa oder die 1,6 Milliarden Automobile im Weltbestand ersetzen können würden.
- Diese Volte bot die Chance, die Sackgasse der reinen Elektroautos zu verlassen und den Weg zu antriebsoffenen Mobilitäts-Technologien zu öffnen – ohne Gesichtsverlust.
Hoffnungsträger und Retter: Wasserstoff
Damit war der Weg frei für den Rückgriff auf eine altbekannte Energiequelle: Wasserstoff - "grüner", CO2-freier, mit nachhaltiger Energie aus Wind und Sonne hergestellt. Ein Garant einer klimafreundlichen Mobilität sowie Problemlöser und "Retter" vor allem für die deutsche Automobilindustrie.
Die Bundesregierung hat - nicht ohne Widerstand von Umweltverbänden und aus den eigenen Reihen - im Juni 2020 die "Nationale Wasserstoffstrategie" verabschiedet. Mit dem Einsatz von rund zehn Milliarden Euro Fördergeld will Berlin Wasserstoff zum Energieträger Nummer eins in der Industrieproduktion und im Verkehr machen. Wasserstoff soll zum Exportschlager werden und Deutschland eine globale Vorreiterrolle in dieser Technologie sichern. Zusätzlich winken Fördergelder der EU in zweistelliger Milliardenhöhe aus dem Corona-Rettungspaket für die europäische Wirtschaft.
Wasserstoff hat den Ruf eines technischen wie volkswirtschaftlichen Allrounders. Das sind nur einige der Vorzüge gegenüber der Batterie-Elektromobilität:
Wasserstoff kann
- Fahrzeuge aller Art umweltfreundlich antreiben und in der Industrie fossile Energieträger ersetzen sowie Haushalte mit Wärme versorgen,
- in verschiedenen Formen als Gas oder Liquidität eingesetzt werden, er ist schnell zu tanken und kann auf die vorhandene Tankstellen-Infrastruktur zurückgreifen,
- erlaubt Reichweiten im Verkehr bei normalen Tankzeiten bis zu 1000 Kilometer,
- rettet in der Autoindustrie die Verbrenner im Altbestand wie bei Neufahrzeugen und bewahrt so die Branche vor dem Beschäftigungskollaps.
Doch wie heißt es: Keine Rose ohne Dornen. Die Kehrseite der Medaille zeigt leider auch, dass Wasserstoff in der Herstellung - nach heutigem Kenntnisstand - teurer und in der Energiebilanz ineffizienter als vergleichbare Energieträger ist.
Für die Volkswirtschaft und das Gemeinwohl
Doch trotz dieser Nachteile ist Wasserstoff durch die Brille des Ökonomen gesehen immer noch die zukunftsträchtigste Lösung für eine umweltfreundliche Mobilität ohne CO2-Belastungen. Und auch die beste Lösung zur Rettung der deutschen Autoindustrie vor dem ansonsten erzwungenen Transformations-Crash und dem Verlust von Hunderttausenden Arbeitsplätzen.
Was im öffentlichen Interesse zählt, sind Volkswirtschaft und Gemeinwohl, nicht Nickeligkeiten einzelwirtschaftlicher Kostenrechnungen. Ein Zusammenbruch der Autoindustrie würde der deutschen Volkswirtschaft erheblich höhere Kosten bereiten, als sie zur Subventionierung von Wasserstoff als Antriebsmedium aufwenden müsste. Corona hat die Kostenrechnung eines Shutdowns eindrucksvoll offengelegt.
Fakt ist: Die deutsche Politik hat mit der Wasserstoffstrategie den Grundstein für eine CO2-freie Mobilität und damit zur Sicherung der deutschen Automobilindustrie und des automobilen Altbestands gelegt. Bis 2030 will die Bundesregierung Produktions-/Elektrolyse Kapazitäten von zunächst 5 Gigawatt, bis 2040 von 10 Gigawatt aufbauen; das entspricht 10 Atomkraftwerksblöcken. Das wird nicht reichen, aber Rom wurde bekanntlich auch nicht an einem Tag erbaut.
Quelle: ntv.de
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