Ausgerechnet am Tag seiner bislang wichtigsten Wahlkampfrede muss US-Präsident Trump diesen Tiefschlag hinnehmen: 160 Republikaner, frühere Mitarbeiter von Präsident George W. Bush und den Kandidaten Mitt Romney und John McCain laufen zu seinem Herausforderer Joe Biden über. "Was uns vereint, ist die tiefe Überzeugung, dass vier weitere Jahre einer Trump-Präsidentschaft das Land moralisch bankrott gehen lassen, unsere Demokratie irreparabel beschädigen und die Republikanische Partei zu einem toxischen Personenkult werden lassen", schreiben sie in einem offenen Brief.
Doch Trump wäre nicht Trump, wenn er sich von solch einer Nachricht beirren ließe. Am Ende des Nominierungsparteitages seiner Partei in Charlotte (North Carolina) meldete er sich vom Rasen des Weißen Hauses zu Wort, um vor Hunderten dicht gedrängt und zumeist ohne Maske unter freiem Nachthimmel sitzenden Gästen sein Comeback einzuläuten - so wie vor vier Jahren, als er ebenfalls scheinbar hoffnungslos gegen Hillary Clinton im Hintertreffen lag. Wie erwartet griff Trump seinen Herausforderer hart an. "Wir haben die vergangenen vier Jahre damit verbracht, den Schaden zu beheben, den Joe Biden über 47 Jahre angerichtet hat", sagte er und bezog sich damit auf die jahrzehntelange Karriere des Demokraten im Senat und als Vizepräsident in Washington.
Der Präsident versuchte, Biden, einen Mann der Mitte, als Vertreter einer gescheiterten politischen Klasse und Marionette von "Linksradikalen" darzustellen, der schwach im Kampf gegen Kriminalität und illegale Einwanderung sei und ein "trojanisches Pferd für Sozialismus". China werde er den roten Teppich ausrollen, auf dass Peking die USA weiter ausnutzen könne. "Beim Parteitag der Demokraten haben wir wenig über ihr Programm gehört", sagte Trump. "Das liegt nicht daran, dass sie keines hätten. Es liegt daran, dass ihr Programm die extremsten Vorschläge beinhaltet, die jemals von einem Kandidaten einer großen Partei vorgebracht wurden." Wie üblich arbeitete Trump, der die Rede vom Teleprompter ablas, mit Halbwahrheiten, Lügen und Unterstellungen. Attacken auf seine Person und Amtsführung tat er ab mit Botschaften wie: "Vergessen Sie nie: Ich werde attackiert, weil ich für Sie kämpfe!"
Präsident setzt auf die Wirtschaft
Die Wahl kommt zu einem für Trump höchst ungünstigen Zeitpunkt. Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht ausgestanden. Täglich sterben mehr als 1000 Amerikaner an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung. Trump stellte, wie erwartet, seine Leistungen im Kampf gegen die Pandemie heraus, behauptete, kein Land der Welt teste so viel wie die USA, was lediglich in absoluten Zahlen, nicht aber pro Kopf stimmt. "Am Ende des Jahres, vielleicht schneller, werden wir einen Impfstoff haben", versprach er. Experten halten das für möglich, aber keineswegs für sicher. Anders als mehrere Redner beim Parteitag der Republikaner tat er aber nicht so, als ob die Pandemie bereits überstanden sei.
Trump prahlte bei seiner Rede damit, dass es dem Land vor der Pandemie so gut gegangen sei wie nie zuvor. Die Wirtschaft ist einer der wenigen Trümpfe, die der Präsident noch hat. Umfragen zeigen, dass die Republikaner in dieser Frage das größte Vertrauen genießen. Trump zählt darauf, dass viele in der Pandemie arbeitslos gewordene Menschen unbedingt arbeiten wollen. Das hat auch damit zu tun, dass die Sozialleistungen gering sind und nur ein Job die Sicherheit bietet, um die Rechnungen bezahlen zu können. Daher schneidet ein Lockdown in den USA den Menschen viel stärker ins Fleisch als hierzulande, wo Kurzarbeitergeld und ein Milliardenpaket nach dem anderen die Folgen der Pandemie abmildern. In seiner Rede rief der Präsident die demokratisch regierten Bundesstaaten deshalb dazu auf, die Wirtschaft wieder zu öffnen.
Auch die China-Frage betrifft die Wirtschaft. So hat Trump durchaus auch von vielen Demokraten Rückendeckung dafür erhalten, den Handelskrieg mit dem Land begonnen zu haben. Auch der Plan, Industriejobs ins Land zurückzuholen, so schwer das auch sein mag, dürfte viele Sympathisanten haben. "China hofft verzweifelt darauf, dass Joe Biden gewinnt", sagte Trump in seiner Rede. Durch sein Abstimmungsverhalten trage der langjährige Senator Mitverantwortung dafür, dass Jobs in der Industrie nach Ostasien gegangen seien. Der Präsident attackierte den Demokraten da, wo eigentlich dessen Stärke liegt - in seinem Charakter und seiner Fähigkeit, Mitgefühlt zu zeigen. "Die Menschen wollten nicht Bidens hohle Worte der Empathie hören. Sie wollten ihre Jobs zurück", so Trump.
Aus Rassismus-Debatte wird Kriminalitäts-Debatte
Auch während der landesweiten Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus, die überwiegend friedlich abliefen und eine Debatte in Gang brachten, sah Trump nicht gut aus. Er verzichtete darauf, als Präsident mäßigende, einende Worte zu sprechen und versuchte stattdessen, die Aufmerksamkeit auf die Plünderungen und Gewaltaktionen zu lenken. Er stehe für Recht und Ordnung, rief Trump nun seinem Publikum zu. Das Fehlverhalten Einzelner müsse bestraft werden, sagte er mit Blick auf Fälle tödlicher Polizeigewalt gegen Afroamerikaner. Aber: "Wir müssen den Polizisten ihre Macht zurückgeben. Sie haben Angst, ihre Arbeit zu tun".
Im Publikum begrüßte er die Kinder einer schwarzen Polizistin, die in New York erschossen worden war. Aus einer Debatte über Rassismus versuchte Trump eine Debatte über Kriminalität zu machen, der Biden nichts entgegenzusetzen habe, wie der Präsident behauptete. "Niemand seit Abraham Lincoln hat so viel für Afro-Amerikaner und die Schwarzen getan wie ich!", rief er. Denn nie sei die Arbeitslosigkeit so gesunken wie unter seiner Führung, nie habe jemand so viel für die Sicherheit getan.
Sein Kalkül dahinter ist auch, dass die Wahl in den Vororten der Städte entschieden wird, so wie es seit Jahrzehnten der Fall ist. Trump setzt darauf, dass sich die Menschen dort im Zweifelsfall für Law and Order entscheiden anstatt für vermeintlich verrückte Ideen, wie der Polizei die Finanzierung zu nehmen ("Defund the police"). Frei nach dem Motto: Man muss Trump nicht mögen, aber er macht einen guten Job. Ob das gelingt? Wird sich zeigen. Die Rede hat jedenfalls untermauert, dass Trump sich reichlich Wahlkampf-Munition zurecht gelegt hat und mit seinen echten und alternativen Fakten immer noch durchringen kann. Am Ende ist er noch nicht.
Quelle: ntv.de
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