Als ich in unsere Straße einbog, sah ich sie. Zwei Busse, direkt vor unserem alten Rathaus, das seit langer Zeit fast leer steht. Vor den Bussen standen Menschen, Familien, ältere Ehepaare mit meist kleinen, abgewetzten Koffern und Taschen. Die Flüchtlinge sind da, angekommen in unserem kleinen, bürgerlichen Stadtteil in Westberlin.
Und genau hier laden zwei müde aussehende Busfahrer die Habseligkeiten der Ankommenden aus den Bussen. Die Flüchtlinge stehen daneben und schweigen. Einige Passanten sind stehen geblieben, betrachten die Szene. Neugierig, mehr nicht. Hier gibt es keinen pöbelnden Mob, allerdings auch niemanden, der applaudiert.
Viele Akademiker wohnen hier, es ist urban
Vom Bäcker an der Ecke aus kann man den Rathaus-Eingang sehen, durch den die Flüchtlinge langsam und etwas schüchtern in ihr neues, temporäres Zuhause gehen. Die Frau hinter der Theke im Gespräch mit einer jungen Mutter. "Die werden schon ruhig bleiben, oder? Oder?" Sie schaut die junge Mutter an, dann mich. "Ja, denke ich auch. Bei meinen Eltern in Westdeutschland wohnen auch welche in der Nachbarschaft, da gibt`s nie Probleme. Hier sicher auch nicht, oder? Oder?"
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Freundliche, aber auch skeptische Blicke
In den Cafés am Markt, von denen aus man beste Sicht auf das imposante Rathaus hat, wurde viel diskutiert in den letzten Wochen. Flüchtlinge. Ja, aufnehmen, was denn sonst? Menschenrecht! Die Menschen hier sind freundlich und offen. Viele Akademiker, die mit ihren Kindern aus den hippen Stadtteilen der Hauptstadt hierhingezogen sind, weil es urban und trotzdem ruhig ist – und im Lokal gibt es für den Golden Retriever immer eine Schale mit frischem Wasser.
"Wir schaffen das", Merkels berühmte Ansage, die viele Menschen hier teilen, vielleicht mehr als in anderen Gegenden. Allerdings waren die Menschen aus Syrien und Afghanistan da eben auch in den anderen Gegenden untergebracht. Jetzt nicht mehr, jetzt sind sie hier. Bleibt es bei Friede, Freude, Eierkuchen? Dabei, dass man sich vielleicht auch ein wenig darin gefällt, besonders weltoffen zu sein? Oder sickern klammheimliche Ängste durch, Ängste, die man selbst immer kleinbürgerlich fand, für die man sich schämt?
200 Menschen wollen helfen, wollen, dass es funktioniert
Ein paar Leute aus der Nachbarschaft haben sich zusammengetan. Sie wollen helfen, ganz praktisch, indem sie den Flüchtlingen Fragen beantworten. Außerdem: Sprachtandems, Spielgruppen für Kinder, am Brainstorming im Gemeindesaal "Zum Guten Hirten" haben sich 200 Menschen beteiligt.
Sie schieben sich nicht schrill in die Öffentlichkeit, drängen nicht vor die Linsen der lokalen Fotografen, sie wollen einfach, dass es funktioniert. Dass die rund 400 Flüchtlinge, die nach und nach hier einziehen werden, dazugehören, zu diesem kleinen Stadtteil. Zum Stadtbild gehören sie bereits jetzt.
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Warten auf die Zuteilung der Zimmer
Denn am nächsten Morgen ist Markt. Die Sonne scheint, viele sind draußen, kaufen ein, trinken Kaffee und quatschen. In diese so gewohnte, angenehm träge Szenerie, mischen sich nun neue Bilder. Eine Frau, mit Kopftuch und mit Mantel bekleidet, humpelt die Rathaustreppen herunter und betritt damit automatisch den Markt.
Schaut sich um, geht zehn Meter weit, schaut sich die Stände an, dreht um, humpelt die Treppen wieder hoch und verschwindet im Rathaus. Sie wirkt fremd auf die Menschen am Markt. Wie fremd muss das umgekehrt alles für sie sein?
"Diese Menschen müssen ja irgendwohin"
Noch sind nicht alle 400 Flüchtlinge hier angekommen, noch sieht man sie nur vereinzelt. Das wird mehr werden, und darüber reden die Leute zwischen Biogemüse und Kuchenwagen auch. Skeptisch? Ganz sicher. Es ist eben doch ein Stück echter Realität, die hier plötzlich mit Bussen hergebracht wird.
Ängstlich? Ein wenig scheint es so. Bleibt wirklich alles ruhig? Aber vor allem pragmatisch. Niemand hat die Flüchtlinge gerufen, aber sie sind nun mal da. "Diese Menschen müssen ja irgendwohin." Zwei ältere Herren beißen in ihre Fischbrötchen, nicken und schauen in Richtung Rathaus.
Hier brüllt niemand: "Wir sind das Volk!" Vielleicht sind sie es gerade deshalb.
Quelle : WELT.DE
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