Die Geister kommen

  05 September 2020    Gelesen: 533
Die Geister kommen

In vielen asiatischen Ländern wird im Geistermonat der Verstorbenen gedacht. Auch in Taiwan verstehen die Menschen die Ehrung ihrer Vorfahren als lebenslange Pflicht - und die geht zunehmend ins Geld.

Die Tempel und Wohnviertel sind festlich geschmückt, an jeder Straßenecke haben Familien kleine Tische mit unzähligen Mahlzeiten und Speisen aufgebaut. Auf vielen Plätzen und Straßen werden kleine Feuer entfacht, in denen eine eigens kreierte spirituelle Währung aus Papiergeld verbrannt wird.

Auch filigran ausgearbeitete Villen und Häuser aus Pappe oder aufwendig gestaltete Mobiltelefone aus Papier landen im Feuer - dabei können solche Papp-Villen bis zu 4000 Euro kosten. Mit dem Verbrennen des Papiergeldes und den übrigen Opfergaben soll den Verstorbenen im Jenseits ein gutes Leben ermöglicht werden.

In Taiwan und anderen ostasiatischen Regionen wird von Mitte August bis Mitte September traditionell der Geistermonat begangen. Für die Menschen, die an den Daoismus, den Buddhismus oder an die konfuzianische Ethik glauben, endet das Leben nicht mit dem Tod, es geht auf die eine oder andere Art und Weise weiter. Während des Geistermonats wird der verstorbenen Vorfahren und Angehörigen gedacht, die aus der Sicht der Anhänger dieses Ahnenkults das Jenseits verlassen und die Menschen im Diesseits besuchen.

"Für Menschen mit chinesischem Kulturhintergrund ist der Glaube an verschiedenste Götter, Geister und Vorfahren das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft", sagt der Fotograf Claudio Sieber. Die Spiritualität und Moral werde dabei von den Eltern und Großeltern an die Jugend weitergegeben. Sie seien ein Teil der Erziehung und bestimmten das Handeln eines jeden, sagt er.

Der Fotograf hat im vergangenen Jahr während seines zweimonatigen Aufenthalts in Taiwan den Geistermonat und den Ahnenkult dokumentiert.

Für viele Menschen in Ostasien seien Geister ein legitimer Teil der Welt und die Verehrung der verstorbenen Angehörigen eine lebenslange Pflicht. Sie gehöre zur konfuzianischen Morallehre, sagt Fotograf Sieber. Dennoch teile er auch die Kritik an der Tradition. Viele Veranstaltungen und Rituale seien inzwischen stark kommerzialisiert, einige Events würden bereits komplett von Sponsoren finanziert und "haben sich zu einem TV-Zirkus entwickelt", sagt Sieber.

Doch gerade für den modernen Taiwaner gehe es um viel mehr als nur eine spontane und jährliche Andacht. Der Geistermonat sei ein erheblicher Teil der Kulturagenda des Landes und die Teilnahme an den Feierlichkeiten fest verankert in der Gesellschaft, so der Fotograf. Und das Ziel der Verehrungen und Zeremonien sei vor allem eine gute Balance: "Sind die Geister zufrieden, belästigen sie niemanden."

spiegel

 


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