Das selbst gewählte Handicap

  01 März 2016    Gelesen: 578
Das selbst gewählte Handicap
Morgen beginnt das NPD-Verbotsverfahren. Dazu mussten die V-Leute in der Parteiführung abgeschaltet werden. Der Verfassungsschutz fühlt sich jetzt teilweise blind.
Geradezu konspirativ hatte die NPD ihren Parteitag vorbereitet: Als die Polizei davon erfuhr, waren es nur noch zwölf Stunden bis zum Beginn der Veranstaltung in Weinheim-Sulzbach. Erste Hinweise hatten die baden-württembergischen Sicherheitsbehörden am Tag zuvor erhalten, doch erst am Vorabend wurde klar, dass "ein hochrangiges Mitglied" für das Wochenende 21./22. April 2013 einen Veranstaltungssaal in dem Weinheimer Stadtteil angemietet haben soll. Eiligst wurde der Polizeieinsatz organisiert, Neonazi-Gegnern blieb keine Zeit, Gegendemonstrationen anzumelden. 170 Teilnehmer des Parteitags drängten sich in einen Gasthof des 2.700-Einwohner-Örtchens. Die Polizei machte die Siedlung an der Bundesstraße 3 zur Hochsicherheitszone.

Gern hätten Polizei und Landesinnenministerium früher gewusst, dass die NPD in Sulzbach einfällt. Reinhold Gall, Sozialdemokrat und als Landesinnenminister Herr über Polizei und Landesverfassungsschutz, soll von der Ahnungslosigkeit seiner Leute wenig begeistert gewesen sein. Dabei ist ein Teil der Informationslücke durchaus hausgemacht: Fast genau ein Jahr zuvor, im März 2012, hatten die Regierungen der Bundesländer beschlossen, in den NPD-Führungszirkeln sämtliche angeworbene Verbindungsleute schnellstmöglich abzuschalten und sie nicht mehr zu kontaktieren. Der Schnitt war nötig geworden, um das gerade von den Bundesländern neu gestartete NPD-Verbotsverfahren nicht zu gefährden. Denn die Zuträger des Staates sollen nicht die Geschicke einer Partei mitbestimmen, die eben dieser Staat verbieten lassen will.

Binnen kurzer Zeit mussten sich die Geheimdienste von elf V-Männern in sechs Bundesländern trennen. Folgsam meldeten die Behördenleitungen Vollzug nach oben in die Ministerien. Doch aus Verfassungsschutz-Akten, die ZEIT ONLINE eingesehen hat, geht hervor: Intern löste die verordnete Eile Ärger aus – in mehrfacher Hinsicht: Einerseits fürchteten die Verfassungsschützer, dass die NPD die Exinformanten jetzt enttarnen und unter Druck setzen könnte. So gab es in der baden-württembergischen Behörde mehrere Versuche, sich – trotz Kontaktverbots – nach dem Wohlergehen eines Ex-V-Mannes zu erkundigen, weil die Beamten ihn in einer "psychischen Ausnahmesituation" vermuteten. Andererseits warnten die Verfassungsschützer, ohne V-Leute entgingen ihnen ein Teil ihrer notwendigen Informationen.

Die Behördenspitzen bestätigten zwar im Grundsatz, die Abschaltung der V-Leute sei für das Verbotsverfahren unumgänglich. Und beteuerten, das Gefahrenpotenzial der rechtsextremistischen Partei lasse sich auch mit anderen Mitteln ausreichend genau einschätzen. Doch intern begann ein Kampf um die Informationsquellen. Das zeigt unter anderem der erbitterte Widerstand saarländischer Verfassungsschützer gegen eine weitere Anweisung des Landesinnenministeriums: Das hatte verfügt, auch den Anwalt der NPD künftig von der Beobachtung auszuklammern. Durch die Anweisung gewönne man künftig nur noch ein "unvollständiges Bild" der Partei und erleide eine "Beschränkung in Analyse- und Aussagefähigkeit", notierte ein Verfassungsschützer handschriftlich auf der ministerialen Depesche, die ZEIT ONLINE in Kopie vorliegt. In der Antwort der Behörde an das Ministerium heißt es, durch die "Selbstbeschneidung" werde der Geheimdienst seinen gesetzlichen Beobachtungsauftrag "nur noch eingeschränkt wahrnehmen können". Die Regelung führe gar zu einer "verfälschten Informationslage". Mit anderen Worten: Da können wir auch gleich zu Hause bleiben.

In mehreren Verhandlungsrunden einigten sich die Kontrahenten schließlich darauf, dass zumindest öffentlich zugängliche Sachinformationen über den NPD-Anwalt, etwa aus Medienberichten oder Werbematerialien, ausgewertet werden dürfen, sofern sie nicht mit dem Verbotsverfahren zu tun haben.

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