Leopoldina fordert härtere Umsetzung

  23 September 2020    Gelesen: 562
Leopoldina fordert härtere Umsetzung

Die Leopoldina-Forscher plädieren dafür, die Hygieneregeln notfalls mit Bußgeldern durchzusetzen. In einer Stellungnahme, die dem SPIEGEL vorliegt, schlagen sie aber auch eine kürzere Quarantäne von zehn Tagen vor.

Die Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zeigen sich besorgt über die Entwicklung der Corona-Pandemie. Sie warnen vor einer "schwer zu kontrollierenden Entwicklung" im Herbst und Winter. In einer weiteren Stellungnahme, die dem SPIEGEL vorliegt, drängen sie deshalb die Politik dazu, sich "auf bundesweit verbindliche, wirksame und einheitliche Regeln für das Inkrafttreten von Vorsorgemaßnahmen" zu einigen und diese "konsequenter als bisher um- und durchzusetzen".

Die Leopoldina-Gelehrten setzen sich dabei nicht für neue Regeln ein, sondern eher dafür, die sogenannten AHA-Regeln (Abstand halten, Hygieneregeln einhalten und Alltagsmasken tragen) konsequenter als bislang zu befolgen. Die Bundesländer sollten sich auf ein gemeinsames Vorgehen verpflichten. Zwar solle weiter an das Verantwortungsgefühl der Menschen appelliert werden und dies mit einer guten Kommunikation unterstützt werden. Die Leopoldina plädiert aber auch für Strafen: "Die Missachtung verbindlicher Anordnungen zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist überall mit einem Bußgeld zu belegen, um solchen Anordnungen den gebotenen Nachdruck zu sichern", schreiben die Forscher. Sie zitieren dazu eine Studie, wonach man bei freiwilliger Empfehlung rund 77 Prozent der Menschen zum Tragen einer Maske bewegen kann, wenn Sanktionen drohen, steigt die Quote demnach auf 97 Prozent.

Die Spitzenforscher sehen im Moment keinen Spielraum für weitere Erleichterungen, etwa wie jene in Sachsen-Anhalt, wo Diskotheken wieder öffnen dürfen. "Insbesondere Gruppenaktivitäten in geschlossenen Räumen, die zu einer vermehrten Übertragung durch Tröpfchen und Aerosole führen, wie Sport, Singen oder lautes Sprechen, sollten nicht oder nur mit besonderen Schutzmaßnahmen stattfinden", lautet ihre Empfehlung. Die Akademie aus Halle begründet ihre neuerliche Warnung damit, dass nun zunehmend Aktivitäten wegen der schlechteren Witterung und der Temperaturen in Innenräume verlagert werden.

Dazu hat das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz eine Studie vorgelegt, mit der die Wissenschaftler den gefährlichen Zusammenhang zwischen den in Aerosolen verbreiteten Viren und geschlossenen Räumen belegen. "Aerosole von hochinfektiösen Personen können Covid-19-Viren in Innenräumen hocheffektiv verbreiten", schreiben sie in der Studie, die zur Publikation in einem Fachmagazin eingereicht worden ist. Diese hochinfektiösen Personen seien verantwortlich für fünf Prozent aller Covid-positiv getesteten Menschen. Sie könnten jeweils mehr als zehn Personen anstecken. Bei guter Lüftung, etwa auch durch geeignete Klimaanlagen und Filter, aber auch durch Masken könne das Ansteckungsrisiko hingegen um den Faktor zehn gesenkt werden.

Die Leopoldina-Forscher plädieren deshalb dafür, dass Masken in Innenräumen, wo der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, ständig getragen werden müssen. Dies gelte auch für Schulen, sagt der Leopoldina-Präsident Gerald Haug dem SPIEGEL. In der Fachgemeinde ist die Befürchtung groß, dass mit Einsetzen von Regen in den kommenden Tagen auch die Infektionszahlen ähnlich wie in anderen europäischen Ländern wieder exponentiell ansteigen - zumindest dann, wenn die Menschen sich sorglos verhielten. "Wir müssen in den kommenden Monaten einfach weiter diszipliniert durch die Pandemie kommen", sagt Haug.

Die Leopoldina hat dabei vor allem junge Menschen im Blick, die einen größeren Drang haben, sich zu treffen und dabei auch Regeln auszureizen beziehungsweise zu überschreiten. Daher sei "eine zielgruppenspezifische Aufklärung in den von diesen Gruppen genutzten Medien notwendig, möglichst unter Beteiligung einflussreicher Vorbilder und 'Influencer'", heißt es in der Stellungnahme.

Einen Spielraum für Erleichterung sieht die Nationalakademie hingegen bei den Quarantäneregeln. Es dauere im Mittel ab der Infektion mit dem Virus zwei Tage, bis diese nachgewiesen werden könne, und fünf Tage, bis erste Symptome aufträten, schreiben die Forscher. Die infektiöse Phase beginne in der Regel zwei bis drei Tage vor Symptombeginn und ende etwa sieben Tage danach. "Bei einem bestätigten Befund ließe sich die vorgeschriebene Isolationszeit also auf etwa eine Woche verkürzen", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Stellungnahme.

Bei Menschen, die Kontakt mit einer solchen Person hatten, könnte man die Quarantänezeit entsprechend verkürzen, und zwar von 14 auf 10 Tage, so die Forscher, zu denen unter anderem Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, der Berliner Virologe Christian Drosten und Barbara Wollenberg, Direktorin am Klinikum rechts der Isar in München, zählen.

Die Forscher weisen auf die sozialen und psychologischen Folgen der von ihnen geforderten Beschränkungen hin und fordern, diese stärker als bisher in den Blick zu nehmen. "Um psychisches und körperliches Wohlbefinden auch in den kommenden Wintermonaten aufrechtzuerhalten, sind Unterstützungsstrukturen notwendiger denn je, ebenso wie ein deutlich vergrößertes psychotherapeutisches bzw. psychiatrisches und beratendes Angebot hinsichtlich Prävention und Therapie", schreiben sie. Dazu zähle aber auch so etwas Simples wie "sportliche Bewegung".

spiegel


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