Das Papier hat seinen Verfasser über Nacht berühmt gemacht: Der Economist hat darüber berichtet, die New York Times ebenfalls – und auch in Berliner Regierungskreisen hat man die politische Sprengkraft der Studie inzwischen erkannt. Angela Merkel will um jeden Preis verhindern, dass wegen der Flüchtlingskrise die Grenzen in Europa wieder geschlossen werden – auch weil sie sonst "die Grundlage unseres Wohlstands" bedroht sieht. Was aber, wenn unser Wohlstand eine ganz andere Grundlage hat?
Noch vor wenigen Jahren hat sich kaum ein Ökonom von Rang diese Frage gestellt. Die Vertreter der Zunft verstanden sich – seit Adam Smith im 18. Jahrhundert die modernen Wirtschaftswissenschaften begründete – als Anwälte offener Grenzen. Das Argument: Wenn Waren, Arbeit und Kapital möglichst ungehindert zirkulieren können, dann hebt das den allgemeinen Wohlstand, weil jedes Land seine Stärken ausspielen kann. Schon Smith hatte erkannt, dass es für die Schotten wenig sinnvoll sei, in Nebel und Nieselregen Trauben anzubauen, wenn der Wein doch auch aus dem sonnigen Portugal importiert werden könne.
Tatsächlich hat die Globalisierung vielen Menschen in Asien und Lateinamerika erheblichen Wohlstand gebracht. Zwischen 1990 und 2015 ist der Anteil derjenigen, die nach Definition der Weltbank in absoluter Armut leben, von 37 auf weniger als 10 Prozent der Weltbevölkerung gesunken. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Schwellen- und Entwicklungsländer lag 1980 bei 14 Prozent des Niveaus der Industrienationen, heute liegt es bei etwa 23 Prozent. Global betrachtet ist die Schere zwischen Reich und Arm in den vergangenen Jahren nicht auseinandergegangen: Sie hat sich geschlossen.
Unter Ökonomen breitet sich eine neue Globalisierungsskepsis aus
Den Preis dafür allerdings haben – so David Autor – die Beschäftigten in den Industrienationen bezahlt. Autor hat untersucht, wie sich die wachsende Konkurrenz durch Billiganbieter aus China auf den Lebensstandard amerikanischer Arbeitnehmer auswirkt. Bisher vermuteten Experten, dass einfache Arbeiter zwar aus ihren angestammten Jobs gedrängt würden, aber dafür in anderen Branchen eine neue, womöglich sogar besser bezahlte Anstellung fänden: Aus Bandarbeitern werden Ingenieure oder Immobilienkaufleute. So steht es heute in den Lehrbüchern der Wirtschaftswissenschaftler.
Doch das funktioniert offenbar in der Praxis häufig nicht, weil den Menschen die Umstellung schwerfällt oder weil einfach nicht genug neue Jobs entstehen. Laut Autor sind durch den Aufstieg Chinas in den USA nach der Jahrtausendwende etwa 2,4 Millionen Arbeitsplätze vernichtet worden. In vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen wie dem Mittleren Westen mussten Arbeitnehmer dabei zum Teil erhebliche Gehaltseinbußen hinnehmen und waren über Jahre hinweg auf staatliche Stütze angewiesen.
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