Solch deutliche Worte hört man selten auf einer Veranstaltung eines Sportverbands, obwohl sie nicht selten angebracht wären. Es war auch keine gewöhnliche Veranstaltung, die im Frankfurter Flughafenhotel Steigenberger über die Bühne ging. Es war eine Art Bußgang des DFB. Der sah sich nach den Enthüllungen des Spiegels über das Sommermärchen in die Rolle des Aufklärers gedrängt.
Auf wichtigen DFB-Kongressen sitzen normalerweise Fußballgrößen wie Uwe Seeler, Wolfgang Overath und Günter Netzer. Die kamen diesmal nicht an den Ort, wo Wolfgang Niersbach vor vier Jahren zum DFB-Präsidenten gekrönt worden war. Diesmal trottete die vierköpfige DFB-Delegation hinter dem Chefermittler Duve auf das Podium. Dort war die Bühne bereitet für den Freshfields-Anwalt, der auf Slides verdächtige Überweisungsträger, Verträge und interne Protokolle präsentierte.
Die Kanzlei hat 128.000 Mails und andere elektronische Dokumente gelesen, gut 600 Aktenordner gewälzt, mehr als vierzig Anwälte mit dem Fall beschäftigt. Der DFB hat sich den Bericht (pdf) einen siebenstelligen Betrag kosten lassen, räumte Reinhard Grindel, der Nachfolgekandidat Niersbachs, ein.
Der große Aufwand hat sich gelohnt, zumindest ein bisschen. Mit dem Freshfields-Bericht hat sich der DFB der Wahrheit in diesem hochkomplizierten Fall genähert. Der Beweis, dass die WM gekauft gewesen sei, könne man zwar nicht erbringen, sagte Duve. Aber einen Freispruch lieferte er nicht. Dafür wartete mit einer pikanten Neuigkeit über suspekte Geldflüsse auf und belastete das ehemalige WM-Organisationskomitee, vor allem Franz Beckenbauer.
Zehn Millionen Franken
Die Millionen, um die sich alles dreht, landeten "irgendwo in Katar", sagte Duve. 2002 wurde von einem Konto, das Franz Beckenbauer und seinem ehemaligen Berater Robert Schwan gehörte, rund sechs Millionen Schweizer Franken auf ein Konto der Gabriel & Müller überwiesen. Die Schweizer Anwaltskanzlei zählt seit Jahrzehnten zum Netzwerk Beckenbauers. Das Geld landete sodann bei Kemco, einem Unternehmen in Katar, das im Einflussbereich Mohamad bin Hammams gewesen sein soll, und das die Fifa als Schmiergeldorganisation definiert.
Anschließend überwies der ehemalige Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus zehn Millionen Franken an die Kanzlei – und nicht an die Fifa, wie es immer hieß und wie Freshfields nun korrigiert. Von dort floss das Geld zu einem Teil nach Katar, zum anderen an Beckenbauer zurück. Der Kaiser gibt, der Kaiser nimmt. Als der DFB das Geld an Dreyfus über ein Fifa-Konto zurückzahlte, tarnte er es als Beitrag zur WM-Eröffnungsgala.
Nicht gekauft, vielleicht aber doch – dieser Fund ist eine kleine Sensation. Zwar weiß man noch immer nicht, was mit dem Geld passierte. Doch beim Wort Katar schlägt es in der Sportwelt Alarm. Die WM 2022 ist der größte Skandal der Fußballgeschichte. In dem Gremium, das dem Wüstenstaat die WM im Dezember 2010 zuschusterte, saß auch Beckenbauer. Anfang 2000 wollte der Katarer bin Hammam noch für Südafrika stimmen. Was stimmte ihn um?
Hatte Niersbach Kenntnis?
Was Freshfields rausbekommen hat, heißt auch: Beckenbauer wird in dem Schmierenstück immer mehr zur Schlüsselfigur. Bislang redete er sich mit Erinnerungslücken raus. Nun ist er als Geldgeber und -empfänger enttarnt und man fragt man sich: Kann er wirklich millionenschwere Transfers vergessen haben? Ist er gar in den teuer gekauften Aufstieg Katars zum Global Player direkt verstrickt? Steht die Achse Kitzbühel-Doha bis heute?
Vor allem ist die Version, die Beckenbauer und Niersbach vertreten, sehr unwahrscheinlich geworden: dass die Dreyfus-Millionen eine Provision für die Fifa gewesen seien, damit die das deutsche Kulturprogramm mit 250 Millionen Franken unterstützt. Dreyfus hatte das Geld nämlich, wie die Ermittlungen ergaben, später als behauptet überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt, im August 2002, hatte die Fifa den Zuschuss längst bewilligt, und eine erste Tranche war bereits überwiesen. Freshfields hat offenbar Beckenbauer und Niersbach als Trickser entlarvt.
Auch für Niersbach war es kein guter Tag. Wenn noch jemand daran gezweifelt haben sollte, dass Niersbach nicht mehr zur Führungskraft taugt, wurde vom Frehsfields-Bericht belehrt. Spätestens seit Sommer 2015, das geht daraus hervor, wusste der damalige Präsident von den dubiosen Umständen um die WM-Vergabe. Informiert hat er das Präsidium aber erst Mitte Oktober. Allerdings gab es bislang bereits Indizien, dass Niersbach bereits 2005, spätestens aber 2012 Kenntnis hatte.
Nun steht sogar der Verdacht im Raum, dass Niersbach wichtige Dokumente aus dem DFB-Archiv weggehext hat. Duve sprach von "Ordnern, die hätten da sein sollen, aber nicht da waren". Dem stets sachlich auftretenden Anwalt wurde in dem Moment, als er dies sprach, die Süffisanz seiner Aussage bewusst. Für einen Moment musste er gegen einen ironischen Unterton kämpfen.
Eine Ethikkommission gewünscht
Für viele ist nun undenkbar, dass Niersbach seine Ämter in der Fifa und der Uefa behält. Koch nannte dessen Verhalten "inakzeptabel". Der (Noch)-Schatzmeister Grindel sagte, er habe zu Niersbach gesagt, der hätte ihn früher informieren sollen. Reinhard Rauball wollte zwar von Niersbach nicht abrücken, verteidigte ihn aber auch nicht mehr.
Ohnehin war die DFB-Führung stets um Aufklärung und Offenheit bemüht. Grindel kündigte an, dass der Verband künftig seinen Finanzbericht veröffentlichen werde. Er wünschte sich auch eine Ethikkommission mit unabhängigen Experten. Koch sagte sogar: "Es war ein völliges Versagen interner Kontrollmechanismen, sowohl im WM-Organisationskomitee als auch innerhalb der DFB-Spitze".
Es wurde aber auch sichtbar, dass den dreien das ganz große politische Gewicht fehlt. Koch las sein Statement vom Blatt ab. Rauball verlor sich gelegentlich in Diplomatie. Grindel, der kommende Präsident, hielt sich am meisten zurück. Manchmal gerieten ihre Reden eine Spur zu selbstlobend.
Ermittlungen wegen des Sommermärchens
Das wirkte unangebracht, zumal Freshfields selbst zugab, dass manche ihrer Werkzeuge stumpf waren. Leute aus der Fifa, etwa Sepp Blatter und der Generalsekretär Markus Kattner, wollten nicht mit den Anwälten reden. Adidas hat nur schriftlich geantwortet. Man habe auch nicht alle wichtigen Dokumente einsehen könnte, sagte Duve. Alleine die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat 100 Akten einbehalten.
Jetzt befassen sich ohnehin die Profis mit dem Sommermärchen. Staatliche Ermittler und Behörden aus drei Nationen sind an dem Fall dran. Niersbach muss auch die Fifa-Ethikkommission fürchten, die den Freshfields-Bericht sogleich anforderte.
Viele Antworten hat Freshfields erst angedeutet, viele offene Fragen müssen geklärt werden: Welchen Zweck hatte die Millionenzahlung? Was hat Sepp Blatter mit all dem zu tun? Wieso hat Fedor Radmann sein Protokoll nicht unterschrieben? Wer war die zwölfte Stimme Deutschlands? Warum wollte der DFB vier Tage vor der WM-Wahl im Juli 2000 einen Vertrag mit Jack Warner aufsetzen? Landeten die Beckenbauer-Millionen am Ende bei ihm, dem damaligen Verbüdenten bin Hammams? Warum war der Adidas-Chef in die ganze Sache involviert? Und warum sprang der DFB dafür ein und vertuschte dann alles?
Das war auch eine Lehre dieses Tages, die Hidden Agenda dieser Präsentation. Wie schwer und mühsam es ist, wie viel personellen Einsatz es erfordert, in diesem schmutzigen Business Fußball ein paar Überweisungen nachzuvollziehen.
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