Was vom Surfbrett übrig bleibt

  05 März 2016    Gelesen: 977
Was vom Surfbrett übrig bleibt
An der französischen Atlantikküste ist Surfen Nationalsport. Ansässige Wellenreiter beweisen aber auch abseits des Meeres ihr Können – als Tischler.
Französische Atlantikküste, wenige Buchten südlich von Biarritz. Gleich nebenan läuft eine der berühmtesten Wellen Europas, Parlementia. Dazu viele namenlose entlang der Küste, meist nicht minder spannend. Ein Traum für Surfer. Man würde wetten, dass in jedem Haus der Gegend mindestens ein Surfbrett lehnt. Schaut man genauer hin, sind es gleich mehrere. 


Die Surfer, mit denen wir uns verabredet haben, finden wir nicht im Wasser, auch nicht am Strand oder auf einem der einschlägigen Parkplätze, mit den Fingern aufs Lenkrad trommelnd, während hinten drin die Bretter auf ihren nächsten Ride warten. Anders als das Klischee es will, haben sie nicht Sand und Salz in der Surfermatte sondern feinsten, weißen Kunststoffstaub im Haar. Arbeitsklamotten statt Boardshorts, mit Harz vertropfte Schuhe statt Flipflops, auf der Nase nicht den dicken, weißen Streifen Sonnencreme sondern Atemschutzmasken.

Am Ortsausgang des baskischen Dörfchens Bidart, noch hinter der Kläranlage, führt ein kleiner Weg zum Haus mit der Nummer 418. Wer es nicht kennt, sucht lange. Aber jeder hier kennt die Shaperwerkstatt Gato Bask, den europäischen Arm der kanadischen Kultmarke Gato Heroi. Wer fast da ist, riecht bevor er es sieht, dass er richtig ist. Unverwechselbar der stechende Geruch, der beim Laminieren entsteht. Und das Dröhnen des Handschleifgeräts. Weit und breit gibt es keine Nachbarn, die das stören könnte.

"Hier war wirklich nichts"

Zwar ist das Meer nur ein paar Hundert Meter entfernt, aber sehen kann man es nicht, was vielleicht ganz gut ist, so lenkt es nicht vom Job ab. Dafür geht der Blick in die Hügel des Baskenlands, am Horizont die Berge der Pyrenäen. Katzen schleichen über den Parkplatz. Vor dem Haus parken alte, angesagte Autos, etwa ein VW Variant aus den Siebzigern, natürlich mit Board auf dem Dach. In den Schotter ums Haus mischen sich leuchtend bunte Steinchen, eigentlich Bruchstücke des Kunstharzes aus der Produktion. Man sieht schon draußen, wie farbenfroh die Boards sind, die hier gemacht werden.

Die Franzosen, Surfer und Shaper Guilhem Dupouy und Yan Baldenweck haben das Häuschen vor ein paar Jahren übernommen. "Wir haben alles Stück für Stück aufgebaut, die Werkstatt eingerichtet. Hier war wirklich nichts", erinnert sich Guilhem. Heute wird im kompletten Erdgeschoss gearbeitet, oben gibt es einen kleinen Showroom. Zuvor haben die beiden Alaias getischlert, Surfbretter aus Holz, wie die Hawaiianer sie früher genutzt haben. Dann lernte Guilhem den Kalifornier Robin Kegal kennen, Gründer des Surflabels Gato Heroi, das man etwa mit "Katzenheld" übersetzen kann. Und startete 2012 den europäischen Ableger der Marke. Sie haben großen Erfolg, und viel Arbeit. Da muss der Ozean auch mal warten, die ein oder andere Welle ungenommen bleiben. Gato Bask klingt im übrigen ganz bewusst wie Gateau Basque, ein baskischer Kuchen mit Kirschfüllung, eine regionale Spezialität. Ein wenig mit der eigensinnigen baskischen Identität kokettieren, das macht man hier so.

Gute Shaper sind gefragt, und auch so etwas wie die Helden der Szene – schließlich ist es auch ihrem Gespür und Können zu verdanken, wenn die Turns passen, der Take-off sitzt und das Ganze so richtig Spaß macht. Doch tauschen wollte trotzdem kaum einer mit ihnen, denn die manuelle Produktion ist harte Arbeit und gesundheitlich bedenklich. Vor allem wegen der Kunst- oder Epoxidharzdämpfe, Glasfaserteilchen und des PU-Schleifstaubs. Auch was die Umwelt betrifft, ist die Sache fragwürdig. Sie wissen das. Also haben sie sich überlegt, wie man zumindest die Abfälle weiterverwenden kann; denn Recycling ist nicht möglich. Und da sie auf Design stehen, dachten sie sich, aus dem Müll könnten ja noch Möbel werden. Außerdem sparen sie sich die teure Entsorgung, denn Glasfasermaterial ist Sondermüll.

Keine Ausbildung, aber Ideen

Einfach mal machen, warum nicht? Schon die Frage nach Berufsabschlüssen klingt hier komisch. "Ich habe überhaupt keine Ausbildung", grinst der 34 Jahre alte Guilhem. "Ich mache Dinge. Ich liebe Projekte im Allgemeinen." Und so arbeiteten sie sich auch ins Möbeldesign ein, in Materialkunde und Mechanik. Denn ein Tisch ist kein Surfbrett, auch wenn er teils aus demselben Material besteht und die weichen, fein gearbeiteten Formen daran erinnern. Tischchen und Hocker im Fifties-Style wurden aus der Upcycling-Idee. Nun stehen in der Werkstatt Formen aus Silikon, in die das übrige Harz direkt gegossen wird. Von jeder Farbe, von jedem Board, teils über Tage, bis eine Form voll ist. Der Recyclingkern wird ummantelt, gedrechselte Holzbeine angeschraubt.

Ihr Möbellabel nannten sie Club 418, gemäß der Hausnummer. Und für die neue Idee mit dem Interieur haben sie sich einen weiteren Surfer ins Boot geholt, den 31-jährigen Jean Baptiste Letoile. Über sich selbst sagt er, er sei Designer, Bastler und Handwerker. Wie gesagt: Biografien sind hier, wo man für die Wellen hinzieht und die Jobs rar sind, Nebensache, es geht ums Machen. Mit seinem Feinrippunterhemd und den Trägern seiner Arbeitshose sieht er aus, wie aus einer anderen Zeit. Genauso wie der alte VW Variant draußen, der ihm gehört. Jeans Retrostil passt ganz und gar zum Fünfziger-Jahre-Touch der Surfmöbel.



Noch läuft der Club 418 so nebenher. Schließlich sind Gato Bask mit den Boards gut im Geschäft. 400 verlassen jedes Jahr ihr Atelier. In der Hochsaison ist da ganz sicher keine Zeit für Tisch und Stuhl. In ein paar Shops findet man die Möbel schon, etwa in Paris oder Bordeaux, aber das Geschäft soll anders funktionieren. Die Surfer und Branchenneulinge gehen davon aus, dass die Wellenreiter, die sich bei ihnen ein Board machen lassen, gleich noch einen Tisch mitnehmen. Schließlich wird die Klientel immer umweltbewusster.

Und wenn man mit dem Abfall aus der Boardherstellung die eigene Wohnung einrichten kann, statt ihn auf der Sondermülldeponie zu wissen, surft es sich doch mit deutlich leichterem Gewissen. Das gilt natürlich auch für die drei Jungs an der Werkbank. Während sie das Schleifpapier mit ausladenden Bewegungen über fast fertige Boards ziehen, sind sie in Gedanken schon draußen auf dem Atlantik, der ihnen nach Feierabend hoffentlich noch ein paar richtig gute Wellen schenkt.

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