Nordafrikaner schlossen sich muslimischen Armeen an

  07 März 2016    Gelesen: 596
Nordafrikaner schlossen sich muslimischen Armeen an
Der Fund von drei Gräbern bei Nîmes fasziniert Archäologen. Die Berber, die darin bestattet wurden, gehörten wohl zu den islamischen Heeren, die Anfang des 8. Jahrhunderts Mitteleuropa angriffen.
Im Jahr 718 n. Chr. schien der Untergang des christlichen Europa nur noch eine Frage der Zeit. Unter dem Befehl des Kalifenbruders Maslama hatte ein Heer von vielleicht 200.000 Muslimen die byzantinische Kaiserstadt Konstantinopel eingeschlossen. 1800 Schiffe sorgten dafür, dass die Metropole auch zur See abgeschnitten war. Zur gleichen Zeit bereitete sich 2200 Kilometer weiter westlich ein Heer aus Arabern und Berbern auf die Invasion Frankreichs vor. Als erste christliche Bastion fiel 719 die alter Römerstadt Narbonne.

Aus dieser Zeit stammt eine Entdeckung, die Archäologen jetzt unweit der Stadt Nîmes in der Provence gelang. Es handelt sich um drei Gräber samt den sterblichen Überresten ihrer Inhaber. Radiometrische Untersuchungen datieren die Knochen auf das Ende des 7. oder Anfang des 8. Jahrhunderts. Eine weitere Spur eröffnet die Lage der Skelette. Sie wurden offenbar ganz bewusst so beerdigt, dass die Gesichter der Toten in Richtung Mekka zeigen.

Eine Genanalyse schließlich legt verwandtschaftliche Beziehungen nach Nordafrika nahe. Bei Nîmes, so die Schlussfolgerung des Forscherteams im Online-Journal "PLOS One", wurden im frühen 8. Jahrhundert offenbar Berber begraben, Angehörige der Armeen, mit denen die Omayyaden-Kalifen von Damaskus den Maghreb und anschließend die Iberische Halbinsel erobert hatten. Viele Berber aus Nordafrika nahmen damals den Islam an und machten sich zu seinem Vorkämpfer.

Dass die Toten keine Anzeichen von Gewalteinwirkung aufweisen, muss dieser Deutung nicht widersprechen. Im Gegenteil. Bis zur Erfindung des modernen Maschinenkrieges starben die meisten Menschen auf Feldzügen an Krankheiten und nicht in der Schlacht. Ob sich die drei toten Berber allerdings einem konkreten historischen Ereignis zuordnen lassen, darf bezweifelt werden.

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Im Jahr 710 hatte ein erstes muslimisches Kommando von Marokko aus über die Straße von Gibraltar gesetzt. Im Jahr darauf folgte der Feldherr Tariq Bin Ziyad, ein zum Islam übergetretener Berber, mit einem Heer. Am Fluss Guadalete zwischen Cádiz und Sevilla stellte sich ihm der Westgotenkönig Rodrigo entgegen. Er verlor Schlacht und Leben. In wenigen Jahren nahmen die Muslime weite Teile der Halbinsel für den Kalifen in Damaskus in Besitz. Nur der äußerste Norden und das Baskenland blieben frei.

Noch während die Statthalter der Omayyaden dabei waren, al-Andalus, wie sie es nannten, zu organisieren, überschritten muslimische Truppen die Pyrenäen und fielen in Südfrankreich ein. Zwar erlitten sie 721 vor Toulouse einen Rückschlag, eroberten aber kurz darauf Carcassonne und Nîmes, Bordeaux wurde geplündert, selbst bis Burgund drangen die arabisch-berberischen Truppen vor.

732 rückte schließlich der fähige Feldherr Abd ar-Rahman mit einem großen Heer nach Norden vor. Ob ihm dabei die Eroberung des Frankenreiches vor Augen gestanden hatte oder nur die reichen Klöster von Tours, ist bis heute nicht geklärt. Zwischen Tours und Poitiers verlegte der fränkische Hausmeier Karl Martell, der eigentliche Herrscher der Franken, zusammen mit Langobarden und Sachsen den Arabern den Weg. Ihre Verluste, darunter ihr Anführer, waren so groß, dass das Treffen als "Schlacht an der Straße der Märtyrer" in die muslimische Erinnerung eingegangen ist.

Auf den großen britischen Gelehrten Edward Gibbon (1737–1794) geht das Bonmot zurück, dass ohne den Sieg Karls in Oxford statt der Bibel der Koran gelehrt worden wäre. Moderne Historiker halten den Feldzug Abd ar-Rahman dagegen eher für einen groß angelegten Beutezug ohne strategische Bedeutung. Ganz anders dagegen ist der Abwehrerfolg zu bewerten, den die Byzantiner 718 vor Konstantinopel errangen. Er sicherte die Ostflanke Europas über Jahrhunderte hinweg.

Zeugnis für das friedliche Zusammenleben?

Der Fund von Nîmes wirft in diesem Zusammenhang Fragen auf. Da die Analyse der Knochen auch eine Datierung in die Mitte des 8. Jahrhunderts zulässt, könnte es durchaus sein, dass noch nach der Katastrophe von Tours/Poitiers Muslime in der Provence lebten. Zwar berichten die Quellen, dass die Statthalter von al-Andalus das Gros ihrer Truppen 738 hinter die Pyrenäen zurückzogen. Aber Narbonne und Umgebung blieben weiterhin unter ihrer Kontrolle. Könnte es also sein, dass von dort aus Kontakte bis in die Provence weiterbestanden? Und waren diese womöglich friedlicher Art?

Aus der Lage der muslimischen Gräber von Nîmes wollen die Ausgräber keineswegs auf eine scharfe Trennung der Glaubensgemeinschaften schließen. Zwar wurden die toten Berber offenbar bewusst außerhalb eines christlichen Friedhofes bestattet. Das muss aber nicht als Akt der Feindschaft interpretiert werden, schreiben die Wissenschaftler. Vielmehr könnte es auch ein Beleg für die Achtung sein, die die Menschen des 8. Jahrhunderts den religiösen Gefühlen Andersgläubiger entgegenbrachten.

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