Im Süden Großbritanniens steigen die Fallzahlen wieder drastisch an. In London werden ab Mittwoch schärfere Corona-Beschränkungen gelten. Restaurants und Pubs, Kinos und Theater müssen erneut schließen, außerdem gelten strengere Kontaktbeschränkungen. Gesundheitsminister Matt Hancock hat einen Verdacht, was die Ursache für die hohen Fallzahlen sein könnte: Eine neue Variante des Coronavirus Sars-CoV-2. Man habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits informiert, so Hancock.
Was hat es mit dem neuen Virus auf sich?
In den vergangenen zwei Monaten sei der neue Virusstamm bei Überwachung des Sars-CoV-2-Erbguts durch das Covid-19 Genomics UK Konsortium aufgefallen, sagte Hancock laut britischen Medien. Der neue Stamm enthalte eine Reihe verschiedener Mutationen. Erste Analysen deuteten darauf hin, dass sich die neue Variante schneller ausbreite als bestehende. Bisher seien mehr als 1000 Fälle in 60 Gemeinden überwiegend im Süden festgestellt worden, so Hancock - "und die Zahl wächst schnell".
Ist diese Virus-Variante gefährlicher?
Es gibt bisher allerdings keinen Hinweis darauf, dass das Virus gefährlicher ist als andere Sars-CoV-2-Varianten. Forscher arbeiten noch daran, sich ein Bild davon zu machen, inwiefern sich eine Erkrankung hinsichtlich Dauer und Schwere von bisherigen Varianten unterscheidet.
Auch ist noch unklar, ob das veränderte Virus sich tatsächlich schneller ausbreitet als seine Vorgänger. Allerdings gibt es Hinweise darauf: Der Anteil der neuen Variante ist dort höher, wo auch die Fallzahlen hoch sind, berichtet die BBC. Allerdings ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Zufall ist. "Ob sich die Variante tatsächlich schneller ausbreitet, kann man zu diesem Zeitpunkt nicht sagen", sagte der Physiker Richard Neher, der am Biozentrum der Universität Basel die Evolution von Viren und Bakterien erforscht, der Deutschen Presse-Agentur. "Das plötzliche Auftreten könnte auch durch Superspreader-Anlässe zu erklären sein."
Welche Rolle spielen die Mutationen?
Während die meisten der bisher bei Sars-CoV-2 beobachteten Mutationen keine funktionellen Auswirkungen auf das Virus hatten, könnte dies nun anders sein. Die Mutationen der neuen Variante befinden sich an jener Stelle, welche für die Übertragbarkeit entscheidend ist: an seinem Spike-Protein. Dieses ragt wie in zahlreichen Stacheln aus der Virus-Hülle empor und dient dem Erreger dazu, sich Zugang zur menschlichen Zelle zu verschaffen.
Eine der Mutationen betrifft jene Stelle des Spike-Proteins, mit der es den ersten Kontakt mit der menschlichen Zelle hat, erläutert Prof. Nick Loman vom Covid-19 Genomics UK Konsortium der BBC. Sollte die Veränderung dem Virus tatsächlich den Zugang zur Zelle erleichtern, könnte es seine Übertragbarkeit erhöhen. "Es sieht aus und riecht nach einer wichtigen Anpassung", so Loman.
Die zweite Mutation rührt von einem Verlust genetischen Materials - einer sogenannten Gendeletion. Die Folge: Zwei Aminosäuren fehlen am Spike-Protein. Diese Entdeckung ist nicht neu, die Mutation war seit dem Frühjahr bereits in mehreren Ländern bei Sars-CoV-2 entdeckt worden - unter anderem bei Nerzen.
Diese Mutation war auch bei einem Covid-19-Patienten mit geschwächtem Immunsystem aufgetaucht, der in Cambridge mit Antikörpern aus dem Blutplasma Genesener behandelt worden war. Was die Forscher beobachteten: Während der Behandlung setzte sich im Patienten die mutierte Variante nach und nach durch - möglicherweise war sie resistenter gegen die Antikörper. Die Infektion konnte nicht geheilt werden, der Patient starb. "Wir glauben, dass es einen Mechanismus gibt, mit dem das Virus entkommen kann", kommentierte Mikrobiologe Ravi Gupta von der Universität in Cambridge gegenüber dem "Guardian" diese Entdeckung.
Was bedeuten Mutationen für die Wirksamkeit von Impfstoffen?
Die Mutation von Viren birgt immer die Gefahr, dass ein neuer Stamm auftaucht, der gegen existierende Impfstoffe resistent ist. Durch die Impfung werden bei Geimpften unter anderem Antikörper gebildet, die sich an das Spike-Protein des Erregers heften und ihn dadurch unschädlich machen. Die Sorge ist nun, dass eine Mutation des Spike-Proteins es für Antikörper schwerer macht, das Virus zu attackieren.
Forscher wollen nun herausfinden, ob die neu entdeckten Mutationen Probleme für die Wirksamkeit von Impfstoffen bedeuten könnten. Allerdings muss das nicht zwingend der Fall sein: Denn durch eine Impfung lernt das Immunsystem, verschiedene Teile des Spike-Proteins zu attackieren. Gesundheitsbehörden sind deshalb nach wie vor davon überzeugt, dass der Impfstoff auch gegen die neue Variante wirken wird, berichtet die BBC. Zudem können Forscher die Impfstoffe auch so anpassen, dass sie wieder wirksam werden. Ähnlich wird es bereits bei Grippeimpfstoffen gemacht, da sich Influenza-Viren ständig verändern.
"Wir wissen, dass es eine Variante gibt, wir wissen nichts darüber, was das biologisch bedeutet", sagte Alan McNally, von der Universität Birmingham, der BBC. "Es ist noch viel zu früh, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie wichtig dies sein könnte oder nicht." Epidemiologe Prof. Timo Ulrichs betont gegenüber RTL/ntv, dass es ein völlig natürlicher Vorgang sei, dass das Virus in Varianten auftritt. "Virologen schauen, ob die Abweichungen des Virus wirklich massiv sind. Bisher sieht es aber nicht so aus. Im Moment hat das Virus auch keinen Mutationsdruck, da es sich in der aktuellen Variante weltweit verbreiten kann."
Quelle: ntv.de
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