Die Geschichte des Giannis Antetokounmpo beginnt auf den Straßen von Athen. Zusammen mit seinem zweieinhalb Jahre älteren Bruder Thanasis verkauft er bereits als Kind Sonnenbrillen, Uhren, CD's und DVD's. Für die Antotekounmpos ist das so verdiente Geld die dringend benötigte Basis für die monatliche Miete und das tägliche Abendessen. Und wenn es an manchen Tagen mal schlecht läuft, die Brüder nicht genug verkaufen und zu wenig Geld mit nach Hause bringen, geht's hungrig ins Bett.
Das alles ist keine zwanzig Jahre her und klingt dennoch wie eine Anekdote aus einer komplett anderen Zeit. Heute spielen Giannis und Thanasis Antetokounmpo bei den Milwaukee Bucks in Nordamerikas Basketball-Liga NBA. Giannis ist das Gesicht des Vereins, ein Superstar der Liga und in den vergangenen beiden Jahren zum "wertvollsten Spieler" (MVP) gewählt worden. Seine jüngeren Brüder sind ebenfalls Profis. Kostas wurde als Reservist mit den Los Angeles Lakers im Oktober Meister, Alex steht beim spanischen Erstligisten Murcia unter Vertrag.
"Finanziell arm, aber reich an Fröhlichkeit"
Die Antetokounmpos wachsen in Sepolia auf, einem der ärmsten Stadtteile Athens. Die Eltern Charles und Veronica sind 1991 aus Nigeria nach Griechenland gekommen. Doch wie so viele afrikanische Einwanderer besitzen sie keine offiziellen Papiere - und sind somit von Beginn an in einem Strudel, der es nahezu unmöglich macht, etwas aufzubauen. Ohne Papiere keine gut bezahlten Jobs. Ohne Arbeit kaum Geld. Und so leben die Eltern mit ihren vier Söhnen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Die Kinder müssen sich mitunter ein Bett teilen. "Es war nicht einfach", erinnert sich Giannis in einer Dokumentation der US-Fernsehsendung "60 Minutes", hebt aber trotzdem vor allem das Positive hervor. "Wir waren finanziell arm, aber reich an Fröhlichkeit. Und wir waren zumindest zusammen, alle in einem Zimmer und haben viel gelacht."
Die Eltern haben ihm und Thanasis bewusst griechische Vornamen gegeben - in der Hoffnung, dies würde ihnen die Integration erleichtern. Doch Kinder aus Afrika haben es schwer in Griechenland. Wer dort geboren ist, ist noch lange kein griechischer Staatsbürger. Erst im Mai 2013 bekommt Giannis Antetokounmpo seinen Pass. Mit 18 Jahren. Bis dahin gilt er als staatenlos, illegal - und muss mit der ständigen Angst leben, womöglich abgeschoben zu werden. Nach Nigeria, das Heimatland der Eltern, in dem er noch nie gewesen ist.
Durch Zufall zum Basketball
Zur Geschichte des Giannis Antetokounmpo gehört auch Spiros Velliniatis. Der Basketballtrainer suchte einst vor allem in Athener Stadtteilen mit hohem Migrations-Hintergrund nach Talenten - und trifft so 2008 Giannis und Thanasis Antetokounmpo. Die jungen Teenager sind in ihrer sportlichen Findungsphase, probieren viel aus - von Tischtennis, über Volleyball bis zum Fußball. "Versucht's doch mal einen Monat mit Basketball. Einfach zum Spaß. Vielleicht gefällt's euch ja", sagt Velliniatis. Seine größte Sorge: Giannis ist zwar groß, aber dünn. Zu dünn. "Wenn Mozart vor dir steht und nichts zu essen hat, was machst du dann?", wird Velliniatis in einem Artikel der "New York Times" zitiert. "Du gibst ihm keine Violine, sondern ein Brot."
Mit 13 Jahren fängt Giannis bei Filathlitikos an, einem Klub im Athener Vorort Zografou. Der Neue wird argwöhnisch beäugt von den Eltern seiner vorrangig weißen Mitspieler. Manchmal, so wird berichtet, habe er bis Mitternacht trainiert und anschließend auf einer Matte in der Halle geschlafen - aus Angst, in der Dunkelheit nach Hause zu gehen. Er weiß, dass die Straßen in Stadtteilen wie Zografou für einen mit seiner Hautfarbe gefährlich sein können. Neonazis kommen gezielt hierher, um Immigranten zu bedrohen.
In manchen Spielen Schuhe mit Bruder geteilt
Als 16-Jähriger ist Giannis Antetokounmpo der beste Nachwuchsspieler des Landes und spielt bereits in der Männermannschaft von Filathlitikos. Zweite Liga. Zusammen mit Thanasis. Sie verdienten knapp 500 Euro im Monat. Das ist mehr, als die Einkünfte aus ihrer Zeit als Straßenverkäufer - aber immer noch zu wenig für vernünftige Sport-Schuhe. Es gibt Spiele, sagt Giannis, da habe er sich mit Thanasis ein Paar Schuhe teilen müssen.
Mittlerweile hat der Grieche seine eigene Schuh-Marke. Der Sportartikelhersteller Nike hat im Sommer 2019 den "Zoom Freak 1" auf den Markt gebracht. In Anlehnung an seinen Spitznamen, "The Greak Freak". Antetokounmpo verdient durch den Schuh-Deal zehn Millionen Dollar pro Jahr. Und er bekommt jeden Monat 15 Exemplare geschenkt. "Unglaublich, wenn ich dran denke, dass ich mir früher gerade mal ein Paar Schuhe leisten konnte", so der 27-Jährige.
Unterschrift in Milwaukee widerspricht Trend
Geld dürfte nie wieder ein Problem für ihn und seine Familie sein. Seitdem ihn die Milwaukee Bucks 2013 verpflichtet haben, hat er bereits 81 Millionen Dollar verdient. Vor wenigen Tagen unterschrieb Antetokounmpo einen NBA-Rekordvertrag. Er verlängerte in Milwaukee vorzeitig um fünf Jahre und wird bis 2026 insgesamt 228 Millionen Dollar einstreichen. Es ist der größte Kontrakt der NBA-Geschichte. Und es ist eine Entscheidung, die ein wenig dem Trend der NBA widerspricht. Dem Trend, dass Superstars dorthin gehen, wo es Glitzer und Glamour gibt, sie nicht nur um sportliche Titel mitspielen, sondern auch mit ihrem Namen eine eigene Marke aufbauen können. Und wo fast immer die Sonne scheint.
Wie beispielsweise in Los Angeles, wo LeBron James und Anthony Davis (beide Lakers) oder Kawhi Leonard und Paul George (jeweils Clippers) mittlerweile zu Hause sind. Oder das ewig lockende und faszinierende New York, dessen Strahlkraft Kevin Durant und Kyrie Irving (beide Brooklyn Nets) nicht widerstehen konnten. Milwaukee hingegen ist ein kleiner Markt und ein kleiner Verein. In der Stadt am Westufer des Michigansee beginnt der Winter spätestens im November und bleibt bis Ende April. Doch Milwaukee, das sei für ihn mittlerweile "Heimat", betont Giannis Antetokounmpo. Er ist trotz seines Aufstiegs bodenständig geblieben, achtet auf sein Geld, prahlt nicht damit herum. Seine Kindheit auf den Straßen von Athen präge ihn bis heute, sagt er.
Vorzeige-Hellene, aber auch Opfer rassistischer Anfeindungen
In Griechenland sind sie natürlich stolz auf ihn. Antetokounmpo ist der größte Sportstar des Landes, ein globaler Vorzeige-Hellene. Vergessen die Jahre, als er nur eines dieser Immigranten-Kinder war, aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe diskriminiert und nie richtig akzeptiert wurde. Allerdings gibt es vereinzelt immer noch rassistische Anfeindungen. So bezeichnete im November 2018 ein griechischer Reporter Bruder Thanasis, der damals bei Panathinaikos Athen spielte, als "Affe".
Ein weiteres dunkles Kapitel folgte in diesem Frühjahr, als ein Graffiti-Bild von Giannis Antetokounmpo auf einem Stromkasten im Großraum Athen mit einem Hakenkreuz sowie den Buchstaben "SS" beschmiert und Antetokounmpos Gesicht zerkratzt wurde. Antetokounmpo reagiert kaum auf derartige Vorfälle. Er will den Rassisten keine unnötige Aufmerksamkeit schenken. Nur so viel: Seine Brüder und er seien Griechisch-Nigerianisch, stellte Antetokounmpo klar. Und falls jemandem das nicht passe, dann sei das eben dessen Problem.
Quelle: ntv.de
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