Weniger als 2000 Menschen leben auf der Koralleninsel Niue. Wer den weitgehend autonomen Mini-Staat auf der Landkarte sucht, wird ganz weit links im Südpazifik fündig, zwischen dem deutlich bekannteren Fidschi und der Inselgruppe Französisch-Polynesien.
Niue ist seit 1974 mit dem 2400 Kilometer entfernten Neuseeland verbunden. Das bedeutet, die kleine Insel verwaltet sich selbst, aber die Bewohner sind offiziell Neuseeländer. Der Mini-Staat ist abhängig vom vergleichsweise großen "Nachbarn". Wellington steuert Jahr für Jahr mehrere Millionen an Hilfsgeldern bei.
Doch es gibt ein Zeitproblem: Niue hängt je nach Sommer- oder Winterzeit 23 oder 24 Stunden hinter Neuseeland zurück. Wenn es auf Niue Freitagmittag ist, sind die Neuseeländer bereits im Wochenende. Grund dafür ist die sogenannte Datumsgrenze. "Dass es so etwas gibt, weiß man spätestens seit 'In 80 Tagen um die Welt' von Jules Vernes. Ob man ostwärts oder westwärts um die Welt reist, macht einen Unterschied, wenn man wieder ankommt", sagt Andreas Bauch im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Der Physiker leitet die Arbeitsgruppe Zeitübertragung an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig.
Keine geografische Frage
1884 hat in Washington die sogenannte Längengrad-Konferenz getagt, um sich auf einen internationalen Referenz-Meridian zu einigen. "Seitdem gibt es den Nullmeridian, der durch die Sternwarte Greenwich geht". Die Festlegung auf den Nullmeridian im Londoner Stadtteil Greenwich geschah willkürlich. In Deutschland wurde der Nullmeridian bereits ein Jahr nach der Konferenz übernommen. Andere Länder haben noch längere Zeit ihren eigenen, nationalen verwendet.
In welcher Zeitzone sich ein Staat eingruppiert, ist aber bis heute keine geografische, sondern eine politische Frage. "Das entscheiden die Länder für sich alleine", erklärt Physiker Bauch. Die Zuordnungen der einzelnen Länder zu den Zeitzonen seien im Wesentlichen politisch oder handelspolitisch bestimmt. "Man will natürlich keine Zeitgrenze haben zwischen zwei geografischen Bereichen, zwischen denen enger Kontakt besteht."
Eine Zeitverschiebung zwischen Deutschland und Frankreich oder Deutschland und Polen wäre vollkommen unpraktisch für beide Seiten. Deshalb gibt es innerhalb Europas auch kaum zeitliche Ausreißer. "Spanien ist sehr weit westlich. Die würden eigentlich eher zur selben Zeitzone wie Großbritannien gehören. Aber die wollen keine Zeitgrenze mit Frankreich haben. Portugal dagegen nutzt die westeuropäische Zeit", so Bauch.
Der Wunsch nach zeitlicher Einheit kann aber kuriose Folgen haben. In China beispielsweise tickt das ganze Land wie Peking. Würden die Menschen Tausende Kilometer westlich wie ihre Kollegen in der Hauptstadt um sieben Uhr morgens aufstehen, wäre es bei ihnen noch mitten in der Nacht. Stattdessen klingelt der Wecker Richtung Indien mittags, Feierabend macht man früh am Morgen gegen vier Uhr.
Datumsgrenze künstlich verschoben
In der Südsee ist alles aber noch etwas komplizierter. Niue und Neuseeland haben zwar dieselbe Uhrzeit, sind aber wegen der Datumsgrenze einen Tag auseinander. Politisch wäre es jedoch möglich, den einen Tag zu überspringen. Niues Premierminister Dalton Tagelagi sagte dem britischen "Guardian" im Herbst, die "Zeitreise" um einen Tag werde ernsthaft in Erwägung gezogen. Er könne jedenfalls keine Nachteile erkennen. Und Zeitzonenwechsel sind in Ozeanien auch nichts Ungewöhnliches mehr. 2011 hat Samoa einen Tag übersprungen, um den Handel mit Neuseeland und Australien zu vereinfachen.
Die größten zeitlichen Umwerfungen gab es aber Mitte der 1990er Jahre. Damals verlief die Datumsgrenze mitten durch die tausende Kilometer voneinander entfernten Atolle des Inselstaats Kiribati. Zum 1. Januar 1995 wurde die Datumsgrenze nach Osten verlegt, damit ganz Kiribati ein einheitliches Datum hat. Angenehmer Nebeneffekt: Durch den Zeitensprung konnte Kiribati beim Jahreswechsel 1999/2000 als erstes Land der Welt das neue Jahrtausend begrüßen. Zeitreisen sind also gewissermaßen möglich. Und im Südpazifik gar nicht so selten.
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Quelle: ntv.de
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