Portugal ist ein mahnendes Beispiel

  23 Januar 2021    Gelesen: 501
  Portugal ist ein mahnendes Beispiel

Wie schnell Fehler in der Pandemiebekämpfung aktuell dazu führen können, dass die Fallzahlen innerhalb kürzester Zeit geradezu explodieren, sieht man in Portugal, dessen Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch steht. Deutschland sollte nicht die gleichen Fehler begehen.

Im vergangenen November ging Portugal in einen noch milderen Lockdown als Deutschland, ließ unter anderem Restaurants und Schulen geöffnet. Die Corona-Maßnahmen wurden mit leichten Verschärfungen verlängert und die Zahl der Neuinfektionen ging zurück. Während das Land am 20. November noch einen 7-Tage-Schnitt von mehr als 6400 Infektionen hatte, waren es am 28. Dezember weniger als 3000.

Kurz zuvor hatte die Regierung die Maßnahmen zum Weihnachtsfest gelockert, um Familienzusammenkünfte zu ermöglichen. Ausgangssperren wurden in die späten Nachtstunden nach hinten verlegt, Reisebeschränkungen aufgehoben. Nur vorübergehend, wie in Deutschland sollte Silvester wieder Schluss mit lustig sein. Doch da war es bereits zu spät, die Pandemie war schon außer Kontrolle.

Portugal trauriger Spitzenreiter

Innerhalb einer Woche verdoppelten sich die Neuinfektionen nahezu, am 16. Januar hatten sie sich bereits verdreifacht, aktuell liegt der 7-Tage-Schnitt bei über 11.000 Fällen. Gestern registrierte das Land weitere 13.544 Neuinfektionen und 221 Covid-19-Tote. Kein europäisches Land hat jetzt eine höhere Inzidenz als Portugal, dessen Gesundheitssystem unmittelbar vor dem Kollaps steht.

Um zu verstehen, wie krass diese Zahlen sind: Auf Deutschland hochgerechnet wären das ein 7-Tage-Schnitt von mehr als 110.000 Neuinfektionen und rund 1800 Tote pro Tag. Und eine solche Entwicklung wäre wohl tatsächlich auch hierzulande möglich. Christian Drosten warnte in einem Interview mit dem "Spiegel" vor einer dritten Welle mit bis zu 100.000 Fällen täglich.

Ähnliche Entwicklung in Deutschland möglich

Der Charité-Virologe mahnt, nicht zu früh zu lockern, wobei er sich auf eine Zeit bezieht, wenn "die alten Menschen und vielleicht auch ein Teil der Risikogruppen geimpft sein werden", also kaum vor dem Frühjahr. Selbst dann, fürchtet er, könnten die Inzidenzen noch so hoch sein, dass die Infektionszahlen quasi sofort wieder in ein exponentielles Wachstum übergehen.

Portugal hat bei einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 300 Fällen pro 100.000 Einwohner zu Weihnachten gelockert, was es Sars-CoV-2 leicht machte. "Das Virus zirkulierte bereits auf einem verhältnismäßig hohen Niveau, und dann haben sich die Menschen getroffen und sind shoppen gegangen - das hatte dramatische Auswirkungen auf die Infektionen", sagte der Lissabonner Virologe Pedro Simas der "Welt". Außerdem vermutet er eine Corona-Müdigkeit der Bevölkerung, die die Maßnahmen nicht mehr so gut befolgten wie im Frühjahr. Die Aussicht auf ein baldiges Ende der Pandemie nach dem Impfstart habe den Effekt noch verstärkt.

Virus-Mutation verschärft Bedrohung

Hinzu kommt, dass in Portugal bereits die mutierte Virus-Variante B.1.1.7 grassiert. Wissenschaftler haben ermittelt, dass die Mutation inzwischen schon für fast zwölf Prozent der Neuinfektionen in Portugal verantwortlich ist. Dafür benötigte sie lediglich fünf Wochen.

Dass B.1.1.7 deutlich ansteckender ist als das ursprüngliche Sars-CoV-2, ist inzwischen in der Wissenschaft weitgehend unstrittig. Mit Bezug auf eine Studie der britischen Gesundheitsbehörde PHE sagte Drosten in seinem NDR-Podcast, er gehe von einer etwa 35 Prozent höheren Infektiosität dieser Variante aus. In der heutigen gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler bestätigte er dies.

Das portugiesische Desaster basiert also auf den Fehlern, zu zögerliche Maßnahmen zu früh gelockert zu haben in Kombination mit der Ausbreitung der Coronavirus-Mutation B.1.1.7. Das restliche Europa weiß also ziemlich genau was zu tun und was zu unterlassen ist, um nicht in eine ähnlich extreme Situation zu geraten.

Deutschland in besserer Ausgangsposition

Eins zu eins vergleichen, kann man dabei die einzelnen Länder nicht, schon gar nicht Portugal mit Deutschland. Denn während das Land ganz im Westen des Kontinents zu Beginn der Pandemie ein infolge der Finanzkrise kaputt gespartes Gesundheitssystem mit gerade mal 4,2 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner hatte, war Deutschland mit 38,2 Betten EU-Spitzenreiter. Dazu kommen die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und damit verbundenen Möglichkeiten, Corona-Maßnahmen finanziell abzufedern.

Portugal hatte vielleicht gar keine andere Wahl, als zu versuchen, die zweite Welle mit so leichten Einschränkungen wie möglich zu überstehen - und verkalkulierte sich gewaltig. Am Mittwoch berichtete Reuters, derzeit befänden sich 681 an Covid-19 erkrankte Menschen auf portugiesischen Intensivstationen, womit die maximal vorgesehen Zuweisung von 672 Betten für Corona-Patienten bereits überschritten sei. Maximal rund 1000 Intensivbetten stünden allgemein zur Verfügung.

Portugal muss in den harten Lockdown

Immerhin hat Portugal seit Beginn der Pandemie die Kapazität nahezu verdoppelt. Doch dort gilt noch mehr als in Deutschland, dass das nötige qualifizierte Personal nicht vorhanden ist, um noch weitere Intensivbetten versorgen zu können.

Um einen Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden, blieb dem Land letztendlich nichts anderes übrig, als jetzt in einen wirklich harten Lockdown zu gehen, inklusive Homeoffice-Pflicht und auch geschlossenen Schulen, was die Regierung bis gestern noch unbedingt vermeiden wollte.

Deutschland stand vor der Corona-Krise finanziell blendend da und kann laut Finanzminister Scholz auch in diesem Jahr noch alles tun, "was nötig ist, um die Kontrolle über die Pandemie zu behalten und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen abzufedern". Und die Situation auf den Intensivstationen ist angespannt, aber von einem Kollaps noch recht weitentfernt.

Lockerungen keine Option

Insgesamt ist Deutschland in einer viel besseren Position mit einer aktuellen 7-Tage-Inzidenz von 115 Fällen pro 100.000 Einwohnern bei weiter sinkenden Zahlen. Die leichten Lockerungen zu Weihnachten haben offenbar nicht so gravierende Folgen wie in Portugal gehabt, und die derzeitigen Maßnahmen scheinen auszureichen, um die Pandemie in den Griff bekommen zu können.

Scheinen. Denn es wäre ignorant, zu glauben, B.1.1.7 wäre nicht auch schon bei uns auf dem Vormarsch. Etliche Fälle wurden bereits entdeckt, die Dunkelziffer könnte relativ hoch sein. Und auch wenn es für die erhöhte Infektiosität der neuen Variante noch keinen endgültigen wissenschaftlichen Beweis geben mag, muss man davon ausgehen, dass es so ist und entsprechend handeln.

Lockerungen sind damit erst mal vom Tisch. Was geschehen kann, wenn man Maßnahmen zu früh zurückfährt, zeigt nicht nur das Beispiel Portugal, Irland musste eine ähnliche Erfahrung machen. Möglicherweise erweist es sich als nötig, die Corona-Maßnahmen nicht nur bis zum Frühling oder darüber hinaus zu verlängern, sondern sogar zu verschärfen.

Es muss nicht unbedingt eine No-Covid-Strategie sein, wie sie zahlreiche Wissenschaftler um die Physikerin Viola Priesemann fordern. Zumal andere Experten eine Durchführbarkeit im Winter bezweifeln, und die Politik die Maßnahmen abwägen, andere Schäden berücksichtigen und die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten muss.

ECDC: Regierungen sollten sich vorbereiten

Aber ohne Einschränkungen wird es nicht funktionieren. Das sieht auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) so. In einer gestern veröffentlichten Risikobeurteilung zu den Corona-Mutationen schreibt sie, es seien eher noch strengere Maßnahmen als bisher in Verbindung mit Kontaktnachverfolgungen nötig. Dies sollten Regierungen ihren Bevölkerungen offen mitteilen und erklären, um die Akzeptanz zu fördern.

Die ECDC plädiert außerdem dafür, nicht notwendige Reisen zu unterbinden und die Gesundheitssysteme auf eine verschärfte Situation vorzubereiten. Außerdem ruft sie die Mitgliedsstaaten dazu auf, Senioren und andere Risikogruppen schneller zu impfen, um Morbidität, Mortalität und damit die Belastung der Gesundheitssysteme zu reduzieren.

Quelle: ntv.de


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