Jorge Garcia Criado kann nicht mehr. Der Intensivmediziner arbeitet im Universitätskrankenhaus von Salamanca, einer kleinen Stadt im Westen Spaniens. Bis zu 24 Stunden am Stück beatmet er derzeit Patienten, verabreicht ihnen Kortison, er hat da inzwischen eine gewisse Erfahrung. Für Garcia Criado ist es die dritte Corona-Welle.
Im März und April sah Carcia Criado in die erschrockenen Augen der Patienten, die Covid-19 für ein Todesurteil hielten. Im Oktober beatmete er die Menschen, die sich im Spätsommer angesteckt hatten, kurz nach dem Ende des strikten Lockdowns. Und nun muss Garcia Criado jene versorgen, die sich über Weihachten bei Familie und Freunden infiziert haben. Viele Patienten seien auffallend jung.
Die dritte Corona-Welle hat Spanien mit enormer Wucht erfasst. Die 14-Tage-Inzidenz liegt über 800 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Während Italien, Frankreich und Deutschland die Infektionskurve mit harten Maßnahmen nach unten drückten, schoss sie in Spanien zuletzt so steil nach oben, wie es in Großbritannien vor ein paar Wochen noch der Fall war.
Die dritte Welle trifft das Land schon jetzt wesentlich härter als die zweite. Und noch ist nicht sicher, ob sie weniger schrecklich wird als die erste. In einigen Regionen sind die Krankenhäuser schon jetzt voller als im Frühjahr. Wieder werden Feldlazarette errichtet, wieder bitten Ärztinnen und Krankenpfleger mit einem Hashtag um die Mithilfe der Bevölkerung: #solosnopodemos – auf Deutsch: »Allein schaffen wir es nicht.«
Der Anstieg der Infektionszahlen begann schon, als die zweite Welle noch gar nicht ganz vorbei war. Ganz langsam kletterten die Zahlen wieder nach oben, anfangs machte sich kaum jemand Sorgen. Dann kam ein Brückentag, wenig später Weihnachten, Silvester, schließlich Heilige Drei Könige. Die Feiertage, an denen keine strikten Regeln galten, halfen dem Virus: Es sprang von Familie zu Familie, von Freundeskreis zu Freundeskreis.
Im Herbst ist es den spanischen Regionen gelungen, die Infektionswelle mit vergleichsweise milden Maßnahmen zu bremsen. Mancherorts mussten Restaurants schließen, einige Städte durfte man nur mit gutem Grund verlassen, Freunde nur in kleinen Gruppen treffen. »Chirurgisch« nennt Spaniens oberster Virologe und Pandemie-Erklärer Fernando Simón diese Maßnahmen. Im ganzen Land war man froh, die Wirtschaft nicht wieder durch einen harten Lockdown belasten zu müssen.
Aber reichen die chirurgischen Maßnahmen auch diesmal aus? Lässt sich der Anstieg stoppen, bevor das Gesundheitssystem zusammenbricht oder die neue britische Virusmutation sich ausbreitet?
50 Corona-Patienten werden in Salamanca derzeit Tag für Tag ins Krankenhaus eingewiesen. In ein oder zwei Wochen habe man das Niveau der ersten Welle erreicht, sagt Garcia Criado. Die Patienten behandelt er auf notdürftig umfunktionierten Stationen. Die eigentlichen Intensivstationen sind längst voll. Die Stimmung im Krankenhaus sei gespenstisch, sagt Garcia Criado am Telefon. Auf den Korridoren herrsche Stille, die meisten Operationen und regulären Behandlungen wurden verschoben.
Das schlimmste, sagt Garcia Criado, sei die Verzweiflung seiner Kolleginnen und Kollegen: die Müdigkeit der Krankenschwester, die in ihrer Pause kraftlos im erstbesten Sessel versinkt; das Trauma der Ärztin, die mitten im Gespräch mit den Tränen kämpft. Garcia Criado, 44 Jahre alt, ist seit Jahren Intensivmediziner, er ist Stress gewohnt. Jetzt hat er dem Chef vorgeschlagen, die 24-Stunden-Bereitschaftsdienste zu verkürzen, weil er unter diesen Bedingungen nicht lange genug durchhält.
spiegel
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