Die Panne, die sich Ende Februar ereignete, war nicht die erste, die Japans nuklearen Neustart überschattet: Kurz zuvor war in derselben Anlage radioaktiv verseuchtes Wasser ausgetreten. Mindestens eine Schraube eines Ventils saß zu locker. Für den jüngsten Störfall sucht der Betreiber indes noch nach Erklärungen - bis auf weiteres soll Takahama 4 daher stillstehen.
Die Pause könnte gar länger währen. Denn am Mittwoch ordnete ein Gericht in der Nachbarpräfektur Shiga überraschend an, dass Takahama 4 sowie ein weiterer, bereits laufender Reaktor der Anlage abgeschaltet werden müssen. Damit ging das Gericht auf eine Klage von Bürgern ein, die die Sicherheit des Kernkraftwerks bezweifeln.
Der Gerichtsentscheid zum AKW Takahama ist ein Rückschlag für Japans Atombosse und kommt äußerst ungelegen. Denn sie möchten eigentlich so schnell wie möglich weitere Kernkraftwerke wieder hochfahren, die nach dem Desaster von Fukushima zeitweise stillgelegt worden waren.
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Nun fragen sich die Atombosse: Liegt die Zukunft ihrer Meiler in der Hand von ein paar Provinzgerichten? Und können die Betreiber mögliche zusätzliche Sicherheitsanforderungen zügig umsetzen? Von insgesamt 48 noch betriebsbereiten Reaktoren liefern nach der nun verfügten Reaktor-Abschaltung erst zwei Anlagen wieder Strom.
Umfragen zufolge lehnt die Mehrheit der Japaner den nuklearen Neustart ab. Doch fünf Jahre nach der dreifachen Kernschmelze von Fukushima zeigt die Atom-Lobby keine Reue. Aus dem Jahrhundert-Desaster hat sie wenig gelernt.
Stattdessen setzten die Stromkonzerne offenbar auf die Vergesslichkeit der Landsleute - und auf finanzielle Anreize: Demnächst werde man die Strompreise senken können, verhieß Makoto Yagi, der Präsident von Kansai Electric Power, die das Kernkraftwerk Takahama betreibt, mit Blick auf den atomaren Neustart.
Tatsächlich leiden die Stromversorger seit Fukushima unter hohen Verlusten, denn den Atomstrom mussten sie überweigend durch herkömmliche Wärmekraftwerke ersetzen. Und die werden meist mit teuer importiertem Öl oder Gas betrieben. Doch seit dem Gau von Fukushima, der Zehntausende Japaner aus ihrer Heimat vertrieb, weiß die Inselnation, dass sie für Strom aus Kernenergie letztlich einen noch höheren Preis bezahlen muss.
Umso mehr erstaunt die Hartnäckigkeit, mit der Nippons "Reaktor-Dorf" - so nennen die Japaner den mächtigen heimischen Klüngel aus Atombossen, Politikern, Bürokraten, Professoren und Journalisten - an der Kernkraft festhält.
Gewiss, einige Lehren hat Japan durchaus gezogen aus Fukushima: Langfristig will es nur noch ein Fünftel des Stroms aus Kernenergie erzeugen. Vor dem Reaktor-Desaster betrug der Anteil dagegen knapp 30 Prozent.
Eine gestärkte Nuklear-Aufsicht prüft Betriebsgenehmigungen für Reaktoren mittlerweile gründlicher. Einigen Anlagen, wie dem Reaktor Shiga 1 in Westjapan, droht gar das endgültige Aus, weil sie möglicherweise über geologischen Verwerfungen errichtet wurden - das sind tektonische Brüche, die durch frühere Erdbeben entstanden.
Mehrere Anlagen wurden mit höheren Flutmauern gegen Tsunamis ausgestattet. Im Kernkraftwerk Sendai auf der südlichen Hauptinsel Kyushu wurden Bulldozer stationiert, um bei einem Erdbeben schneller Schutt und Geröll aus dem Weg räumen zu können.
Auch wurden die Kommunen angewiesen, Fluchtpläne für Atomunfälle zu ersinnen. Im Ernstfall dürften die Vorkehrungen indes wenig nützen, insbesondere beim Kernkraftwerk Ikata, das auf einer Halbinsel liegt: Bei einem Gau wäre rund 5000 Anwohnern der Fluchtweg abgeschnitten, sie müssten über das Meer entweichen - falls sie dann genug Boote finden.
Erhebliche Bedenken bestehen auch gegen das Kernkraftwerk Sendai, das seit Herbst wieder in Betrieb ist: Es liegt nur rund 50 Kilometer entfernt von Sakurajima, dem aktivsten Vulkan des Landes. Zwar soll künftig ein Beirat von Geologen Alarm schlagen, wenn Gefahr droht. Doch zwei der Wissenschaftler erhielten einst Forschungsgelder von der Atomindustrie, wie die Zeitung "Tokyo Shimbun" herausfand. Zweifel an ihrer Neutralität liegen daher nahe.
Doch wer in Japan ist schon unabhängig von der Atom-Lobby? Für den Unfall von Fukushima wurde bislang kein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen. Fünf Jahre verstrichen, bis kürzlich drei Ex-Bosse des Betreibers Tokyo Electric Power (Tepco) angeklagt wurden - gegen den Willen der eigentlich zuständigen Staatsanwaltschaft.
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Und fast ebenso lange brauchte Tepco, um im Februar endlich einzuräumen: Ja, man hätte die Öffentlichkeit viel früher darüber aufklären müssen, dass es sich beim Reaktorunfall im März 2011 um eine Kernschmelze gehandelt habe. Damals hatte Tepco die Nation zwei Monate lang über das Ausmaß der Krise im Unklaren gelassen.
Umso mehr Skepsis weckt nun der nukleare Neustart. Dabei geht es nicht nur darum, wann in Japan wie viele Reaktoren wieder laufen. Letztlich steht die Nation vor der fundamentalen Herausforderung, ihre veraltete Industriepolitik zu reformieren. Die Chance, die das Fukushima-Desaster dafür bot, wurde bisher kaum genutzt.
Stattdessen reist Premier Shinzo Abe unermüdlich um die Welt, um für den Export heimischer Reaktortechnologie zu werben. Hersteller wie Toshiba oder Hitachi treten dabei allerdings immer häufiger gegen billigere chinesische Wettbewerber an. Auf diese Weise verpasst das Hightechland die Gelegenheit, wieder zum Vorreiter bei erneuerbaren Energien - Wind, Sonne und Geothermie - zu werden, bei denen es einst führte.
Mit einer Energiewende könnte Japan auch seine überalterten ländlichen Regionen wirtschaftlich beleben: Sie hängen oft von den Subventionen ab, mit denen Staat und Atomindustrie sie für die Ansiedlung von Kernkraftwerken entschädigen.
Doch Japan fällt es schwer, sich vom Mythos des "nuklearen Kreislaufs" zu verabschieden, den die Planer seit den Sechzigerjahren propagieren: Durch die Wiederaufbereitung von verbrauchtem Uran aus eigenen Kernkraftwerken, so die Theorie, könne sich das rohstoffarme Land langfristig energiepolitisch unabhängig machen.
Das Konzept hat indes so viele Haken, das selbst Befürworter kaum noch daran glauben: "Monju", der Schnelle Brüter, in dem Japan Plutonium aus dem Betrieb seiner Kernkraftwerke verbrauchen wollte, siecht seit einem Natrium-Leck 1995 ungenutzt vor sich hin. Statt Strom zu liefern, verbraucht die Anlage jährlich rund 20 Milliarden Yen an Instandhaltungskosten, das sind rund 160 Millionen Euro. Auch die Inbetriebnahme einer ehrgeizigen Wiederaufbereitungsanlage im Norden der Hauptinsel Honshu wurde mehrmals verschoben. Ob der für 2018 angepeilte Starttermin eingehalten wird, scheint zweifelhaft.
Und damit steht Japan vor der Frage, was es mit all dem Plutonium anfängt, das bei der Nutzung von Uran in den Reaktoren anfällt.
Allein aus dem bisherigen Betrieb seiner Kernkraftwerke hortet Japan rund 47 Tonnen Plutonium - genug für zahlreiche Nagasaki-Bomben. Das wiederum weckt den Argwohn der Nachbarländer. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass japanische Politiker sich die Option auf eigene Nuklearwaffen offenhalten wollen.
Seit 2002 sucht die Regierung in Tokio überdies ein Endlager für den übrigen Atommüll. Erdbebensicher soll es sein, und möglichst keinen Widerstand bei der lokalen Bevölkerung hervorrufen.
Einen solchen Ort hat bisher in Japan niemand gefunden. Und daher prüft die Regierung neuerdings eine Alternative: Demnach könnte der Atommüll tief unter dem Meeresboden gelagert werden, erreichbar durch unterirdische Tunnel von der Küste aus. Auf diese Weise hätte die Nation zumindest einen Teil ihres strahlenden Erbes aus dem Blick geschafft.
Quelle : spiegel.de
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