"Wunder werden da jetzt nicht passieren"

  02 Februar 2021    Gelesen: 511
  "Wunder werden da jetzt nicht passieren"

Das große Murren über die schleppend angelaufene Impfkampagne ist Anlass für einen eigens veranstalteten Impfgipfel. Am Ende gibt es zwar auch nicht mehr Impfdosen, aber zumindest einen nationalen Impfplan. Damit soll zumindest die zweite Impfphase zum Erfolg werden.

Bund und Länder wollen nach ihrem mit Spannung erwarteten Impfgipfel keinen grundlegenden Kurswechsel auf dem Weg zur Durchimpfung der Bevölkerung vollziehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte im Anschluss an das Treffen zwischen Mitgliedern der Bundesregierung, den Chefs der Bundesländer sowie Vertretern der Pharmabranche und der EU-Kommission das Ziel, bis zum Sommerende jedem Bürger ein Impfangebot zu machen. "Bis zum Ende des Sommers können wir jedem Bundesbürger ein Impfstoffangebot gemacht haben", sagte Merkel. Grundlage bildet die getroffene Verabredung, einen nationalen Impfplan aufzustellen, der eine schnelle Verimpfung garantieren soll, sobald im zweiten und dritten Quartal massenweise Impfdosen ausgeliefert werden.

"Wunder werden da jetzt nicht passieren", dämpfte Merkel Erwartungen an eine mögliche Beschleunigung der Impfstoffproduktion. Allerdings wolle die Bundesregierung Pharmaunternehmen unterstützen, wenn Chemikalien und Zubehörteile wie Ampullen auf dem Markt knapp würden. Es würden alle Möglichkeiten ausgelotet, um "ein Plus an Produktion möglich zu machen", sagte Merkel. "An Geld wird es da nicht fehlen und an Einsatz auch nicht." Die Kanzlerin bekräftige, wie kompliziert die Impfmittelherstellung sei und dass auch mehr Geld und frühere Bestellungen nach Aussage der Pharma-Vertreter nicht zu höheren Produktionskapazitäten geführt hätten.

"Chefsache" oder SPD-Erfolg?

Merkel wie auch der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, und sein Stellvertreter, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, lobten das Treffen, weil es das gegenseitige Verständnis aller Beteiligten füreinander verbessert habe. Söder sagte, er sei auch "dankbar gegenüber der Kanzlerin, die das Thema Impfen zur Chefsache gemacht hat, das hat man heute gemerkt". Müller bekräftigte den SPD-Anteil am Zustandekommen des Treffens: "Ich finde, es hat sich gelohnt die Gesprächsinitiative zu ergreifen."

Wesentliches Ergebnis der Gesprächsrunde ist der nationale Impfplan, den vor allem die SPD-geführten Bundesländer bereits im Vorfeld gefordert hatten. Darin sollen verschiedene Szenarien für die möglichst schnelle Verimpfung einmal ausgelieferter Dosen erarbeitet werden. Hintergrund ist, dass die Hersteller sich bei der Nennung von Lieferdaten weiterhin nur auf Quartale, nicht aber auf einzelne Kalenderwochen festlegen wollten. Es mache "einen Riesenunterschied, wenn ich dann im zweiten Quartal 70 Millionen Dosen verimpfen muss, ob das dann auch Woche für Woche konstant kommt", sagte Merkel, oder am Anfang eines Quartals wenig und am Ende sehr viel eingehe.

Der nationale Impfplan solle den Ländern eine Vorbereitung auf verschiedene Szenarien ermöglichen. "Diese Modellierungen sind auch ein Fortschritt", sagte Merkel. "Die bringen jetzt keinem Bürger einen Impftermin, aber sie stellen sicher, dass das, was da ist, auch verimpft wird." Söder sagte, es sei "wichtig auch eine gemeinsame Plattform zu entwickeln, wo wir uns abstimmen und auch versuchen, da mehr Plan und Struktur hereinzubringen".

Priorisierung und Impfintervalle bleiben

Keine Änderung hingegen gibt es bei der Reihenfolge der zu Impfenden. "Wir wollen uns weiter daran halten an die Priorisierung, die uns die Ständige Impfkommission vorgegeben hat", sagte Merkel. Zudem solle weiterhin die zweite Impfung innerhalb des von der europäischen Arzneimittelagentur EMA empfohlenen Intervalls gespritzt werden. Abzüglich der neun Millionen Kinder brauche Deutschland genug Impfdosen um 73 Millionen Menschen ein Impfangebot machen zu können, sagte Merkel. Das klappe auch dann bis zum 21. September, wenn die noch nicht zugelassenen Mittel von Johnson & Johnson sowie Curevac keine Zulassung für die EU erhalten sollten.

Grobe Fehler bei der Impfmittelbeschaffung konnte Merkel nach dem Austausch mit Vertretern der EU-Kommission und der Hersteller nicht ausmachen. Israel pflege einen anderen Umgang mit Daten, die USA würden ihre hohe Eigenproduktion fast ausschließlich für sich selbst verwenden und die Briten hätten eine Notfallzulassung erteilt, sagte Merkel mit Blick auf Länder, in denen schneller verimpft wird. "Ich persönlich bin der Meinung, dass wir möglichst viele vertrauenswürdige Gesten machen", sagte die Bundeskanzlerin zur Verteidigung der ordentlichen Zulassung durch die EMA und den deutschen Umgang mit dem Thema Datenschutz. Die EU sei bei der Beschaffung im Vergleich zu anderen Ländern "langsamer gewesen, das ist richtig. Aber es gibt auch gute Gründe dafür". So habe Brüssel hart verhandelt, als es um Haftungsfragen der Hersteller ging.

Merkel wartet, Söder warnt

Aussagen zum Fortgang des Lockdowns über Mitte Februar hinaus wollte Merkel nicht treffen. Erstens finde die entscheidende Ministerpräsidentenkonferenz erst am 10. Februar statt. "Zweitens erhoffen wir uns bis zum 10. auch mehr Klarheit über die Verbreitung der Mutation in Deutschland." Merkel warnte vor einem Szenario wie in Portugal, wo während des Lockdowns die hochansteckende britische Corona-Mutante dominant wurde und die Ansteckungszahlen inzwischen extrem in die Höhe geschnellt sind. Söder nahm dennoch seine Einschätzung vorweg: "Wir sollten auf keinen Fall den Fehler machen, jetzt überstürzt Lockerungen zu machen", sagte er.

Zudem bremste Merkel Hoffnungen, dass nach einer ersten Durchimpfung das Corona-Virus besiegt sei. "Es kann sein, dass wir noch viele Jahre impfen müssen, so ähnlich wie beim Grippe-Impfstoff", sagte Merkel. "Wenn sich dieses Virus weiter verändert, haben wir ein Problem." Lockerungen nur für Geimpfte könne es nicht geben, solange nicht sicher sei, ob auch geimpfte das Virus übertragen können, während viele Menschen noch nicht geimpft sind. "Wenn wir jedem ein Impfangebot gemacht haben, dann sieht die Sache anders aus", sagte Merkel. Sie erwarte aber entsprechende Debatten über derartige Sonderrechte schon in den kommenden Monaten.

Quelle: ntv.de


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