Schwesterliche Umarmung von Poesie und Macht

  06 Februar 2021    Gelesen: 706
Schwesterliche Umarmung von Poesie und Macht

Mit einem einzigen Gedicht wurde sie zum Weltstar: Nun hebt »Time« Amanda Gorman aufs Cover. Interviewt wird sie von Michelle Obama. Für eine kritische Auseinandersetzung war bei der Plauderei kein Platz.

Das »Time«-Magazin hat in einem Akt nationaleuphorischer Folgerichtigkeit eine junge Dichterin auf ihren Titel gehoben. Damit erfährt Amanda Gorman, die mit ihrem Poem »The Hill We Climb« während der Inauguration von US-Präsident Joe Biden einen schillernden Akzent setzte, nun auch ihre publizistische Inthronisation als Lichtgestalt und Hoffnungsträgerin einer hoffnungsbedürftigen Nation.

Der US-äthiopische Künstler Awol Erizku, der zuvor schon Beyoncé im Stil von Jan Vermeers »Mädchen mit dem Perlenohrring« inszenierte, fotografierte die 22-Jährige in Stil und Pose, wie während der Renaissance in Italien weibliche Machtfiguren sich darstellen ließen.

Das Bild von einer aufrechten Gorman in kanarienvogelgelbem Kleid von Greta Constantine funktioniert auch als optischer Verweis auf die Titelgeschichte, in der eine »Black Renaissance« beschworen wird. Im Inneren findet sich ein weiteres Foto mit Gorman und einem Vogelkäfig, eine Anspielung auf »I Know Why The Caged Bird Sings«, ein Gedicht der von Gorman verehrten Poetin Maya Angelou.

Das derzeitige Postergirl eines gesunden Patriotismus' liberaler Prägung (Gorman ist bereits bei einer auf »Diversity« spezialisierten Modelagentur unter Vertrag) wird von keiner Geringeren als Michelle Obama interviewt, die ebenfalls so etwas wie eine Galionsfigur der Bewegung darstellt – und im Gespräch bereitwillig die Rolle der wohlwollenden Patin übernimmt: »Ich muss sagen, ich fühlte mich auch stolz.«

n-tv


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