Testet Deutschland zu wenig?

  12 Februar 2021    Gelesen: 865
  Testet Deutschland zu wenig?

Nur Deutschland und Bulgarien testen in Europa nicht grundsätzlich jeden auf Covid-19, der Symptome zeigt. So bleiben möglicherweise viele Infektionen unerkannt, obwohl die Laborkapazitäten nicht ausgelastet sind und der Grund für die Einschränkung eigentlich weggefallen ist.

Wenn man auf "Our World in Data" die Grafik aufruft, die anzeigt, welche Länder in Europa unter welchen Voraussetzungen auf Covid-19 testen, fällt auf, dass Deutschland zusammen mit Bulgarien das einzige "braune" Land ist. Das heißt, dass in diesen beiden Staaten grundsätzlich nur klare Verdachtsfälle und Personen mit Kontakt zu Risikogruppen getestet werden sollen. Dabei geht es um PCR-Tests, die Schnelltest-Politik steht nochmal auf einem anderen Blatt.

In Deutschland wurde die nationale Teststrategie am 3. November entsprechend geändert. Der Grund dafür leuchtete damals ein. Denn im Spätherbst wurden mit wöchentlich rund 1,6 Millionen Tests so viele wie nie zuvor in der Corona-Krise durchgeführt. Die teilnehmenden Labore arbeiteten am Anschlag und konnten viele Proben nicht mehr zeitnah auswerten. Als die Änderung in Kraft trat, war der Rückstand auf über 23.000 unbearbeitete Tests angewachsen. Um zu verhindern, dass das Problem durch Tests von Menschen mit harmlosen Infekten noch größer wird, strich die Bundesregierung Erkältungssymptome als Test-Berechtigung.

Die Erkältungswelle bleibt aus

Doch der Grund für die eingeschränkte Teststrategie ist weitgehend weggefallen. Denn Lockdowns sowie Masken, Abstands- und Hygieneregeln haben auch anderen Erregern das Leben beziehungsweise die Verbreitung schwer gemacht. Das zeigt unter anderem der zweite GrippeWeb-Wochenbericht des RKI in diesem Jahr. Darin heißt es, die Rate der akuten Atemwegserkrankungen (ARE) liege seit Ende August 2020 "kontinuierlich und deutlich unterhalb der Vorjahreswerte". Seit Anfang Januar befinde sie sich "auf demselben niedrigen Niveau wie im Frühsommer 2020." Laut RKI zählen auch die meisten Covid-19-Erkrankungen zu den ARE, machen aber nur einen sehr kleinen Teil davon aus.

Der jüngste Influenza-Wochenbericht bestätigt weiter sinkende ARE-Zahlen und zeigt einen ähnlich dramatischen Rückgang bei der Grippe an. Im Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Influenzaviren wurden in der ersten Februarwoche in insgesamt 25 (16 Prozent) der 160 eingesandten Sentinelproben (Stichproben) respiratorische Viren identifiziert, darunter 14 (9 Prozent) mit Rhinoviren, zehn (6 Prozent) mit Sars-CoV-2 und zwei (1 Prozent) mit humanen saisonalen Coronaviren. Influenzaviren wurden nicht nachgewiesen.

Dem Bericht nach hat es so etwas seit der Saison 1997/98 nicht gegeben, nicht nur in Deutschland: "Weltweit wird über eine ungewöhnlich niedrige Influenza-Aktivität berichtet, die deutlich unter den Ergebnissen im vergleichbaren Zeitraum der Vorjahre liegt." Das bestätigt das jüngste Influenza-Update der WHO.

Andere Länder testen mehr

Die Gefahr, dass die Labore durch Tests aufgrund harmloser Erkältungskrankheiten überlastet werden könnten, scheint also nicht mehr zu bestehen. Deutschland könnte - oder müsste - seine Teststrategie also wieder an den Rest von Europa anpassen, wo bei allen Symptomen oder sogar ohne Krankheitsanzeichen getestet wird. Dass das auch in bevölkerungsreichen Ländern funktioniert, zeigen Italien, Großbritannien und Frankreich. Aktuell führt das Nachbarland laut "Our World in Data" im Sieben-Tage-Schnitt 4,9 Tests pro 1000 Einwohner durch, in Deutschland sind es gerade mal 1,9. Italien macht 4,0 Tests, Großbritannien sogar 9,8.

Weil Deutschland vor allem bei eindeutigen Covid-19-Infektionen testet, ist auch die Positivrate mit rund 8 Prozent vergleichsweise hoch. In Frankreich beträgt sie 6,5, in Italien 4,9 und in Großbritannien 3,2 Prozent. Interessanterweise ist in der Bundesrepublik der Anteil positiver Ergebnisse wieder genauso hoch wie zu Beginn der neuen Teststrategie Anfang November. Damals führte Deutschland allerdings noch mehr als 1,6 Millionen Tests pro Woche durch, jetzt sind es nur noch rund eine Million. Gleichzeitig ist der Proben-Rückstau mit 6200 im Vergleich zu rund 23.000 im November sehr niedrig.

Frankreich zeigt, wie's geht

Die Bundesrepublik könnte also wahrscheinlich deutlich mehr testen. Und das wäre in einer so entscheidenden Phase wie jetzt eigentlich enorm wichtig. Denn wenn man kontrolliert lockern möchte, benötigt man einen möglichst guten Überblick über das Infektionsgeschehen - vor allem da noch nicht klar ist, wie sich die mutierten Virus-Varianten darauf auswirken. Aber: Je höher die Positivquote bei gleichzeitig hoher Fallzahl sei, heißt es beim RKI, desto höher wird die Anzahl unentdeckter Infektionen geschätzt.

Tests können auch einschneidende Lockdown-Maßnahmen ersetzen oder zumindest entschärfen. Obwohl die Franzosen mit Inzidenzen um 200 bei den registrierten Fallzahlen deutlich schlechter dastehen, kann sich die Bundesrepublik bei ihnen in Sachen Teststrategie durchaus eine Scheibe abschneiden. Das Nachbarland nutzt sie beispielsweise, um die Schulen trotz der hohen Zahlen offenzuhalten. "Überall gibt es öffentliche Testzentren und private Laboreinrichtungen, die den PCR-Test ohne lange Wartezeiten anbieten", berichtet die "FAZ". "Das Ergebnis liegt spätestens 48 Stunden später als E-Mail vor oder kann am Testort abgeholt werden. Die Kosten werden von der staatlichen Krankenversicherung getragen."

Dabei setzt Frankreich nicht nur auf PCR-Tests, sondern hat seine Kapazitäten massiv auch bei den Antigen-Schnelltests ausgebaut. "Lehrkräften, Eltern und Schülern stehen inzwischen flächendeckende Testmöglichkeiten zur Verfügung", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Beim geringsten Verdacht - der Hals kratzt, der Kopf schmerzt - kann man sich in den meisten Apotheken einem Antigen-Schnelltest unterziehen." Nach Auskunft von Gesundheitsminister Olivier Véran werden jeden Monat eine Million Kinder ab sechs Jahren und Lehrer getestet.

Rückstand bei Schnelltests

Was Schnelltests betrifft, ist Deutschland reichlich spät auf den Zug aufgesprungen, aber es kommt Bewegung in die Sache. Sie wurden erst am 15. Oktober in die nationale Teststrategie aufgenommen und blieben zunächst Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern vorbehalten. Doch obwohl sie eigentlich Standard sein sollten, kamen sie dort trotzdem nicht immer zuverlässig zum Einsatz. Ein Grund dafür war der Vorbehalt der Durchführung durch geschultes Personal. Dies wurde erst am 18. November geändert und erst seitdem dürfen Schnelltests direkt an Schulen, Kitas oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen abgegeben werden.

Seit dem 3. Februar sind jetzt auch Heim-Schnelltests erlaubt, allerdings müssen erst noch dafür zugelassene Produkte auf den Markt kommen. Da es neben der CE-Zertifizierung durch anerkannte Prüfstellen auch die Möglichkeit von Sonderzulassungen gibt, könnten aber bereits im Februar erste Heim-Schnelltests erhältlich sein.

Verstärkter Einsatz in Schulen und Kitas

Allgemein merkt man, dass sich die Erkenntnis allmählich durchsetzt, dass Schnelltests ein wichtiger Bestandteil der Pandemiebekämpfung sein können und wesentlich günstiger als die Folgekosten einschränkender Maßnahmen sind. Das gilt vor allem für Bildungseinrichtungen. Berlin plant bereits, 32 Millionen Euro in Heim-Schnelltests zu investieren. Schüler, Lehrer und andere Beschäftigte an den Einrichtungen sowie die Kita-Erzieher sollen auf diese Weise zweimal wöchentlich auf das Coronavirus getestet werden, teilte Bildungssenatorin Sandra Scheeres am Dienstag mit.

Auch Osnabrück ist ein gutes Vorbild, die Stadt will laut NDR spätestens am Montag ein Schnelltest-Zentrum eröffnen, in dem sich Menschen, die aufgrund ihrer Beschäftigung viele Kontakte haben, gratis schnelltesten lassen können. Angesichts der hochansteckenden Mutationen sei es wichtig, Infektionen frühzeitig zu erkennen, sagt die Leiterin des städtischen Corona-Krisenstabs.

Brandenburg hat angekündigt, bis Ende April regelmäßige Corona-Schnelltests der Beschäftigten in Kitas und Einrichtungen der Jugendhilfe zu ermöglichen. Mit regelmäßigen Antigen-Schnelltestungen könne einer ungehinderten Infektionsausbreitung effektiv entgegengewirkt werden, zitiert der RBB Bildungsministerin Britta Ernst. Zugleich könnten damit Ängste und Unsicherheiten bei den Beschäftigten abgebaut werden.

In Potsdam durften die Kitas am 1. Februar unter begleitendem Einsatz von modernen Spuck-Schnelltests wieder öffnen. Laut "Märkischer Allgemeinen" sind Erzieherinnen und Erzieher in Potsdamer Einrichtungen verpflichtet, regelmäßig ein negatives Testergebnis nachzuweisen. Kita-Beschäftigte in Bremen müssen jetzt wenigstens einen Schnelltest pro Woche machen, ein zweiter sei freiwillig, berichtet der "Weser-Kurier".

EU setzt auf koordinierten Schnelltest-Einsatz

Auch auf europäischer Ebene forciert und koordiniert man jetzt den Einsatz von Schnelltests. Die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich Ende Januar, einen gemeinsamen Rahmen für die Verwendung von Antigen-Schnelltests festzulegen. Dazu gehören laut Pressemitteilung die Validierung und gegenseitige Anerkennung von Antigen-Schnelltests sowie der Austausch eines standardisierten Datensatzes. Dies sei ein zentrales Instrument, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen.

Abschließend kann man festhalten, dass Deutschland derzeit offensichtlich zu wenig testet. Das ist in der aktuell kritischen Situation nachlässig und das Land lässt Chancen liegen, die Pandemie weniger schädlich für Gesellschaft und Wirtschaft einzudämmen, als es aktuell geschieht. Bei Schnelltests scheint es aber weit weniger Engpässe als bei den Impfungen zu geben, weshalb angesichts der jüngsten Entwicklung auf schnelle Besserung zu hoffen ist. Wenn dann noch die freien PCR-Kapazitäten eingesetzt werden, um positive Schnelltests zu überprüfen, ist Deutschland auf dem richtigen Weg.

Quelle: ntv.de


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