Ist das noch Mieterschutz oder schon Sozialismus?

  25 Februar 2021    Gelesen: 609
  Ist das noch Mieterschutz oder schon Sozialismus?

Die Hauptstadt stellt die Systemfrage: In Berlin startet die aussichtsreiche Unterschriftensammlung für einen Volksentscheid, der den Wohnungsmarkt im ganzen Land auf den Kopf stellen könnte. Große Wohnungsunternehmen wie der Konzern Deutsche Wohnen sollen enteignet werden.

Im Herbst können die Berlinerinnen und Berliner voraussichtlich darüber entscheiden, ob ihre Landesregierung einen Dax-Konzern zerschlagen soll. Der unter Deutschlands 30 wichtigsten Aktiengesellschaften rangierende Wohnungskonzern Deutsche Wohnen hält mehr als 100.000 seiner 165.700 Mietobjekte in der rot-rot-grün regierten Hauptstadt. Ein Bündnis von Mieteraktivisten will per Volksentscheid den Senat dazu zwingen, profitorientierte Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen zu enteignen. Die enteigneten Wohnungen sollen stattdessen vom Land dauerhaft günstig vermietet und so der Mietpreisspirale entzogen werden.

Diesen Freitag startet die Initiative "Deutsche Wohnen enteignen" eine viermonatige Unterschriftensammlung, damit das Anliegen zur Abstimmung kommt - zusammen mit der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl am 26. September. Dass sich die benötigten sieben Prozent der Wahlberechtigten - rund 175.000 Berliner - qua Unterschrift für die Abhaltung des Volksentscheids aussprechen, ist wahrscheinlich. Die Aktivisten sind gut organisiert und die linken Parteien in Berlin traditionell stark. Allein die Linke, die den Volksentscheid als einzige im Abgeordnetenhaus vertretene Partei vollumfänglich unterstützt, wurde 2016 mit 256.000 Stimmen zweitstärkste Kraft und regiert seither zusammen mit SPD und Grünen.

Die Deutsche Wohnen und neun weitere Unternehmen, die in Berlin zusammen 131.300 Wohnungen vermieten, müssen sich also ernsthaft mit der Möglichkeit beschäftigen, dass ihnen ihre Geschäftsgrundlage vom Wähler genommen wird. Und das zu nicht absehbaren Bedingungen, weil unklar ist, ob der Staat ihnen den Marktwert - den der Senat auf 36 Milliarden Euro schätzt - zahlen muss oder auch darunterbleiben darf. Die Mietaktivisten halten Letzteres für möglich und kalkulieren beispielhaft mit Rückkaufkosten über 8 Milliarden Euro, die über sehr niedrige Mieteinnahmen von 3,70 Euro pro Quadratmeter binnen 43 Jahren abbezahlt würden.

Das Schicksal des Flughafens Tegel

Wie realistisch Angaben über Kosten des erzwungenen Abkaufs sind, ist eine juristische Frage. Gutachter und Experten antworten darauf sehr unterschiedlich - je nachdem, ob sie von enthusiastischen Mieteraktivisten, dem skeptischen Senat oder der ablehnenden Immobilienbranche befragt wurden. Klar ist: Keines der Wohnungsunternehmen würde die Immobilien fürs erstbeste Angebot ans Land Berlin abtreten. Würde eine Mehrheit der Abstimmenden, die mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten ausmachen muss, am 26. September für die Enteignung stimmen, stünden einem nicht gänzlich überzeugten neuen Senat langwierige Rechtsstreits mit finanzstarken Firmen bevor.

Und selbst im Erfolgsfall würde die kommende Stadtregierung viel Zeit und Geld für ein Vorhaben aufwenden, an dessen Ende sie nicht eine zusätzliche Wohnung geschaffen hätte. Gut möglich also, dass sich das Schicksal des erfolgreichen Volksentscheids zum Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tegel wiederholt. Die Weiternutzung des BER-Vorgängers parallel zum neuen Flughafen hatte der Senat im Vorfeld abgelehnt und nach dem knappen Sieg der Volksentscheid-Initiative für nicht umsetzbar erklärt.

Umstrittenes Geschäft mit Mietern

Doch bis es so weit ist, müssen Gegner und Skeptiker des Volksentscheids erklären, warum es im Interesse der sozialen Marktwirtschaft sein soll, dass Mietwohnungen kleiner Leute als Spekulationsobjekt herhalten. Nach Senatsangaben sind die Berliner Wohnungen der Deutsche Wohnen im Durchschnitt 60 Quadratmeter groß. Der Konzern muss diese rentabel betreiben. Die systemischen Anreize, wenig in die Wohnqualität zu investieren und den Mietpreis unter Ausnutzung aller Möglichkeiten hochzutreiben, sind bei einem börsennotierten Vermieter größer als etwa bei privaten Vermietern mit einer oder wenigen Eigentumswohnungen - dem dominanten Vermietertyp in Deutschland.

Einem Unternehmen wie Deutsche Wohnen kommt zudem schon wegen seiner Größe eine andere Verantwortung und Aufmerksamkeit zu als dem schwäbischen Zahnarzt, der eine Dreizimmerwohnung in Berlin-Kreuzberg vermietet. Dem Unternehmen wurde in der Vergangenheit wiederholt vorgeworfen, systematisch notwendige Instandhaltungsmaßnahmen hinauszuzögern, um dann bei einer umfänglichen Modernisierung den ungleich größeren gesetzlichen Spielraum zur Anhebung der Miete auszunutzen. Zudem ist die Neuvermietung attraktiv - etwa, wenn langjährige Bestandsmieter mit ihren Altverträgen entnervt ausziehen.

Die Deutsche Wohnen eignet sich auch wegen derartiger Berichte glänzend zur Mobilisierung einer Stadtbevölkerung, die sich auch mit gutem Einkommen ihres Dachs über dem Kopf nicht mehr sicher sein kann. Deutsche Wohnen hat solche Praktiken zwar stets bestritten, aber eingeräumt, dass in der Vergangenheit im Einzelfall nicht immer alles richtig gelaufen sei. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren erkennbar in einen öffentlichen Imagewandel hin zu einem vorbildlichen Vermieter investiert. Doch Deutsche Wohnen steht nicht alleine da, auch der Konzern Vonovia, der in Berlin mehr als 40.000 Wohnungen hält, stand wiederholt wegen seines Umgangs mit Mietern in der Kritik.

Berlin kauft zurück

So sehr insbesondere die Berliner SPD die Zwangsenteignung auch ablehnt, so wenig falsch findet sie die grundsätzliche Strategie, wieder mehr Wohnungen in die öffentliche Hand zurückzuführen. Nachdem das durch die Landesbank-Pleite hoffnungslos verschuldete Berlin unter dem damaligen rot-roten Senat von Klaus Wowereit öffentliches Wohneigentum in rauen Mengen verscherbelt hatte, kauft der scheidende Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller Wohnungen zurück. Mehr als 10.000 waren es seit 2017. Die Verkäufer, darunter oft Deutsche Wohnen, stoßen ab, was ihnen nicht mehr lieb, aber teuer ist: Die Preise sind auf dem Höchststand und die Rückkaufabsichten des Senats allgemein bekannt.

Die Deutsche Wohnen bezeichnet derartige Verkäufe entsprechend als Portfoliooptimierungen. Wer heute Anfang der 2000er erworbene Immobilien abstößt, geht mit Gewinn raus, der umso höher ausfällt, je weniger in den Wohnungserhalt investiert worden ist. Die großen in Berlin tätigen Wohnungsgesellschaften haben 2020 sogar ganz offiziell angekündigt, weniger Geld in den Erhalt ihrer Immobilien stecken zu wollen, um trotz des Mietendeckels profitabel zu bleiben.

Die Bundestagswahl im Blick

Den Mietendeckel und das Rückkaufprogramm lehnen Berlins CDU und FDP gleichermaßen entschieden ab. Sie fordern stattdessen, vor allem mehr Wohnungen zu bauen, aber das zieht sich: Rund 20.000 neue Wohnungen braucht die wachsende Stadt nach Senatsangaben jedes Jahr, doch Baugrundstücke sind rar. Seit 2016 wurden 16 neue Stadtquartiere für immerhin 50.000 Wohnungen geplant, doch der Bau der meisten Wohnungen beginnt erst in den kommenden Jahren.

Sollte das Bundesverfassungsgericht bald auch noch den Mietendeckel kippen, stehen SPD und Grüne vor der Abgeordnetenhauswahl beim so wichtigen Politikfeld Wohnen mit fast leeren Händen da. Dass sie sich unter diesem Druck dem Volksentscheid anschließen könnten, ist aber nicht zu erwarten. Zwar sind Enteignungen auch im Straßen- oder Tagebau üblich, doch beim Volksentscheid "Deutsche Wohnen enteignen" warnen CDU und FDP vor kommunistischen Methoden. Diesen Schuh will sich vor der Bundestagswahl außer der Linken niemand anziehen lassen.

Quelle: ntv.de


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