Peter Vesterbacka ist eine Art finnischer Elon Musk. Seit seiner Jugend ist der heute 52-Jährige fasziniert von Startups. In den 90er-Jahren sucht und findet er Kontakt zu Bill Hewlett und Dave Packard, die in einer Garage in Palo Alto den Grundstein für das heutige Silicon Valley gelegt haben. Die US-amerikanischen Gründer von HP beeindrucken Vesterbacka so stark, dass er selbst etwas großes auf die Beine stellen will. Sein Durchbruch gelingt ihm bei Rovio, einem finnischen Spieleentwickler. 51 Spiele habe man auf den Markt gebracht, ohne den ganz großen Erfolg. "Das 52. Spiel war Angry Birds", sagt Vesterbacka im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Bis heute wurde die Videospiel-Reihe insgesamt 4,5 Milliarden Mal heruntergeladen.
Doch das reicht Vesterbacka nicht. 2016 verlässt er Rovio, um etwas noch viel Größeres auf die Beine zu stellen. Er agiert seitdem als Investor, ist ständig im Austausch mit jungen vielversprechenden Unternehmen, vernetzt diese miteinander. "Die Spitze des Eisbergs", wie er sein Hauptprojekt nennt, ist aber der Bau eines 100 Kilometer langen Eisenbahntunnels zwischen Helsinki und Tallinn. Bislang sind die Hauptstädte von Finnland und Estland nur per Fähre miteinander verbunden. Doch eine Fahrt dauert fast zwei Stunden. Zu viel, finden Vesterbacka und seine Kollegen aus der Startup-Community.
Fahrt mit der Fähre "nervt"
"Die Idee, einen Tunnel zu bauen, hatten wir während einer Startup-Veranstaltung in Finnland. 2016 war das. Nach dem ersten Konferenztag saßen wir abends mit finnischen und estnischen Freunden zusammen und haben darüber gesprochen, dass wir in der Startup-Welt sehr eng zusammenarbeiten. Aber es nervt, dass es zwei Stunden mit der Fähre dauert, um zwischen beiden Ländern hin- und herzureisen. Dann dachten wir uns, wir sollten einen Tunnel bauen", blickt Vesterbacka zurück.
An diesem Abend nimmt die Idee tatsächlich Fahrt auf. Denn jene Startup-Konferenz ist hochrangig besetzt. Vesterbacka nutzt die Chance und geht zum Tisch der damaligen Außenministerin von Estland, Marina Kaljurand. "Ich habe zu ihr gesagt: Hey, wir haben beschlossen, einen Tunnel von Helsinki nach Tallinn zu bauen." Die Politikerin habe daraufhin angefangen zu lachen. "Das war Motivation genug. Wenn die Leute lachen, musst du dafür sorgen, dass sie damit aufhören."
Das Tunnelprojekt nennen Vesterbacka und seine Mitstreiter "Finest Bay Area", dann gründen sie eine gleichnamige Planungsgesellschaft. Und "Finest" ist mehr als nur ein Wortspiel aus Finnland und Estland. Der Unternehmer und Investor sieht viel Potenzial in der Großregion Helsinki-Tallinn, die schon seit vielen Jahren so sehr miteinander verwoben ist, dass sie oft als "Talsinki" bezeichnet ist. "Es gab zur Zeit des Kalten Kriegs keine Zusammenarbeit, aber seit Estlands Unabhängigkeit im Jahr 1991 hat sich das geändert. Seitdem ist der Pendlerverkehr in der Region Jahr für Jahr angestiegen, im Jahr 2019 hatten die Fähren über zehn Millionen Passagiere", ergänzt Kustaa Valtonen, der als Projektmanager für die Planungsgesellschaft arbeitet.
Das Interesse am Tunnel ist aber auch deshalb so hoch, weil in beiden Städten die Startup-Branche boomt. Da ist das "Höher-schneller-weiter-Denken" besonders ausgeprägt. Vesterbacka hat daran einen großen Anteil, weil er 2008 das sogenannte "Slush"-Event ins Leben gerufen hat und es in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten Tech-Konferenzen Europas gemacht hat.
Fünf "Unicorns" aus Estland
"Deshalb haben wir mittlerweile eines der lebendigsten Startup-Ökosysteme der Welt in dieser Region", sagt Vesterbacka und belegt die Einschätzung mit Zahlen: Fünf "Unicorns" - junge Unternehmen, die mehr als eine Milliarde Euro wert sind - wurden von Esten gegründet. Neben Skype gehören das Mobilitäts-Startup Bolt, der Geldtransfer-Service Transferwise sowie die Software-Firmen Playtech und Pipedrive zum illustren Kreis.
Aus China kommen etwa 200 Unicorns, allerdings leben fast 1,4 Milliarden Menschen im Reich der Mitte, Estland hat gerade mal 1,3 Millionen Einwohner. "In Estland braucht es 300.000 Menschen für ein Unicorn, in China sind es sieben Millionen", rechnet Vesterbacka vor.
Der ehemalige Spieleentwickler ist überzeugt, dass ein Tunnel die Metropolregion noch stärker vernetzt und attraktiver macht. "Talsiniki" hat seiner Einschätzung nach das Potenzial, ein "europäisches Silicon Valley" zu werden. "Die Region ist eine riesige Unicorn-Fabrik. Es geht jetzt darum, die Talentdichte weiter zu erhöhen. Wenn wir Helsinki und Tallinn zusammenbringen, ist das ein Ballungsgebiet mit mehr als zwei Millionen Menschen. Und wenn man eine hohe Talentdichte hat, entwickeln sich automatisch viele Unicorns. Das brauchen wir in Europa. Gerade im Bereich der Technologie müssen wir viel besser werden."
Eine Heimat sollen die Technologie-Köpfe der Zukunft auf einer aufgeschütteten Insel finden. Diese soll aus dem Schutt, den die Tunnelbohrmaschinen aus dem Erdreich holen, vor Helsinki entstehen und Platz für Arbeit und Heimat von 50.000 Menschen bieten.
Das Geld für das gigantische Projekt soll aus China fließen. Eine chinesische Finanzholding stellt 15 Milliarden Euro bereit. Doch genau das sehen viele kritisch. Sie fürchten sich vor Pekings Einfluss und fürchten, der Tunnel könnte Teil der Neuen Seidenstraße werden.
Noch hat Vesterbacka aber ohnehin keine Baugenehmigung, es fehlen Unterlagen, unter anderem zur Umweltverträglichkeit des Projekts. Trotzdem halten er und sein Team an einem sehr ambitionierten Ziel fest: Schon 2024 soll der Tunnel fertig sein. "Wir werden 16 Tunnelbohrmaschinen nutzen. So können wir den Tunnel innerhalb von zwei Jahren fertig bauen. Und dann müssen wir noch Bahnhöfe bauen, Schienen verlegen und so weiter", berichtet Vesterbacka und ist sich bewusst, dass es "knapp wird". Man arbeite bereits seit fünf Jahren an dem Projekt, hadert der 52-Jährige. "Es gibt eine Menge Arbeit im Hintergrund, viele Treffen mit mächtigen Leuten, die ganze Lobbyarbeit." Um den ambitionierten Zeitplan einzuhalten, müsse es "Ende dieses Jahres oder spätestens Anfang nächsten Jahres losgehen".
"Metro-Verbindung" zwischen Helsinki und Tallinn
Machbar ist vieles, aber würde auch ein Tunnel auch seinen Nutzen erfüllen? Die Idee, die beiden Hauptstädte mit Röhren unter der Ostsee zu verbinden, gibt es jedenfalls schon länger. "Die Leute hier reden seit hundert Jahren darüber. Es gibt diesen Traum schon lange, weil diese beiden Hauptstädte so nah nebeneinander liegen. Mit einem Tunnel hätten wir eine Art Metro-Verbindung zwischen den beiden Städten", sagt Valtonen.
Auch die Politik beschäftigt sich mit dem Thema seit einigen Jahren intensiver. 2018 wurde das Ergebnis einer staatlich in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie veröffentlicht. Demnach lägen die Kosten ohne Fremdfinanzierung über dem wirtschaftlichen Nutzen, das Projekt könne man nur mit einer Finanzspritze der Europäischen Union realisieren, hieß es damals. Es sei denn, nicht der Staat übernimmt das Projekt, sondern Vesterbacka. Er hat das chinesische Geld im Rücken.
Eine EU-Finanzierung ist wiederum nicht ausgeschlossen, da der Tunnel an die sogenannte "Rail Baltica" andocken könnte. Das ist ein seit Jahren geplantes Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz zwischen Tallinn und Warschau mit Anschluss an Berlin. Die neuen Regierungschefinnen in Finnland und Estland können dem Projekt deutlich mehr abgewinnen als ihre Vorgänger. Dass der Tunnel aber 2024 schon fertig ist, erscheint unwahrscheinlich. Auch Vesterbacka hat offensichtlich Bedenken: "Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns." Grundsätzlich ist der "Angry-Birds-Entwickler aber optimistisch, dass der Tunnel gebaut wird: "Einige Leute haben bereits mit dem Lachen aufgehört und begriffen, dass wir das schaffen."
Quelle: ntv.de
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