Phantom I vs. VIII - luxuriöse Zeitgeschichte

  01 März 2021    Gelesen: 829
  Phantom I vs. VIII - luxuriöse Zeitgeschichte

Wenn zwei Automobile wie der Rolls-Royce Phantom I und der Phantom VIII nach fast 100 Jahre aufeinandertreffen, haben sie technisch nicht mehr viel gemeinsam. Und dennoch finden sich verblüffende Gemeinsamkeiten, die vor allem der alte Brite mit seinen Genen weitergegeben hat.

Vor fast 100 Jahren sah die automobile Welt noch anders aus. Was damals auf dem Kopfsteinpflaster der Metropolen herumfuhr, erinnerte mehr an motorisierte Kutschen als an Autos. Rolls-Royce, schon kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts mit den ersten Versuchsvehikeln unterwegs, konnte ab 1925 bereits mit einer technisch überwältigenden Luxuskarosse aufwarten, dem Phantom I. Dagegen wirkt der aktuelle Phantom der achten Generation fast konventionell.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ein Rolls-Royce Phantom ist kein gewöhnliches Auto. Eine 5,76 Meter lange Luxuslimousine, hinter deren gegenläufigen Portalen die Passagiere edle Hochflor-Teppiche erwartet. Türen, die per Handkraft geöffnet werden? Nein, funktioniert natürlich per Knopfdruck und Aktuator. Unter der Motorhaube flüstert ein 6,7 Liter großer Zwölfzylinder, hier darf er noch. Bei einem Auto der 500.000 Euro-Klasse und entsprechend geringen Stückzahlen schlägt die CO2-Keule nicht ganz so arg durch.

Nicht verausgabt

Bei der Motorleistung verausgabt sich Rolls-Royce nicht. Es reicht offenbar, den 2,6-Tonner mit 571 PS und 900 Newtonmetern Drehmoment per Achtgang-Automatik anzuschieben, da braucht es keine vierstelligen Werte. Die Zahlen sprechen denn auch für sich - nach 5,3 Sekunden steht die elegante, natürlich mechanische Tachonadel auf der 100. Und auch danach geht es druckvoll und mühelos weiter bis zur abgeregelten Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h. Einen Drehzahlmesser verkneift sich Rolls-Royce übrigens, stattdessen gibt es den typischen Powermeter. Das ist nicht etwa schon die Vorbereitung auf die - sicherlich auch bei den Briten anstehende - Elektromobilität, sondern bei Rolls-Royce Tradition seit der siebenten Generation. Vorher fehlte der Tourenzähler gänzlich.

Zumal der Zwölfender seine säuselnde Stimme ohnehin kaum hebt, völlig unabhängig vom Drehzahl-Level. Doch jetzt steht erstmal ein Fahrzeugwechsel an, der Phantom I aus dem Jahr 1927 will erkundet werden. Dessen ausladende Karosse nach "Coupé de Ville"-Manier mit viel Raum für die chauffierten Gäste und viel Luft für den im Freien sitzenden Fahrer ist der größere Blickfänger. Und auch wenn dieser noble Brite ein Chauffeurfahrzeug par exellence ist, der Autoenthusiasten will den betagten Wagen fahren.

Der tückische Opa

Die ersten Kilometer werden auf dem Beifahrersitz abgespult, was tückisch ist. Dieser frühe Phantom ist für seinen Besitzer nicht nur Schönwetter-Auto. Viele Zehntausend Kilometer hat er in den letzten Jahren damit zurückgelegt, darunter durchaus längere Reisen von mehreren 100 Kilometern am Stück. Entsprechend virtuos bewegt sich der kurz vor dem 95. Geburtstag stehende automobile Großvater, kommt bullig in Fahrt und fegt verhältnismäßig rasant durch das kurvige Geläuf des Bergischen Landes - mit sachkundiger Hand am Lenkrad kein Thema. Sieht alles ganz einfach aus, aber nach dem Fahrerwechsel zeigt sich schnell, dass der Rolls-Royce der Zwanziger selbst für gestandene Alles-Fahrer so manche Probleme bereithält, die bloß mit viel Ausdauer wegtrainiert werden können.

Das komplett unsynchronisierte Viergang-Getriebe spielt dabei die kleinste Rolle. Zwischengas sollte für oldtimeraffine Menschen ein Begriff sein, doch hier sind die Dinge komplexer. Weil die Schwungscheibe des Phantom über so viel Masse verfügt, muss man nach dem doppelten Kuppeln noch eine Zeit lang mit dem Einlegen des nächsten Ganges warten, sofern der Übersetzungswechsel ohne Knirschen über die Bühne gehen soll. Faustregel sind drei Sekunden, aber so genau kann man das nicht sagen.

Die Fahrleistung wird zur Nebensache

Nach 20 Minuten des Versuchens ist klar, warum Rolls-Royce in den Anfängen eigene Fahrschulen benötigte. Gut, das Hochschalten klappt jetzt einigermaßen geräuscharm - aber herunterschalten? Unmöglich ohne Geknirsche. Dass man die Drehzahl vor dem Einkuppeln denkbar niedrig halten soll, damit der Belag nicht abraucht, leuchtet ein und ist hinzubekommen. Das Einstellen von Lüftungsklappen und Nachjustieren der Zündung bleibt die Aufgabe des versierten Beifahrers. Genießen wir den Punch des 7,7 Liter großen Reihensechszylinders, der zum Glück keine ausufernden Touren braucht, um das etwa 1,5 Tonnen schwere Fahrgestell voranzutreiben. Doch Moment - inklusive Technik könnten es dann doch über zwei Tonnen sein.

Allerdings ist man zunächst genug damit beschäftigt, den Veteranen überhaupt auf Tempo und mit dem großen Lenkrad in der Bahn zu halten, da rücken Fahrleistungen in den Hintergrund. Schön aber, dass der Stoßstangenmotor elastisch genug ist, um im dritten Gang fast alle im Alltagsgebrauch benötigten Geschwindigkeiten abzudecken, und den Griff zum Schalthebel erspart. Der Phantom I kann nahezu 150 Sachen, aber das lassen wir heute mal sein. Dank Servobremsanlage kommt das mächtige Auto spielend einfach zum Stehen - für die 1920er-Jahre muss dieser Wagen unfassbar fortschrittlich gewirkt haben. Und schnell natürlich für eine Fahrzeuggattung, die nicht den Rennsportautos zuzurechnen ist.

Fahrspaß über de Zeiten

Anschließend geht es im modernen Phantom zurück, der freilich mit allen erdenklichen Assistenten ausgerüstet ist und so leise auf Luftfedern dahinschwebt, dass man von der Außenwelt nicht viel mitbekommt und die Gedanken schweifen lassen darf. Derweil fällt der Blick auf die edle Analoguhr sowie den aufwendig gearbeiteten metallenen "Phantom"-Schriftzug hinter dem Glas. Der Blick durch die Abdeckscheibe trifft auf gebürstetes Metall, das eine harmonische Einheit mit den Wurzelholz-Massen eingeht.

Man fragt sich, ob der Phantom VIII wirklich als reines Chauffeur-Auto gekauft wird. Wenn man sich an die Abmessungen gewöhnt hat, will man zumindest als Autofan doch lieber selbst ans Steuer dieses Ausnahme-Vehikels und es pilotieren. Wie wuchtig und ansatzlos der Riesenliner auf Gaspedalbefehl Fahrt aufnimmt und wie leichtfüßig 2,6 Tonnen um Kehren wieseln können, fasziniert.

Ob der Fahrgenus am Steuer oder das Beobachten des optionalen Sternen-(Dach)himmels bevorzugt wird, muss der Eigner letztlich selbst entscheiden. Angesichts des Grundpreises von knapp 441.000 Euro sollte das Budget einen Fahrer - zumindest als Teilzeitkraft - hergeben. Als wahre Schnäppchen dagegen entpuppen sich die Phantom der ersten Generation, die in den einschlägigen Fahrzeugbörsen für Kurse um die 130.000 Euro gehandelt werden. Und Fahrspaß bieten beide Varianten - wenn auch auf völlig unterschiedliche Arten.

Quelle: ntv.de, Patrick Broich, sp-x


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