Dass am 8. März 1971 etwas ganz Besonderes im New Yorker Madison Square Garden los sein würde, ist unübersehbar. Und das will schon was heißen in dieser immer hektischen Stadt, in der es täglich irgendwo immer irgendwelche Besonderheiten gibt. Die Limousinen rund um die berühmte Arena mitten in Manhattan reihen sich kilometerlang aneinander. Aus ihnen steigen Frauen in bunten, glitzernden Kleidern und Männer in feinen Anzügen.
Heute werden die großen Kämpfe in Las Vegas geboxt. In den Siebzigern ist der Madison Square Garden das Epizentrum der Box-Emotionen. So auch am 8. März 1971. Insgesamt 20455 Menschen pilgern in die Halle, um bei einem der sehnlichst erwarteten Sport-Events live dabei zu sein. Einem Boxduell, das als "Kampf des Jahrhunderts" in die Geschichte eingehen wird. Muhammad Ali fordert Titelverteidiger Joe Frazier heraus. Der WM-Gürtel im Schwergewicht gilt in jener Zeit als der größte und wichtigste Sport-Titel des Globus. Und erstmals stehen sich zwei noch unbesiegte Kämpfer gegenüber.
300 Millionen Menschen gucken weltweit zu
Das elektrisiert und fasziniert weltweit. Für den Kampf an jenem Montag unterbrechen Menschen ihren Tagesablauf - oder richten ihn sogar danach aus. 300 Millionen Menschen sitzen vor den TV-Geräten oder in Kinosälen. In Großbritannien schaut sich die Hälfte der Bevölkerung die Wiederholung an. Frazier gewinnt einstimmig. "In einer klassischen 15-Runden-Schlacht, brach Joe Frazier die Flügel eines Schmetterlings und zertrümmerte den Stachel der Biene", steht tags darauf in der "New York Times" in Anlehnung an Alis berühmte Aussage, er fliege im Ring wie ein Schmetterling und steche dann zu wie eine Biene.
Die Protagonisten des "Fight of the Century" sind bereits seit einigen Jahren tot. Frazier ist am 7. November 2011 im Alter von 67 Jahre gestorben, Ali, 74-jährig, am 3. Juni 2016 von seinem Parkinson-Leiden erlöst worden. Doch die Erinnerungen an eines ihrer großen Duelle ist auch ein halbes Jahrhundert später noch allgegenwärtig. Der TV-Sender "ABC" hat am Sonntagnachmittag den Kampf in voller Länge gezeigt, "ESPN" die Ausgabe am Abend wiederholt. Durch den Einsatz neuester Produktionstechniken sei es möglich geworden, aus Sequenzen der Original-Übertragung die Bildkörnung zu entfernen, Farben nachzubessern und Bilder zu schärfen, teilte ESPN mit.
Amerika ist in Aufruhr
Dass dieser Kampf im Vorfeld so gehypt und in der Nachbetrachtung immer noch so besonders ist, liegt nicht nur an Frazier und Ali, sondern auch an der damaligen Zeit. "Der Ring war das Handgelenk, an dem Amerika seinen Puls überprüfte", heißt es in der "Sports Illustrated". Das Land ist gespalten und in Aufruhr. Der Vietnamkrieg dauert mittlerweile sieben Jahre an, der Widerstand daheim wird immer größer. Zudem zeigt die Bürgerrechtsbewegung, wie groß die Gräben zwischen Weißen und Schwarzen sind. Das Paradebeispiel dafür ist Muhammad Ali.
Er gewinnt 1960 in Rom als Cassius Marcellus Clay Olympiagold und wird vier Jahre später durch einen Sieg gegen Sonny Liston erstmals Schwergewichts-Weltmeister. Doch er ist mehr als jemand, der nur mit den Fäusten austeilt. Kurz nach seinem WM-Triumph gegen Liston teilt er mit, dass er den Namen Cassius Clay ab sofort ablehne, da seine Familie ihn von einem Sklavenbesitzer bekommen habe. Von nun an heiße er Muhammad Ali, denn er sei zum Islam konvertiert
Ali verweigert Militärdienst und möglich Einsatz in Vietnam
Als Ali im April 1967 den Militärdienst verweigert und sich so einem möglichen Einsatz in Vietnam entzieht, werden ihm der WM-Titel aberkannt und die Box-Lizenz entzogen. "Wenn mein Kriegseinsatz in Vietnam irgendeinem der Millionen Schwarzen in Amerika helfen würde, würde ich gehen. Aber er wird ihnen nicht helfen. Deshalb würde ich lieber ins Gefängnis gehen", betont Ali und ergänzt: "Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong."
In Alis dreieinhalbjähriger Abstinenz klettert Frazier die Schwergewichts-Leiter Schritt für Schritt empor und gewinnt im Februar 1970 gegen Jimmy Ellis den Titel. Der Olympiasieger von 1964 ist das komplette Gegenteil zu Ali. Kein Lautsprecher, kein Showman. Dieser Joseph William Frazier ist einfach nur ein sehr guter Boxer. Einer, der keine Angst hat, der draufgeht, einen einzigartigen linken Haken schlägt und der einstecken kann. Und er ist einer, der sich aus allem Politischen konsequent heraushält.
Weiße adoptieren Frazier als ihren Vertreter der Schwarzen
Aufgrund dieser Passivität mögen ihn Weiße. "Viele von ihnen, die Ali nicht leiden konnten, adoptierten Frazier als ihren designierten Vertreter der Schwarzen", schreibt Sportjournalist Jerry Izenberg in seinem Buch "Once There Were Giants: The Golden Age of Heavyweight Boxing".
Ali greift Frazier öffentlich an, verspottet ihn als "zu dumm und zu hässlich, um Champion zu sein. Der Schwergewichts-Weltmeister sollte smart und hübsch sein, wie ich." Und dann setzt Ali zum Tiefschlag unter die Gürtellinie an, als er Frazier als "Uncle Tom" beleidigt. Diese Bezeichnung ist gleichbedeutend mit Verräter.
Für Ali gehört derlei Trommeln und Trash Talk zum Business. Frazier hingegen fragt sich, "was mit diesem Typen nicht stimmt"? Er ist es schließlich gewesen, der Ali geholfen hatte, seine Boxlizenz wiederzubekommen. Er hatte ihm Geld geliehen, als Ali finanzielle Probleme hatte. Und er ist in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen - und nicht etwa Ali.
Der Herausforderer kündigt an, den Titelverteidiger "in sechs Runden" zu besiegen. Doch Ali wirkt nur zu Beginn so leicht, locker und beweglich wie vor seiner Sperre. "Weißt du, dass ich Gott bin", brüllt er Frazier in der dritten und vierten Runde entgegen. "Gott, du bist heute am falschen Ort", reagiert Frazier völlig unbeeindruckt.
Ali taumelt zum Schluss nur noch
Er, der kleinere, leichtere und mit der kürzeren Reichweite, landet vor allem mit seinem linken Haken immer wieder Wirkungstreffer an Alis Kinn, das mit zunehmender Kampfdauer dicker wird. Und zu Beginn der 15. und letzten Runde schickt Frazier seinen Gegenüber mit eben einem solchen Haken auf die Bretter. Ringrichter Arthur Mercante fängt an, Ali anzuzählen. Als er bei vier ist, steht Ali wieder und hält sich einige Sekunden an den Ringseilen fest. Der Kampf wird fortgesetzt, doch Ali ist besiegt, am Ende seiner Kräfte, klammert fast nur noch und taumelt bis zum erlösenden Klang der Ringglocke.
"Muhammad Ali hat noch nie so viel Prügel bekommen", meint TV-Kommentator Don Dunphy. "Ich hab’ dir den Arsch versohlt", schreit Frazier Ali beim Schlussgong zu. Im 32. Fight muss Ali erstmals als Verlierer aus dem Ring. Sein Nimbus der Unbesiegbarkeit ist gebrochen. Ali verschwindet für rund 30 Minuten in seiner Kabine, wird anschließend in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht, um sein stark geschwollenes Kinn zu röntgen. Ergebnis: ein Zahn muss raus.
Frazier muss zwei Wochen lang immer wieder ins Krankenhaus
Frazier ist zwar der Sieger, sieht aber noch mitgenommener aus als Ali. Die Augen geschwollen, die Nase blutig. Das ist der Preis für den wichtigsten Sieg seiner Karriere. Der Titelverteidiger gewinnt auch seinen 27. Kampf - und verpasst nur knapp seinen 24. Ko-Sieg. Doch die nächsten zwei Wochen musst er immer wieder wegen Erschöpfung, hohem Blutdruck und Nieren-Problemen ins Krankenhaus.
Er habe immer gewusst, wer der Champion sei, meint Frazier nach dem Kampf. "Keine Sorge, wir kommen zurück. Wir sind noch nicht fertig", lässt Ali durch seinen Assistenztrainer die Medien wissen. Frazier hingegen hält einen Rückkampf für ausgeschlossen. "Ich glaube nicht, dass Clay darauf Lust hat."
Knapp drei Jahre später, am 28. Januar 1974, heißt es wieder Frazier gegen Ali. Wieder im Madison Square Garden. Diesmal gewinnt Ali. Allerdings geht es nicht um die Schwergewichtskrone, weshalb der "Super Fight II" als das unwichtigste der drei Frazier-Ali-Duelle gilt. Das dritte Aufeinandertreffen wird dann erneut zur Box- und Sportgeschichte. Ali siegt im "Thrilla in Manila" mit 2:1.
Quelle: ntv.de
Tags: