Von Stephan Albani, Norbert Altenkamp, Sybille Benning, Marc Biadacz, Carsten Brodesser, Ursula Groden-Kranich, Klaus-Dieter Gröhler, Astrid Grotelüschen, Thomas Heilmann, Frank Heinrich, Mark Helfrich, Heribert Hirte, Ronja Kemmer, Rüdiger Kruse, Jens Lehmann, Karin Maag, Astrid Mannes, Karsten Möring, Elisabeth Motschmann, Carsten Müller, Norbert Röttgen, Claudia Schmidt, Claudia Schmittke, Klaus-Peter Schulze, Hermann-Josef Tebroke, Peter Stein, Volker Ullrich, Peter Weiß, Kai Whittaker
Das Umweltbundesamt veröffentlicht heute die neuesten Zahlen zu CO2-Emissionen - ein guter Anlass, um die bisherigen Erfolge der deutschen Klima-Politik zu bilanzieren, die enormen Fortschritte und Perspektiven aufzuzeigen. Nach den bisherigen Plänen ist es unser Ziel, bis 2020 mindestens 40 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einzusparen. Bis 2030 sollen es 55 Prozent sein, bevor dann bis zum Jahr 2040 70 Prozent und bis zum Jahr 2050 mindestens 80 Prozent eingespart werden sollen. Darin sind noch nicht die möglichen neuen Ziele der EU im Rahmen des "European Green Deal" enthalten. Der sieht vor, bis 2050 klimaneutral zu sein. Wir wollen also als Unionsabgeordnete nicht nur langfristig eine schwarze Null, sondern auch eine grüne Null! Das hat die Union 2019 beschlossen und daran arbeiten wir weiter.
Unseren Klima-Zielen sind wir ein großes Stück näher gekommen, gerade beim Abbau von CO2 in der Industrie und im Energiesektor. Der europäische Emissionshandel wirkt, ja unsere Klimapolitik insgesamt beginnt zu greifen, auch beim Verkehr. Eindeutig nicht befriedigend sind die Zwischenergebnisse für den Bereich Wohnen. Bei aller berechtigten Freude ist klar, dass wir insgesamt mit dem bisherigen Tempo die höher ambitionierten Ziele der EU nicht werden erreichen können. Deshalb müssen wir jetzt weitere Schritte gehen. Wir sollten dabei nicht nur die isolierten Klimaziele verfolgen, sondern ganzheitlich und nachhaltig auch Energieeffizienz, Biodiversität und Umweltschutz einbeziehen.
Steigerung des CO2-Preises
Seit Anfang dieses Jahres gilt ein nationaler CO2 Emissionshandel für den Bereich Verkehr und Wärme. Die Tonne CO2 kostet 25 Euro. Der Vorteil des Emissionshandels liegt darin, dass wir die Menge an CO2, welche ausgestoßen werden darf, genau kontrollieren können. Das war ein wichtiger Schritt, aber der Preis - so sagen nicht nur Experten - ist zu niedrig, als dass er bereits kurzfristig eine ausreichende Lenkungswirkung entfalten würde. Mittel- und langfristig wird er das tun, denn wir bleiben ja nicht bei den 25 Euro pro Tonne stehen, sondern haben einen kontinuierlichen Anstieg beschlossen. Gleichzeitig verwässern wir diesen Emissionshandel durch Steuern und Subventionen. Mit sechs Steuern und Abgaben, von der Mineralölsteuer, über die Luftverkehrsabgabe, EEG-Umlage, Energiesteuer, Kfz-Steuer bis zur Stromsteuer, verteuern wir ungleichmäßig den CO2 Preis. Einige Subventionen hingegen reduzieren den CO2-Preis wieder, beispielsweise die Subventionen für Diesel und Kerosin.
In jedem Fall brauchen wir allerdings sowohl für den europäischen wie für den nationalen CO2-Preis dringend einen wirkungsvollen und gerechten Carbon-Leakage-Schutz, um die deutschen Unternehmen nicht im europäischen und internationalen Wettbewerb zu benachteiligen. Denn naturgemäß führt die Verlagerung von Produktionen auf andere Kontinente eher zu mehr CO2 Ausstoß, jedenfalls zu keiner Einsparung. Ausnahmeregelungen und Vergünstigungen müssen dabei an die Umsetzung von wirtschaftlichen Klimaschutzmaßnahmen geknüpft werden, um trotz diesen eine Lenkungswirkung zu entfalten.
Lenkungswirkung verbessern und Bürger entlasten
Vernünftig wäre es daher, wenn man die genannten Steuern und Abgaben sowie die Subventionen bis 2025 vollständig abschafft. Weil die wegbrechenden Steuereinnahmen größer sind als die eingesparten Subventionen, muss der Fehlbetrag über einen höheren CO2-Preis ausgeglichen werden. Daraus ergäbe sich aber ein dreifacher Vorteil. Erstens läge der nationale CO2-Preis dann näher am europäischen CO2-Preis für die Industrie und Strom, der ja bekanntermaßen nicht staatlich fixiert ist, sondern der sich marktwirtschaftlich durch die Ausgabe von Emissionsmengen bildet und im Preis daher schwankt. Zweitens würde sich die Lenkungswirkung aus einem vorhersehbar steigenden CO2-Preis bereits kurzfristig deutlich verbessern. Und drittens könnte der Staat langfristig die Bürger entlasten. Denn wenn die Steuern und Abgaben heute wegfallen, aber deren Einnahmen über den CO2-Preis wieder reingeholt werden sollen, dann ist klar, dass spätestens im Jahr 2050 diese Abgaben für den Bürger nicht mehr existieren, weil kein CO2 mehr ausgestoßen wird. Bei einem heutigen Volumen von 80 Milliarden Euro an Einnahmen könnte das die größte Abgabenentlastung seit Jahren werden, selbst wenn sie dann teilweise gegenfinanziert werden müsste. Ein kluger Umstieg ist dabei europäisch koordiniert und überfordert weder Einkommensschwache noch die Wirtschaft in ihrer Transformation. Bislang ist uns das gelungen: Wir haben erhebliche CO2-Einsparungen erzielen können und gleichzeitig während der Regierung Merkel einen langen Aufschwung mit sozialpolitischen Fortschritten kombinieren können. Diesen Weg müssen wir konsequent fortsetzen, damit wir die grüne Null in ganz Europa erreichen können.
Klima-Innovationen subventionieren
Dafür braucht es eine Innovationsoffensive, um mit neuen Technologien und attraktiven Geschäftsmodellen den Klima- und Umweltschutz zu fördern. Denn Investitionen in saubere, nachhaltige und effiziente Technologien sind gleichzeitig Beschleuniger für wirtschaftliche Entwicklungen, Arbeitsplätze und Nachhaltigkeit. Das umfasst auch sogenannte negative Emissionen. Das geht auf natürliche Weise - etwa durch Aufforstungen und Waldsanierung - und mit neuen Verfahren. Deutsche Unternehmen haben beispielsweise die Technologie entwickelt, CO2 aus der Luft zu saugen und entweder weiterzuverwenden oder einzulagern (Carbon Capture Storage / Utilisation). Das wird schon erfolgreich in Norwegen und Island betrieben. In Deutschland ist die Anwendung praktisch gesetzlich nicht möglich. Das muss sich ändern. Wenn wir den Luft-, Schwer- und auch Autoverkehr schnell dekarbonisieren wollen, brauchen wir neben der bereits bestehenden Elektrostrategie auch eFuels beziehungsweise synthetische Kraftstoffe. Wir wollen nicht nur Elektro-Antriebe, sondern müssen zusätzlich den Sprit im Tank klimafreundlich machen, um schnell genug im Verkehr CO2 zu reduzieren. Mit eFuels gelingt das, wenn man Wasserstoff in großen Mengen herstellen kann. Heute ist die Wasserstofftechnologie noch der "Champagner der Energiewende". Die Aufgabe liegt aber genau darin, aus Champagner Wasser zu machen. Dazu brauchen wir verstärkt Klimapartnerschaften mit anderen Ländern, die deutlich günstigere Standorte haben, um im großen Stil regenerative Energie zu produzieren. Dabei gilt weiter: Die nachhaltigste Energie ist die, die wir nicht verbrauchten. Auch erneuerbarer Strom und innovative Energieträger müssen effizient genutzt werden ("Efficiency First"), um die Kosten des Umbaus des Energiesystems so gering wie möglich zu halten. Investitionen von Unternehmen in die klimafreundlichsten Technologien sollten mit einer beschleunigten Abschreibungsmöglichkeit verbunden werden, die nach Auslaufen des Corona-Steuerhilfegesetz anknüpfen könnte.
Deutschland sollte solche Klimaallianzen möglichst schnell eingehen. All diese Innovationen erfordern auch Investitionen. Der aktuelle CO2-Preis ist aber oft noch zu niedrig, damit sich diese Investitionen rechnen. Daher wäre es sinnvoll, ein technologieoffenes "Contract for Carbon Difference"-System einzuführen. Kurzum bedeutet das, dass die Differenz zwischen dem aktuellen CO2-Preis und dem notwendigen - höher liegenden - CO2-Preis, ab dem sich die Investition lohnen würde, durch staatliche Subventionen gefüllt wird abhängig von der Menge an CO2, die dadurch eingespart wird. Das allerdings können wir aus Gründen des Beihilferechts und sollten wir wegen der Wettbewerbsgerechtigkeit nur europäisch koordiniert einführen. So entstünde ein System, in dem in jedem Bereich klimaschützende Investitionen gefördert werden können, egal um was es sich handelt. Ebenso müssen wir an die Land- und Forstwirtschaft ran. Zu lange haben wir diese Gruppen allein gelassen. Mit Transformationsbudgets könnten wir hier Planungssicherheit geben, wenn die Landwirte ihre Betriebe ökologisch verbessern und wir die Wälder aufforsten und klimaresistenter machen.
Mehr erlauben
Als weiteren Baustein brauchen wir auch eine neue Regulationskultur. Unser Ansatz ist aber, nicht mehr Regeln und mehr Verbote zu machen. Sondern clevere Regeln zu erstellen. Zum Beispiel beim Bauen: Unsere Bauvorschriften bestehen aus theoretisch zu erreichenden Anforderungswerten. Sinnvoller wäre es, Gebäude anhand tatsächlich im Betrieb nachgewiesener, das heißt gemessener Verbrauchswerte zu bewerten. Dabei kann die Digitalisierung zusätzliche Effizienzpotenziale heben. Das Baurecht müssen wir dringend überarbeiten, um Nachverdichtungen zu erleichtern und Flächenverbrauch zu verhindern. Der Einbau zusätzlicher erneuerbarer Energiequellen muss baurechtlich immer möglich sein. Die Vorgabe, dass ein Haus netto keine Energie verbrauchen darf, könnte mit einer Förderung, die an der Deckung individueller Wirtschaftlichkeitslücken ausgerichtet ist, verbunden werden. Auch im Steuerrecht gibt es Stolperfallen. Wer seinen Dienstwagen gegen eine BahnCard tauschen will, muss nachweisen, dass sein Arbeitgeber mindestens so viel Geld spart, wie die BahnCard gekostet hat. Dazu muss man vorher fiktive Berechnungen machen. Stellt sich hinterher aber raus, dass nicht so viel Geld eingespart wurde, liegt ein geldwerter Vorteil vor, den der Arbeitnehmer voll zu versteuern hat. Diese Unsicherheit verhindert, dass die Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen.
Die grüne Null ist kein Selbstzweck, sondern bewahrt uns vor einem exponentiellen Ansteigen der Erdtemperaturen und dessen humanitären und wirtschaftlichen Verwüstungen. Mit intelligenten Technologien und Systemen hingegen können wir mit einem europäischen Regelwerk unsere ökologischen und ökonomischen Interessen wahren und nachhaltiges Wachstum erzielen. Es gibt viel zu tun. Packen wir es an.
Quelle: ntv.de
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