Er ist der Chef der Hamburger Kampfmittelräumer, einer von zehn Männern, die in Hamburg immer dann gerufen werden, wenn ein Blindgänger gefunden worden ist und entschärft werden muss. Schon seit 1989 ist er im Auftrag der Stadt dafür zuständig, seit 27 Jahren muss er immer wieder das Herz der Bomben heraustrennen: den Zünder. Ein Herz, das gefährlich widerspenstig sein kann: "Auf die Spitze ist es getrieben, wenn Zünder eingebaut wurden, die sich gegen den Entschärfer richten" – versehen mit Ausbausperren.
Einen solchen Zünder besaß auch jene amerikanische Fliegerbombe, die jüngst Eppendorf lahmlegte. Wer ihn auch nur ein paar Grad aus seiner Fassung dreht, löst die Explosion aus, "fliegt in die Luft", sagt Bodes salopp. Bomben wie diese sind der Nachlass des Zweiten Weltkriegs: 107.000 Sprengbomben sollen insgesamt abgeworfen worden sein, "angeblich", sagt Bodes, man wisse es nicht genau, aber 2900 davon werden noch als Blindgänger vermutet. Auch 300.000 Vorläufer der Napalm-Bombe erreichten die Hansestadt, gefüllt mit Benzolkautschuk und weißen Phosphorstücken, auch von ihnen sollen noch diverse unter der Erde liegen.
Großes Wissen nötig, um zu überleben
Warum wurden viele Bomben zu Blindgängern? Weil man die Geologie Hamburgs falsch einschätzte, sagt Bodes, den Torfboden, die Wasserflächen. "Der Untergrund ist in vielen Teilen sehr, sehr weich. Da passiert einfach kein Aufschlag." Nach ihrem Parabelflug durchdrangen sie die oberen Schichten, prallten an der "ersten mächtigen Fließsandschicht ab und begann wieder zu steigen." Im Regelfall richtete sich die Bombe auf und blieb mit der Spitze nach oben stecken. "Was für uns gar nicht gut ist. In Eppendorf stand die Bombe praktisch auf dem Hintern." Bodes lacht. Aufschlagzünder lösten nicht aus, weil der Aufschlag fehlte. Die chemischen Langzeitzünder nicht, weil die Bomben falsch herum liegen blieben. Gefährlich sind sie dennoch. Weil der Sprengstoff mittlerweile zu Selbstentzündung neigt. Weil die Zeit an den Zündern nagt. "Gerade bei Langzeitzündern braucht man immer einen Funken Glück", sagt Bodes, "die richtige Technik und Glück." Man wisse ja nie, wie weit die Bombe bereits sei.
Und weil man das nicht wissen könne, müsse man dafür so vieles andere wie möglich in Erfahrung bringen. "Um zu überleben, muss man 500 Zündsysteme kennen." Wissen, das mit hohem Blutzoll erarbeitet worden sei, vor allem von den Entschärfern, die damals im Krieg arbeiteten. Deren Überlebensrate war gering. "Die bekamen ein Kehlkopfmikrofon und sprachen mit: Ich dreh nach rechts, ich dreh jetzt nach links, ich lös die Schraube, ich mach das, und dann hat`s geknallt. Bumm." Bodes stößt seine Faust in die Handfläche. "Nächste Bombe. Und wenn der arme Kerl zuvor gesagt hatte, ich dreh die Schraube rechts herum, dann hat der die natürlich nach links gedreht. Und später wieder: Bumm." 30 Feuerwerker mussten ihr Leben lassen, bis der amerikanische Langzeitzünder das erste Mal entschärft war. Die größten Blindgänger, die sie bislang entdeckten, die HC4000, taufte der Volksmund "Badeofen", wegen ihrer Größe und Form. Einer dieser "Badeofen" steht in der Lehrmittelsammlung, in einer Garage auf dem Hof in Harburg. Ein klobiger Klotz. "Von Bomben geht keine Faszination aus", sagt Bodes, "schöne Boote lösen deutlich mehr bei mir aus."
So dicht wie möglich heran an die Bombe
Doch so abgeklärt und schnoddrig Bodes teilweise auch spricht, er vergisst dabei nie, dass seine Arbeit ein waghalsiges Unterfangen ist. Denn er muss dicht heran an die tödliche Fracht. Er zeigt ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie nah sich Sprengmeister und Bombe kommen: Bodes hockt am Heck, dreht an einer Handfräse. Ein Kollege steht daneben, hat den Zünder mit einer Zange im Griff. Eine falsche Bewegung und alles fliegt in die Luft. Sie sind mitten im Extraktionsprozess. "Die Fräse stützen sie auf ihrem Bauch ab und dann raspeln sie das Messing, eine halbe Stunde lang. Messing ist grobkörnig und sie spüren jedes Körnchen hier in ihrer Magengegend", sagt Bodes, fasst sich an den Bauch, den das Hemd umspannt. "Dazu laborieren sie an einem Zünder, der berührungsempfindlich ist." Nicht schön. Das Schneiden hat mittlerweile eine Hochdruckwasserschneidanlage übernommen. Eine Eigenkonstruktion. Mit 2400 bar Druck dringt ein feiner Wasser-Sand-Strahl in die Bombe ein. "Schon in vier Minuten ist das Ding raus. Und man muss nicht daneben stehen", sagt Bodes, "man kann letztlich nur die Zeit minimieren, die man an der Bombe verbringt."
Das muss er auch. Denn: "Es ist immer volles Risiko", sagt Bodes: "Da ist ja kein Zettel dran: Ich zerplatze in drei Minuten."Blindgänger sind scharf, sie können explodieren, jederzeit. Und tun es auch. Knapp 90 Selbstdetonationen wurden seit Kriegsende gezählt. 2010 starben in Göttingen drei Kampfmittelexperten, als eine amerikanische Bombe eine Stunde vor der Entschärfung detonierte.
Diese Geschichten kennt Bode natürlich – er hat sogar das Gutachten zu dem Unfall in Göttingen erstellt. Aber er macht dennoch weiter. Warum? "In diesem Job ist das so: Sie denken, das passiert Ihnen nie, sondern immer den anderen", sagt Bodes. "Sonst könnten Sie das gar nicht machen. Sonst würden Sie nach den ersten drei Einsätzen wahrscheinlich in Ochsenzoll eingeliefert werden." Doch Bodes ist weit davon entfernt, in die Psychiatrie im Hamburger Norden zu kommen; er macht einen äußerst gefestigten psychischen Eindruck.
Ein eingespieltes Team von zehn Männern
Das liegt wohl auch daran, dass er nicht allein arbeitet, sondern mit einem eingespielten Team. Er und seine beiden Stellvertreter Burkhard Mantsch und Hermann Borelli, dazu sieben weitere Männer, Altersdurchschnitt 54 Jahre, sind ein eingespieltes Team, das sich blind versteht – und das auch einen ähnlichen Lebenslauf hinter sich hat. Alle drei waren Zeitsoldaten, bevor sie, nach dem Zusammenbruch der alten Feinde, in den Dienst der Stadt traten. Bodes verpflichtete sich als Minentaucher, Mantsch und Borelli als Feuerwerker – Munitionsfachmänner. Heute sind sie Sprengmeister. In ihrem Job gehe es aber nicht sehr nach der Rangfolge, in der man stehe, es gehe nicht um Hierarchie, denn: "Wenn an einer Einsatzstelle etwas nicht optimal ist, dann muss man das durchsetzen, auch gegen Widerstand von oben."
Es wird Zeit, noch einmal genauer über seine Rolle zu sprechen, die des tragischen Helden. Bodes widerspricht erwartungsgemäß: "Wir sind keine Helden. Egal was andere in uns oder unsere Arbeit hineininterpretieren." Doch wer sonst lege sich mit einer Bombe an? Bodes wird lauter: Was solle er denn sonst machen? "Ich komme ja gar nicht mehr raus aus dem Kram hier. Eine andere Chance hab ich doch nicht." Er, der kauzige Sprengmeister, wer wolle so einen schon? Er habe nur ein Ziel: "So schnell wie möglich in Rente gehen. So schnell abhauen, wie es geht." Er wäre gern Jurist geworden. "Hat nicht geklappt! Jetzt muss ich bis zum bitteren Ende Bomben entschärfen."
Bis zum bitteren Ende heißt: bis 67. Und das obwohl er und die beiden anderen bei Wind und Wetter in unwegsamen Gelände unterwegs seien. Und die Gefahrenzulage sei auch seit zehn Jahren nicht mehr angehoben worden. Fehlt ihm und den anderen Wertschätzung? "Tjo", sagt sein Kollege Borelli, macht eine kurze Pause. Dann fügt er hinzu: "Ich habe in meinen 30 Dienstjahren etliche Senatoren, Staatsräte, Amtsleiter kommen und gehen sehen. Schulterklopfen und Händedrucke sind schön, Dankschreiben auch. Aber bei Aldi kann ich damit nicht bezahlen." Sie sind auf sich gestellt, die Männer vom Kampfmittelräumdienst.
Quelle : welt.de
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