Wie sich die Wahrnehmung unterscheidet: Die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin bekommen heute das Bundesverdienstkreuz verliehen. In Deutschland werden die Ehepartner als "Impfhelden" gefeiert. Im Ausland jedoch geht der Ruhm dafür komplett an Pfizer - und das, obwohl Biontech den Hoffnungsträger entwickelt hat.
Welchen Anteil hat Pfizer am Erfolg? Einen großen - auch wenn der US-Pharmagigant erst im März vergangenen Jahres Entwicklungspartner für das Corona-Impfstoffprojekt wurde. Die Unternehmen haben das Vakzin gemeinsam auf den Markt gebracht - und sich die erheblichen Risiken geteilt.
Um die jeweilige Rolle der Partner zu verstehen, hilft der Blick zurück: Sahin und Türeci gründeten 2008 Biontech. Das Ziel der beiden Humanmediziner: den Kampf gegen Krebs zu revolutionieren. Spezialisiert ist ihr Unternehmen auf individualisierte, maßgeschneiderte Immuntherapien bei Krebspatienten - allerdings ist davon noch keine zugelassen. Ihr Ansatz basiert auf den genetischen Merkmalen des jeweiligen Tumors.
Biontech setzt auf "Next-Generation-Sequencing", eine Methode, die Milliarden genetischer Merkmale in der menschlichen Erbsubstanz sowie Veränderungen im Krebs erfassen kann - das ist etwas vollkommen Neues. Und dieses Wissen, vor allem die Expertise mit dem Botenmolekül mRNA, in dem die Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen steckt, half Biontech bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff. Dabei wird der genetische Bauplan für modifizierte Virus-Bestandteile in den Körper injiziert. Zellen nehmen diese Erbinformation auf und produzieren daraus harmlose Erregerteile, worauf das Immunsystem reagiert. Es speichert die Immunantwort ab, die später gegen eine echte Infektion schützt. Der Vorteil gegenüber traditionellen Impfstoffen besteht unter anderem darin, dass die Entwicklung schneller möglich ist.
"Sehr nützlich"
Ende Januar 2020 war Sahin in einer wissenschaftlichen Publikation auf das Corona-Virus aufmerksam geworden, wie er selbst gerne erzählt. Dabei ging es um den Ausbruch der Pandemie im chinesischen Wuhan. Daraufhin entschied der Onkologe, die Ressourcen auf die Suche nach einem Impfstoff zu konzentrieren, um schnell voranzukommen. Der Name des Projekts: "Lichtgeschwindigkeit".
Dieser Schritt wäre für ein kleines Unternehmen mit rund 1300 Mitarbeitern ohne einen großen Partner wie Pfizer nicht möglich gewesen. Die Amerikaner arbeiten seit 2018 mit Biontech zusammen. Ursprünglich war die Kooperation mit Blick auf Grippeimpfstoffe und Medikamente ins Leben gerufen worden. Pfizer habe wesentlich zur Finanzierung der Produktpalette beigetragen, sagt Thomas Schießle, Pharma-Analyst bei Equi.ts, im Gespräch mit ntv.de. "Das sind pro Jahr mehrere Dutzend Millionen Euro laufende Kosten - alleine für das Personal und das Labor."
"Wenn die großen Industriepartner quasi die Infrastruktur bezahlen, ist das für die kleineren Unternehmen sehr nützlich", so Schießle. "In der Regel wird die Weiterentwicklung eines erfolgversprechenden Produkts oder einer ganzen Produktpalette bezahlt. Davon kann das Partner-Unternehmen dann häufig nicht nur dieses Projekt, sondern indirekt auch andere Projekte - zumindest zum Teil - finanzieren."
Unter dem Eindruck der Pandemie und der weltweiten Suche nach einem Gegenmittel weiteten die beiden Unternehmen ihre Zusammenarbeit im März aus. Sie verbanden die Technologie von Biontech mit der Erfahrung und der finanziellen Schlagkraft von Pfizer. Die Gefahr zu scheitern, war trotzdem groß. Denn bisher war kein genbasierter Impfstoff für Menschen zugelassen worden.
Gewaltige Herausforderung
Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines Impfstoffs ohnehin aufwändig ist. Da viele Versuche scheitern, ist das finanzielle Risiko enorm. Normalerweise ist es ein langer Weg, bis die komplizierte Untersuchung des Erregers und langwierige Experimente zur Wirksamkeit des Impfstoffs abgeschlossen sind. Diesmal konnte der Weg aber abgekürzt werden. Denn bei Sars-CoV-2 war die genetische Sequenz früh bekannt - und dass das so genannte Spike-Protein der Schlüssel zur Bekämpfung des Virus ist. Hier setzte auch Biontech an.
Auch bei den klinischen Studien spielte Pfizer eine wichtige Rolle. Dabei wird in einer ersten Phase geprüft, ob der Impfstoff sicher ist. In den beiden folgenden Phasen soll herausgefunden werden, wie die richtige Dosierung aussieht und ob der Impfstoff schützt. Dafür wird der Kandidat mehreren Tausend Freiwilligen gespritzt, die gesund sind. Außerdem wird eine gleich große Kontrollgruppe gebildet, die keinen Impfstoff bekommt. Dieses Datensammeln ist nicht nur teuer, es erfordert auch ein Netzwerk - vor allem dann, wenn es wie beim Corona-Impfstoff besonders schnell gehen soll. Auch hier ist die vorhandene Organisation eines global agierenden Pharmakonzerns wichtig. Für die klinischen Studien griffen Biontech und Pfizer weltweit auf 60.000 Probanden zurück.
Hinzu kommen Kosten für das Prüf- und Zulassungsverfahren durch die zuständigen Behörden. Analyst Schießle zufolge lagen sie für Biontech und Pfizer im dreistelligen Millionenbereich. Die Hersteller gehen dabei eine erhebliche finanzielle Wette ein - denn es ist durchaus wahrscheinlich, dass selbst vielversprechende Projekte auf diesem Weg scheitern. Hinzu kommt: In der Regel wird bereits während der Prüfung mit der Produktion begonnen. Auch beim Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer war das der Fall. Das ist riskant. Denn wird das Vakzin nicht zugelassen, muss die bisherige Produktion vernichtet werden.
"Es ist unsere Technologie"
Große Konzerne steigen in der Regel am Ende der Entwicklung von Arzneimitteln oder Impfstoffen ein. Sie kümmern sich vor allem um die klinischen Studien, die Zulassung und die Produktion. Die riskante Forschung überlassen sie kleinen Firmen. "Die Stärken der jeweiligen Partner kommen zum Tragen", sagt Analyst Schießle. "Die einen sind innovativ und haben ein vielversprechendes Produkt in der Pipeline. Die anderen sind in der Lage, Studien zu organisieren und umfangreiche Prüfungs- und die Zulassungsprozeduren schnell und erfolgreich durchzuziehen."
Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch die bahnbrechende Technologie von Biontech auf staatlich finanzierter Forschung etwa in Universitäten basiert, wo die Grundlagen für neue Medikamente und Impfstoffe gelegt werden. Die Forscher arbeiten dann mit Unternehmen zusammen, um ein Produkt zu entwickeln - wie etwa die Universität Oxford mit Astrazeneca. Oder sie gründen ein Startup. Kleine Unternehmen haben aber weder das Geld noch das Know-how, um den Weg bis zur Zulassung alleine zu gehen. Dem "Guardian" zufolge hat Pfizer rund zwei Milliarden Dollar in die Impfstoff-Partnerschaft mit Biontech gesteckt.
Während im Ausland vor allem Pfizer wegen der internationalen Bekanntheit mit dem Corona-Impfstoff in Verbindung gebracht wird, bleibt Sahin gelassen. "Es ist unsere Technologie", sagte er dem "Spiegel". Außerdem profitieren beide Unternehmen vom Erfolg. Der Investment-Bank Morgan Stanley zufolge teilen sich Pfizer und Biontech die Einnahmen brüderlich, also 50:50.
Quelle: ntv.de, mit dpa
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