"Wenn ich meine Seele verkaufen muss, damit Putin verschwindet und in Russland politischer Wettbewerb entsteht, dann tue ich es", beginnt die Lesung ihres Buches "Anleitung für eine Revolution". "Verkaufe deine Seele nicht zu billig."
Tolokonnikowa ist so etwas wie die Staatsfeindin Nummer 1 in Wladimir Putins Russland. Immer wieder trotzte sie mit ihrer feministischen Band auf öffentlichen Plätzen der zunehmend autoritären Staatsmacht. Am 21. Februar 2012 stürmen die Frauen von Pussy Riot mit bunten Sturmhauben die Erlöser-Kathedrale in Moskau. Auf dem Altar vollführen sie ein "Punk-Gebet" und schmähen die orthodoxe Kirche, die in Russland längst eine unheilige Allianz mit der Staatsmacht eingegangen ist. 41 Sekunden dauert der Auftritt, wegen "Rowdytums" wird Tolokonnikowa zu zwei Jahren Haft verurteilt und ins Straflager IK 14 nach Mordwinien verschickt. Wie es dort aussieht, beschreibt Tolokonnikowa so: "Hohe Mauern, fünf Reihen Stacheldraht. Dahinter sitzen Hunderttausende Menschen, aber diese Menschen sind unsichtbar. Was immer mit diesen Menschen geschieht, man wird es als Unfall abtun."
Tolokonnikowa überlebt. "Man kann alles aushalten. Ich bin jetzt reicher an Erfahrung, dafür möchte ich Putin danken", sagt die 26-Jährige lächelnd, die Turnschuhe auf dem Tisch. Die russischen Gefängnisse seien wie ein Mikrokosmos Russlands, ihr Land verstehe sie jetzt viel besser.
Die einzige Spielregel ist die "Kugel in der Stirn"
Die Punkerin zeichnet ein trostloses Bild der russischen Gesellschaft. Die Wirtschaft ist korrupt, die Gewalt allgegenwärtig. Eine Gesellschaft, die fast keine Spielregeln kennt. Die einzige Spielregel sei die "Kugel in der Stirn" oder der "Beinbruch bei Ungehorsam", sagt die studierte Philosophin.
Tolokonnikowa ist und bleibt ungehorsam. Vor Gericht erkennt sie ihre Schuld nicht an, im Gefängnis und im Arbeitslager tritt sie in den Hungerstreik. Nach der Haft gründet sie mit ihrer Pussy-Riot-Mitstreiterin Marija Aljochina die Nichtregierungsorganisation "Zone des Rechts" gegen die unmenschlichen Haftbedingungen in Russland. Und jetzt also die "Anleitung für eine Revolution", die allerdings nur auf Deutsch erscheint. Wenn das Buch in Russland veröffentlicht werden sollte, müsse sie es wohl selbst auf ihrem Drucker ausdrucken, sagt sie.
Zur Revolution hat Tolokonnikowa ein ganz persönliches Verhältnis. Sie ist am Tag der Oktoberrevolution, am 7. November, geboren, das ganze Land feierte mit ihr ihren Geburtstag. Dass Putin diesen Feiertag abschaffte, nimmt sie ihm persönlich übel. Dennoch, so der Eindruck an diesem Abend, kann der Präsident ihr nicht viel anhaben. Sie weiß um ihre Stärke und erklärt: "Ja, auch ich habe einen Schwanz, und der ist größer als Putins."
Auch wenn sie jahrelang eine der berühmtesten Gefangenen Russlands war und sich politisch engagiert, bleibt sie ein Punk und eine Künstlerin. Zu viel Ernsthaftigkeit macht ihr Angst, das Leben nimmt sie lieber spielerisch. Auch der Titel ihres Buches ist ironisch, wie sie klarstellt. "Gewalt als Mittel habe ich immer abgelehnt." Nach ihrer Haft geht sie mit einer Gefängniswärterin trinken, mit den Polizisten, die sie in Gefangenentransporter zerren, empfindet sie Mitgefühl.
Ihre Aktionen sind friedlich - und erzürnen die Staatsmacht dadurch um so mehr. Etwa wenn sie nach der Haft auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau in Sträflingsuniform sitzt und eine russische Flagge näht, die sie dann auf der Polizeistation - wo sie natürlich landet - verschenkt.Tolokonnikowas Aufruf zum Protest ist auch ein Aufruf zum Leben - und damit für Putins Russland viel subversiver: "Rennt nicht weg! Verliebt euch!", erklärt sie denen, die ihr Land verlassen wollen. Und die Lesung in Berlin beendet sie mit dem Satz: "Ich glaube, es gibt keine Wende ohne ein Lächeln auf dem Gesicht." Sagt sie, lächelt und geht.
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