Es wurde lange gerätselt, wo denn die deutsche Antwort auf ein Tesla Model S bleibt. Porsche hat mit dem Taycan bereits den sportlichen Akzent gesetzt, Mercedes zieht jetzt mit dem EQS, der rein elektrischen S-Klasse nach, um ein weiteres deutliches Zeichen in Richtung Luxus, Reichweite, Digitalisierung und Komfort zu setzen. Weitere vier Modelle auf der EQS-Plattform sollen in Kürze folgen. "Unsere neue Plattform für E-Fahrzeuge, auf der auch der EQS als erstes Fahrzeug aufsetzt, ist nur der Anfang. Die Frage, ob der EQS die Antwort auf Teslas Model S ist, wäre hier allerdings ein Blick zurück. Mercedes blickt nach vorn. Insofern sind wir sicher, dass der Zeitpunkt für den Start jetzt der richtige ist", erklärt Daimler-Vorstand Markus Schäfer noch vor der Weltpremiere des EQS.
Und so hat Mercedes heute das Tuch von seinem stromernden Luxusliner gezogen und präsentiert ein sportliches und flaches Fahrzeug, das eher an ein Coupé als an eine Limousine erinnert. Im Widerspruch steht hier eigentlich nur die extrem kurze Motorhaube, die in eine weit nach vorne gezogene A-Säule zu fließen scheint. Optisch sehr weit von ihr entfernt ist die C-Säule, die über einen straff gespannten Bogen - die Designer sprechen hier vom sogenannten "One Bow" - ins Heck fließt. Eine besondere Wucht bekommt die Silhouette, wenn die Radhäuser mit 22-Zoll-Rädern gefüllt sind, wobei der Blick nicht von herausstehenden Türgriffen abgelenkt wird, denn die wurden flächenbündig im Blech versenkt. Kurz, die Seitenansicht ist ebenso sportlich, wie sich der EQS auf einer ersten Mitfahrt bewegt hat.
Hoher Wiedererkennungswert
Auch bei Front und Heck haben die Designer darauf geachtet, dass Dynamik und Eigenständigkeit zu einem hohen Wiedererkennungswert gepaart werden. So verbindet ein Leuchtband die Scheinwerfer oberhalb der tiefschwarzen Kühlerverkleidung. Am Heck verbindet ein LED-Leuchtband die als eine 3D-Helix gestalteten Rückleuchten unterhalb eines Heckspoiler mit scharfer Abrisskante, was nicht nur zum Wahrzeichen aller EQ-Modelle werden, sondern zudem die Sportlichkeit der E-Fahrzeuge aus dem Hause Benz beschreiben soll. Sportlich ist auch der Luftwiderstandswert des EQS, der mit 0,20 cW nicht zuletzt auch dem Design des Wagens geschuldet ist.
Doch was wäre ein EQS als Zeitzeichen einer neuen Mobilität und Erstling einer ganz neuen S-Klasse-Generation, wenn sie nicht vollgestopft wäre mit Innovationen, die es so im Autobau bei Mercedes noch nicht gegeben hat. Da wären zum Beispiel die automatischen Komforttüren. Während der Gentleman der alten Schule der Dame die Tür aufhielt, sorgen beim EQS auf Wunsch elektrisch angetriebene Portale selbständig für das Öffnen und Schließen. Da die Funktion mit dem Totwinkelwarner verbunden ist, wird der Ausstieg natürlich nur gewährt, wenn er gefahrlos vonstattengehen kann. Und da wir gerade bei der Sicherheit sind, verspricht Mercedes für den EQS natürlich auch eines der besten Sicherheitskonzepte, die es je für ein Auto gegeben hat.
Bis zu 770 Kilometer Reichweite
So sitzt die Batterie, deren größter nutzbarer Energiegehalt bei 107,8 kWh liegt und die eine Reichweite von bis zu 770 Kilometern am Stück ermöglichen soll, in einem geschützten Bereich des Unterbodens, der eingebettet in die Rohbaustruktur inklusive eines seitlichen Alu-Strangpressprofils bei einem Unfall geschützt wird. Hinzu kommt als Sicherheitsfeature für die Batterie ein mehrstufiges Sicherheitssystem, das kontinuierlich die Temperatur, die Spannung und die Isolation überwacht. Tritt ein Fehler auf, wird die Batterie sofort abgeschaltet. Dass es dazu nie kommt, dürfte sich jeder Fahre eines EQS wünschen. Vielmehr soll er sich an der Langlebigkeit seines Akkumulators erfreuen.
Dafür sorgt unter anderen ein Charging-Schonprogramm mit dem Kürzel ECO. Verschiedene Maßnahmen verringern hier die Batteriebelastung beim Laden und verlangsamen den natürlichen Alterungsprozess der Batterie. So wird beispielsweise die maximale Ladeleistung reduziert und unter Beachtung der voreingestellten Abfahrtszeit ein Ladelimit von 80 Prozent eingehalten. "Unsere Batteriegarantie beträgt zehn Jahre und deckt eine Laufleistung von 250.000 Kilometern ab. Das ist ein Rekordwert", erklärt Schäfer. "Der spricht für unsere Batteriechemie und natürlich die Software."
Intelligentes Laden auf ganzer Strecke
Das Ladesystem selbst sitzt über der Hinterachse des EQS und ermöglicht die Nutzung des öffentlichen Wechselstromnetzes ebenso wie das Schnellladen mit Gleichstrom an einer DC-Ladesäule mit einer Leistung von bis zu 200 kW an Bord. An einer solchen Säule wäre innerhalb von 15 Minuten Strom für weitere 300 Kilometer nachgeladen. Um die Lademöglichkeiten wirklich intelligent anzusteuern, hat Mercedes eine Navigation unter dem Namen "Electric Intelligence" entwickelt. Der Name soll hierbei natürlich Programm sein. Während der klassische Reichweitenrechner von der Vergangenheit lebt, soll die Navigation mit Electric Intelligence in die Zukunft blicken. Das heißt, es wird bereits im Vorfeld der Energiebedarf für die gesamte Route kalkuliert. Dabei werden sowohl Topografie, Streckenverlauf, Umgebungstemperatur, Geschwindigkeit, Heiz- und Kühlbedarf berücksichtigt als auch Faktoren wie die Verkehrssituation, verfügbare Ladestationen, ihre Ladeleistung und die Bezahlfunktionen mit einbezogen. Die Berechnung aller Daten findet in der Cloud statt und wird mit den Onboard-Daten kombiniert.
So muss der EQS-Fahrer nicht mehr bei jedem Ladestopp vollladen, sondern erhält für jede Ladestation eine konkrete Empfehlung der optimalen Ladezeit. Dabei werden die Stopps so eingeplant, wie es mit Blick auf die Gesamtreisezeit am günstigsten ist. Denn zwei kurze Ladepausen sind unter Umständen günstiger als eine lange. Natürlich werden die Ladeeinstellungen des Fahrzeugs durch "Electric Intelligence" automatisch angepasst und für das Schnellladen entlang der Route optimiert.
Erlebnis für alle Sinne
Nun kann und soll aber der Luxus eines EQS nicht nur im entspannten Stromtanken liegen, sondern vorzugsweise in der bequemsten Form des Reisens. Dazu mag zum einen das weiterentwickelte MBUX-System (Mercedes-Benz User Experience) gehören, das sich bildlich auf Wunsch über den auf diesen Seiten schon beschriebenen Hyperscreen darstellen oder aber auch nur durch den gelebten Luxus im Innenraum. Insofern soll eine Reise im EQS nach dem Willen von Mercedes ein "Erlebnis für alle Sinne" sein. Sehen, hören, riechen und fühlen soll man den Luxus in der elektrischen S-Klasse natürlich auch. Während die visuelle Wahrnehmung durch die Monitore und die klaren Linien des Innendesigns bestimmt wird, soll der auditive Eindruck durch eine ganzheitliche Soundinszenierung geprägt werden. Die soll dann auch, entwickelt von Experten auf ihrem Gebiet, den Paradigmenwechsel vom Verbrenner zum Elektroauto wahrnehmbar machen.
So sorgen ganz eigene Klangwelten für die Begrüßung und Verabschiedung der Fahrgäste und bestimmen auf Wunsch den Sound beim Fahren. Sounds mit den Namen Waldlichtung, Meeresrauschen und Sommerregen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Natur-Akustiker Gordon Hempton und sollen beruhigend auf die Fahrgäste wirken. Unterstützt wird jede auditive Stimmung durch ein entsprechendes Lichtspiel. Auch der Geruchssinn wird in die Entspannungswelt im EQS einbezogen. Ein spezieller HEPA-Aktivkohlefilter sorgt dafür, dass unangenehme Gerüche dem Innenraum fernbleiben und spezielle Düfte das reisende Publikum betören. Wer so entspannt in den Polstern liegt, hat dann vielleicht auch Zeit, sich haptisch am Innenleben des EQS zu erfreuen. Hier werden für die Polster Nubukleder und Hightech-Neopren kombiniert oder Zierteile aus offenporigem Echtholz oder in 3D-Reliefoptik angeboten. Auf Wunsch sorgen zehn unterschiedliche Massageprogramme für eine entspannte Sitz- und Rückenmuskulatur.
Power auch für den Umweltschutz?
Nun mag der aufmerksame Leser bemängeln, dass hier noch kein Wort über die technischen Daten des EQS verloren wurde. Das wird an dieser Stelle umgehend nachgeholt, denn natürlich muss der elektrische Luxusliner auch standesgemäß angetrieben werden. Zum Start wird es den EQS in zwei Leistungsstufen geben: als EQS 450+ und als EQS 580 4Matic. In beiden Fällen sorgt ein permanenterregter Synchronmotor mit 333 PS und 523 PS für den Vortrieb. Das maximale Drehmoment beträgt 568 respektive 855 Newtonmeter. Die Höchstgeschwindigkeit ist bei beiden Modellen auf 210 km/h begrenzt. Die Ladezeit an einem AC-Lader mit 22 kW wird für beide Leistungsstufen mit fünf Stunden angegeben, an der 11 kW-Dose dauert es doppelt so lange. Wer mit 200 kW an einer DC-Station andockt, kann in 31 Minuten die Fahrt mit einem vollen Akku fortsetzen. Den kombinierten Verbrauch gibt Mercedes nach WLTP kombiniert mit maximal 21,8 und minimal 15,7 kWh an. Und wen das Gesamtgewicht der Fahrzeuge interessiert, der bekommt es an dieser Stelle geliefert: es sind knapp 2,5 Tonnen.
Bliebe noch die Frage nach dem Preis. Die bleibt wie bei fast jeder Weltpremiere offen. Ein Schnäppchen dürfte der EQS aber wie die reguläre S-Klasse nicht werden. Damit ist auch nicht anzunehmen, dass für den Luxusstromer die Umweltförderung der Bundesregierung infrage kommt. Und dennoch dürfte der elektrische Daimler seine Kunden finden. Denn auch ein Porsche Taycan, der zwischen 83.500 und 153.000 Euro kostet, findet bei einer sportlich-ökologisch orientierten Klientel seine Käufer. Der Normalo wird sich, wenn er denn elektrisch unter dem Stern fahren will, momentan eher mit einem Mercedes EQA, EQC oder dem in Kürze folgenden EQB anfreunden müssen, denn die beiden sind von dem zu erwartenden Einstiegspreis von 100.000 Euro des EQS um einiges entfernt. Wer etwas mehr Zeit hat, wartet bis 2024, dann wird Mercedes seine ebenfalls auf einer Elektroplattform stehenden Kompaktstromer auf den Markt bringen.
Angesichts dieser Welle an neuen Elektroautos mit dem Stern muss auch die Frage nach dem Umweltschutz gestattet sein. Primär wird die Elektromobilität immer als Klimaretter propagiert. Aber was ist mit den für diesen Klimaschutz benötigten Ressourcen, die tief aus der Erde gegraben werden? "Auch das ist natürlich Teil der Nachhaltigkeitsstrategie von Mercedes", erklärt Schäfer. "Wie wollen für die Elektromobilität nicht tiefere Löcher graben, als es sie ohnehin schon gibt. Insofern haben wir bereits im Vorfeld Maßnahmen eingeleitet, die vor allem in der Verwendung regenerativen Materialien liegen und im zukünftigen Recycling. Zudem wird der Einsatz von seltenen Ressourcen und deren Verbrauch bei Fahrzeugen von Mercedes immer weiter verringert werden."
Quelle: ntv.de
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