Naturschutz statt Folter

  18 März 2016    Gelesen: 1059
Naturschutz statt Folter
Guantanamo ist ein Ort, wohin kaum jemand freiwillig geht. Ausgerechnet dort könnten sich US-Forscher einen Naturpark zur amerikanisch-kubanischen Annäherung vorstellen.
Das Gefängnis der Guantanamo Bay Naval Base auf Kuba ist bis heute ein rechtsfreier Raum: Immer wieder gibt es Geschichten von gefolterten Gefangenen, die ohne Prozess jahrelang auf der Insel festgehalten wurden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern immer wieder, das Gefängnis zu schließen.

Dasselbe will US-Präsident Barack Obama seit Antritt seiner Amtszeit – bisher scheiterten seine Vorschläge aber immer am US-Kongress. Kuba selbst beansprucht die rund 117 Quadratkilometer große Militärstation schon lange zurück. Guantanamo ist ein Ort voller Unrecht. Alles andere als idyllisch.

Doch genau das sehen einige Forscher anders: Dort, wo der Militärstützpunkt der US Navy steht, sehen sie den idealen Standpunkt für einen Nationalpark – ein Naturschutzgebiet und eine Forschungsstation. Ihre Ideen dazu erläuterten sie im Wissenschaftsmagazin Science. (Roman und Kraska, 2016)

Demnach seien die Umweltbedingungen in der Provinz Guantánamo dafür ideal. Die tropischen aber dennoch trockenen Wälder sind selten in Kuba. Auch die Sandstrände, Mangroven und Korallenriffe bilden wertvolle Lebensräume für bedrohte Meerestiere. "Seit Jahren laufen in Guantánamo Untersuchungen zur Spezifik des Ökosystems", sagt Umwelt- und Amerikahistoriker Christof Mauch von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Es gibt unzählige, zum Teil seltene Tiere wie Seekühe, kubanische Baumratten, Leguane und Boas, deren Schutz wichtig wäre." Auch gefährdete Meeresschildkröten leben an den Küsten (Chelonian Conservation and Biology: Santos et al., 2006).

Ebenso könnte die vielfältige Korallenlandschaft vor der Küste geschützt werden. So würden sich den Forschern zufolge auch einige überfischte Riff-Fische wieder erholen. "Gerade die Erhaltung der Wasserqualität und der Fischbestände sind für Kuba von Bedeutung", sagt auch Mauch.

Kann ein Nationalpark einen alten Konflikt lösen?

Die Verwaltung dieses Naturschutzgebiets könne die USA und Kuba ihren Streit um die Militärstation schlichten lassen, sagen Joe Roman und James Kraska, die den Artikel verfasst haben. Schon mehr als hundert Jahre sind die USA auf Kuba präsent: In den 1890er Jahren unterstützten sie Kuba zunächst beim Unabhängigkeitskampf gegen Spanien, besetzten die Insel dann nach Abzug der Spanier im Jahr 1898. Vier Jahre später versprachen die US-Amerikaner Kuba die Unabhängigkeit. Dafür wollten sie Guantánamo Bay mieten: als Marine-Stützpunkt. Unbefristet. Seit den 1960er Jahren versucht Kuba, den Küstenstreifen zurückzugewinnen. Erfolglos.

Nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 ließ der damalige US-Präsident George W. Bush auf dem US-Militärstützpunkt ein Lager für Terrorverdächtige und Gefangene aus dem Afghanistankrieg bauen. Weil das Gefängnis außerhalb der USA liegt, ist der Rechtsstatus der Gefangenen meist unklar. Die dort praktizierten Verhör- und Foltermethoden stießen international auf heftige Kritik. "Die USA treten gegenüber anderen Staaten für Demokratie und Menschenrechte ein und betreiben gleichzeitig ein Gefangenenlager, in dem die Menschenrechte ignoriert werden", sagte Selmin Çalışkan von Amnesty International zuletzt im Januar. Guantanamo sei das Sinnbild für staatliche Willkür im Namen der Terrorismusbekämpfung.

Sollte Obama es in seiner verbliebenen Amtszeit tatsächlich schaffen, das Gefängnis zu schließen, heißt das nicht, dass die US-Regierung den 117 Quadratkilometer großen Stützpunkt in nächster Zeit an Kuba zurückgeben würde. Der Konflikt wäre noch lange nicht überwunden. "Aus meiner Sicht wäre die Einrichtung eines Naturschutzgebiets eine nahezu optimale Zwischenlösung", sagt Amerika-Historiker Mauch. In der Diplomatiegeschichte habe Natur immer wieder eine wichtige Rolle gespielt: "Die Kirschbäume auf der Mall in Washington oder Parks, die von den US-Amerikanern und Briten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eingerichtet wurden, sind Beispiele dafür."

Es hat schon einmal funktioniert

Dass ein gemeinsames Projekt dieser Art zwischen Kuba und den USA prinzipiell möglich ist, hat sich in der Vergangenheit gezeigt: Im November 2015 vereinbarten die beiden Länder, sich gemeinsam um den Guanahacabibes Nationalpark auf Kuba zu kümmern. Und auch US-Militärstationen wurden bereits zu Forschungsstandorten: so zum Beispiel Fort Clayton in Panama. Nachdem die USA sie verlassen hatten, wurden Teile der Basis zur Ciudad del Saber, der Stadt des Wissens. "Solche internationalen Parks sind ein Zeichen dafür, dass Menschen sich respektieren können, auch wenn es vorher Konflikte gab", schreiben die Autoren des Science-Artikels.

Zudem soll sich das Projekt auch für das sich öffnende Kuba lohnen: Finanzielle Unterstützung, neueste Anlagen für die Forschungsarbeit und die Möglichkeit, kubanische Wissenschaftler und Studenten auszubilden, sollen Anreize sein. Vor ihrem geistigen Auge sehen die Wissenschaftler schon Forschungslabore, Videokonferenzräume und sogar Kunst-, Musik- und Designstudios. Durch die vier von den USA dort bereits errichteten Windkraftanlagen wäre so eine Forschungseinrichtung sogar in der Lage, sich selbst mit Strom zu versorgen.

Das Unrecht nicht vergessen

Das klingt alles ziemlich blumig, doch die Vergangenheit und Gegenwart der Provinz Guantànamo ist das nicht. Deshalb soll auch an das Unrecht erinnert werden. Das Guantanamo Public Memory Project beispielsweise versucht bereits, ein Bewusstsein für die Geschichte dieser Gegend zu schaffen. Von der ersten Unterdrückung der Kubaner in der Kolonialzeit bis hin zu dem Unrecht im Militärgefängnis. Bisher beschränken sich die Aktivitäten allerdings auf das Internet.

"Dass man eines Tages auch der Opfer gedenkt, die unschuldig in Guantanamo festgehalten wurden, oder die Folterungen und brutalen Haftbedingungen in den Blick nimmt, ist nicht auszuschließen", sagt Mauch. Er glaubt aber nicht, dass sich das in absehbarer Zeit durchsetzen lasse: Jedes Denkmal würde ein nationales Interesse der USA zum Ausdruck bringen. Über die Aussage einer solchen Gedenkstätte ließe sich laut Mauch in der derzeitigen politisch polarisierten Situation keine Einigkeit erzielen. "Die Einrichtung eines Naturschutzgebiets wäre eine neutrale Geste, käme Kuba zugute und wäre Ausdruck dessen, dass Natur keine politischen Grenzen kennt."

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