Tor: Marc-André ter Stegen (24 Länderspiele): Der 29-Jährige wäre klar gesetzt gewesen im EM-Kader. Und zwar als klare Nummer zwei hinter Manuel Neuer. Das ist für den Keeper des FC Barcelona seit Jahren das bittere Schicksal. Seine Weltklasse wird halt knapp hinter der Weltklasse des Kapitäns eingestuft. Alle Rufe, alle Klagen nach mehr Chancen im Kampf um den einen Stammplatz im Tor, sie verhallen ohne nachhaltige Verbesserung seiner Situation. Nun fehlt er in diesem Sommer komplett. Eine Knie-Operation ist dringend angesagt. Seine Karriere beim DFB, sie ist, nun ja, beinahe schon tragisch.
Linker Verteidiger: Nico Schulz (12 Länderspiele, zwei Tore): Der Dortmunder, das betonte Löw an diesem Mittwoch bei der Nominierung noch einmal, war in den vergangenen Jahren die große Umbruch-Hoffnung für die linke Abwehrseite. Er nährte sie mit einem sensationellen Auftritt am 24. März 2019 bei der 2:3-Pleite gegen die Niederlande. Ein Tor schoss er, ein anderes bereitete er vor. Im Duell war der mittlerweile 28-Jährige stets energisch, im Drang nach vorne extrem dynamisch. Doch dann wechselte der ehemalige Gladbacher und damalige Hoffenheimer im Sommer zum BVB und kam dort völlig außer Tritt und nur noch selten auf regelmäßige Spielzeit. Und ohne diese, so sagte der Bundestrainer, mache eine Nominierung nun eben wenig Sinn.
Innenverteidiger: Jérôme Boateng (76 Länderspiele, ein Tor): Mats Hummels ist zurück im Team. Ebenso Thomas Müller. Nur Boateng fehlt. Aber warum eigentlich? Gute Argumente für eine Rückkehr hatte doch auch er gesammelt. Ganz besonders in der vergangenen Saison, als er mit den Münchnern das Triple holte. Aber auch in dieser Spielzeit bot er reihenweise gute Leistungen an, um sich zu empfehlen. Unter anderem im Viertelfinale der Champions League. Dort schied der FC Bayern zwar bitter gegen Paris St. Germain aus, doch wie Boateng vor allem gegen Neymar verteidigte, das war, Karl Rummenigge würde sagen, "à la bonne heure." Nun, also warum ist er nicht dabei? "Wir haben uns über Jérôme Gedanken gemacht. [...] Wir haben aber viele Spieler, die in der Abwehr gute Leistungen gezeigt haben. Wir haben andere Spieler und daher haben wir uns entschieden, nur Hummels zu nominieren. Das schmälert unsere Meinung von ihm aber nicht, er ist eine großartige Persönlichkeit und ein großartiger Spieler."
Innenverteidiger: Jonathan Tah (13 Länderspiele): Warum der Hüne von Bayer Leverkusen nicht dabei ist? Nun, die Antwort ist vermutlich ziemlich simpel. Sie lautet: Hummels, Antonio Rüdiger, Matthias Ginter und Robin Koch sind entweder höher veranlagt oder besser in Form. Zudem hat Tah in seinen bisherigen Spielen für den DFB selten den Eindruck vermittelt, dass er der Mann sein kann, auf den es entscheidenden Phasen ankommt. Weil er mit 25 Jahren noch jung ist und sich zuletzt stabilisiert hat, kann seine Zeit noch kommen.
Rechter Verteidiger: Ridle Baku (ein Länderspiel): Die Nicht-Nominierung des 23-Jährigen ist womöglich eine der größten Überraschungen von Löw. Klar, der Wolfsburger hat erst ein Länderspiel absolviert (gegen Tschechien im November 2020 und das war auch noch ziemlich gut), aber er spielt beim Tabellenvierten der Bundesliga eine phänomenale Saison. Erledigt seine Arbeit in der Defensive mindestens sehr solide, ist mit seinen Sprints, mit seinen Toren (sechs) und Vorlagen (acht) eine echte Attraktion im Spiel des VfL. Und selbst wenn Löw gegen die großen Gegner bei der EM, gegen Frankreich, gegen Portugal, mit Lukas Klostermann die "Nummer-sicher"-Variante lieber wählen würde, ein Joker wie Baku, das wäre ein Pfund gewesen. Einer wie David Odonkor 2006. Einfach mal laufen und flanken...
Zentrales Mittelfeld: Maximilian Arnold (ein Länderspiel): Wieder ein Wolfsburger. Und auch er ist nicht dabei. Für ihn gilt das Gleiche wie für seinen Klubkollegen: Er spielt eine herausragende Saison und hätte seinen Platz im DFB-Team absolut verdient. Der 26-Jährige ist nicht nur ein sehr kluger Spieler, sondern auch ein echter Sechser, der im Mittelfeld viele Räume verdichten kann. Der Zweikämpfe führt. Ein Mann, der immer helfen kann, wenn es mal eng wird. Sein Problem: Im zentralen Mittelfeld muss er sich gegen Toni Kroos, gegen İlkay Gündoğan, gegen Joshua Kimmich und Leon Goretzka durchsetzen. Alles absolute Top-Kräfte. Und dann ist da noch der Gladbacher Florian Neuhaus. Tja, es ist schon bitter. So bleibt es bei bisher 13 Minuten im DFB-Trikot, gespielt am 13. Mai 2014 beim 0:0 gegen Polen.
Zentrales Mittelfeld: Mo Dahoud (zwei Länderspiele): Seit Borussia Dortmund in der Rückrunde richtig in Form gekommen ist, ist auch der 25-Jährige richtig in Form gekommen. Unter Trainer Edin Terzic erlebt er seine beste Zeit beim BVB, die bereits am 1. Juli 2017 begann. Mit seinen technischen und strategischen Fähigkeiten wäre er natürlich auch ein potenzieller Mann fürs Aufgebot gewesen. Aber sein Problem ist eben auch die maximale Dichte an Luxus im zentralen Mittelfeld. Aber womöglich geht noch was? "Mo Dahoud hat eine super Entwicklung genommen und hat ja auch bei der U21 gute Leistungen gezeigt. Im Falle, dass etwas passiert, ist er eine gute Alternative", sagte Löw. Kurz dazu: Toni Kroos fällt derzeit wegen einer Corona-Infektion aus. Zumindest der Start in die Vorbereitung gilt als gefährdet.
Linkes Mittelfeld: Julian Draxler (56 Länderspiele, sieben Tore): Der Pariser ist das prominenteste Opfer der finalen Radikalität des Bundestrainers. Dass Löw der Bruch der ewigen Loyalität zum hochtalentierten Offensivspieler sehr schwergefallen ist, bekannte er am Mittwoch: "Julian Draxler ist ein Spieler, mit dem ich auch persönlich ein sehr gutes und enges Verhältnis habe." Schon 2014 war Draxler als ganz junger Profi beim WM-Triumph dabei. 2017 führte er als Kapitän eine junge deutsche Nationalmannschaft zum Confed-Cup-Sieg in Russland. "Er hat extrem gute Fähigkeiten", erklärte der Trainer nun nochmals. Aber: In den vergangenen zwei, drei Jahren habe er sein Potenzial bei Paris Saint-Germain einfach zu wenig gezeigt. Der 27-Jährige hatte zuletzt seinen Vertrag bei PSG bis 2024 verlängert. "Ich würde ihm wünschen, dass er dort auch eine andere Rolle findet, dauerhaft, dass er vielleicht auch in die Nationalmannschaft zurückkehrt."
Offensives Mittelfeld: Marco Reus (44 Länderspiele, 13 Tore): Was auch sonst? Wieder einmal ist es sein Körper, der dem Dortmunder Kapitän das Signal gibt, eine Pause zu machen. Wieder einmal ist es der Körper, der den 31-Jährigen vor einem großen Turnier mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ausbremst. Diesmal ist Reus indes nicht verletzt. Er ist ausgelaugt. Mental und körperlich. Die Spielzeit mit dem BVB war auf allen Ebenen anstrengend. Für Reus als Kapitän ganz besonders. Seine Saison wurde von Formschwächen begleitet und von Diskussionen, ob er ein Anführer ist. Wenn der BVB schwächelte, wurde er zum Protagonisten. Eine zermürbende Sache. Unseren ausführlichen Bericht zur tragisch verhinderten Heldengeschichte lesen Sie hier!
Rechtes Mittelfeld: Julian Brandt (35 Länderspiele, drei Tore): Klar, die rechte offensive Position ist nicht seine. Aber er könnte zumindest auch dort spielen. Wenn er denn nominiert worden wäre. Wurde er aber nicht. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen spielt er beim BVB nur sehr selten, kommt oft nur von der Bank. Da gilt das gleiche Argument wie bei Teamkollege Schulz: Ohne Spielzeit ergibt eine Berufung keinen Sinn. Zum anderen ist Löw in den vergangenen Jahren immer wieder an Brandt verzweifelt. Mit unglaublich viel Talent gesegnet, spielt der 25-Jährige oft so schludrig, dass er eine Gefahr für die eigene Mannschaft ist. Seine riskanten Zuspiele landen allzu oft beim Gegner, mit gelegentlich fatalen Folgen. Löw hatte den Kreativspieler zuletzt bereits angezählt: "Er hat so viel Können. An der Konstanz muss er arbeiten. Er ist ein bisschen schwankend in den Leistungen. Er muss die nächste Hürde überspringen. Wir müssen schauen, dass wir dran bleiben und er den nächsten Schritt macht." Der blieb und bleibt weiter aus.
Sturm: Lars Stindl (elf Länderspiele, vier Tore): Deutschland sucht einen Stürmer und findet ihn nicht bei Borussia Mönchengladbach. Das ist schon kurios. Denn in 41 Pflichtspielen in dieser Saison kommt er auf 16 Tore und 13 Vorlagen. Wenn das keine Bilanz ist, um sich gegen eine spärliche Konkurrenz einen Platz im Kader zu verdienen, nun ja. Stindl ist sicher nicht der Typ für schnelles, dynamisches Kombinationsspiel, aber er ist eben zuverlässig und hat immer was Besonderes im Fuß. Wir hätten an dieser Stelle übrigens auch Mario Götze nehmen können. Aber das wäre so eine romantische Nummer geworden. Der große WM-Held begleitet seinen Förderer auf dessen letzter Reise als deutscher Nationaltrainer. Eher was fürs Herz als für den Verstand.
Quelle: ntv.de
Tags: