Scheich Ahmad Mohammad al-Tayyeb ist der Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität. Weil diese Universität die älteste ist, in der islamische Theologie aus sunnitischer Sicht gelehrt wird, ist al-Tayyeb für viele Sunniten die höchste religiöse Autorität. Er vertritt damit eine Konfession, die im Westen so schlecht angesehen ist, wie wahrscheinlich keine andere Glaubensrichtung. Die Terroristen des Islamischen Staates sind Sunniten, die Terroristen von New York, London und Paris, und auch die Prediger, die westliche Jugendliche dazu bringen, in den Heiligen Krieg aufzubrechen.
Al-Tayyeb ist nach Deutschland gekommen, um eine Friedensbotschaft zu verkünden. Er spricht vor Bundestagsabgeordneten in Berlin, besucht den Saal des Westfälischen Friedens in Münster und dann eine Religionskonferenz an der dortigen Universität. Später trifft er in Rom Papst Franziskus.
"Warum gibt es so viele Kriege im Nahen Osten?"
Seine Auftritte sind angenehm offen. Al-Tayyeb wirkt nicht wie ein Professor, der anderen seine Lehre beibringen möchte. Er selbst habe keine Erklärung dafür, dass so viele Kriege im Nahen Osten stattfänden. Die Beseitigung von Diktaturen sei oft ein angeführter Grund gewesen, doch das erreiche man nicht, in dem man Häuser mit Frauen und Kindern anzünde. Auch die Religionen würden verantwortlich gemacht. Doch diese seien im Nahen Osten seit Jahrhunderten friedlich miteinander ausgekommen und eine Quelle von Reichtum und gesellschaftlichem Zusammenhalt gewesen. Warum brechen nun so viele Kriege im Nahen Osten aus? "Ich suche bis heute eine Antwort", so al-Tayyeb, "und finde sie nicht".
Ein Motiv, dass sich durch die Reden des Großimams zieht, ist ein Zitat des katholischen Theologen Hans Küng: "Kein Frieden zwischen den Nationen ohne Frieden zwischen den Religionen." Al-Tayyeb meint, dass ein besseres Verständnis zwischen Islam und Christentum zu einer Befriedung beitragen könnte.
"Der Islam ist eine unkomplizierte Religion"
Was er dazu anbietet, ist eine Sichtweise auf seine Religion, die man fast liberal nennen könnte, obwohl al-Tayyeb ein konservativer Denker ist. Unveränderlich an den islamischen Traditionen seien das Gebet, das Fasten und das Pilgertum. Diese drei gab es schon in der Frühzeit des Islam und es werde sie immer geben. Alles andere sei von der Zeit und der Gesellschaft abhängig: Kleidungsvorschriften, das Essen und politische Systeme. Dies habe der Koran offengelassen, und es könne deswegen immer neu den Gegebenheiten angepasst werden.
Die Lehre wirkt wie ein Gegenentwurf zu den vulgär-islamischen Auslegungen des Korans und der Sunna, wie sie von den Predigern des Islamischen Staates und auch von Salafisten in Europa vorgenommen wird. Extremisten versuchen, jede noch so kleine Frage aus diesen Werken heraus zu beantworten – und stellen damit ein Regelwerk auf, das den Alltag bis ins Kleinste festlegt.
Jedoch lehnt auch al-Tayyeb die Vorstellung ab, in Europa müsse sich so etwas wie ein "westlicher Islam" entwickeln. Der Islam sei eine einfache, unkomplizierte Religion. Sie könne, so wie sie ist, überall praktiziert werden. Auch eine "islamische Aufklärung" nach dem Vorbild der Aufklärung in Europa lehnt er ab. Denn diese Aufklärung habe den Einzelnen über die Religion gestellt. Dass Entwicklung auch ohne eine solche Aufklärung möglich sei, sehe man daran, wie unterschiedlich die heutigen muslimischen Gesellschaften und die frühislamische Gesellschaft sei.
Tragen Religionen zum Frieden bei?
Allerdings sind die Unterschiede zwischen europäischen und islamischen Werten aus al-Tayyebs Sicht auch nicht so groß, wie sie erscheinen mögen: In Europa gebe es Gesetze und Vorschriften, "die mit denen des Islam nach Geist und Buchstaben übereinstimmen", sagte er im Bundestag. Gemeint seien Menschenwürde, Gleichheit und Gerechtigkeit.
Begleitet wurde der Imam bei seiner Reise von dem katholischen Bischof Hans-Jochen Jaschke aus Hamburg. Den Vorwurf, der Islam seine eine kriegerische Religion, bezog Jaschke auch auf das Christentum. "Sind Religionen friedensfähig?", fragte er. Er neige zum "Ja". Doch die These, dass Religionen generell nicht zum Frieden beitrügen, sei verbreitet und man dürfe mit dieser Kritik nicht leichtfertig umgehen.
Einer der Gründe für al-Tayyeb, gerade Münster zu besuchen, ist, dass dort der Westfälische Frieden geschlossen wurde, der den Dreißigjährigen Krieg beendete. Jaschke erinnerte daran, dass auch dieser Krieg religiös begründet war: Es kämpften Protestanten gegen Katholiken. Der Friedensvertrag legte schließlich fest, dass beide Konfessionen gleichberechtigt sein sollten.
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