Nutzt Biden die Krise der Waffenlobby?

  23 Mai 2021    Gelesen: 610
Nutzt Biden die Krise der Waffenlobby?

Seit Jahrzehnten versuchen die Demokraten in den USA, die Waffengesetze zu verschärfen. Doch auch schlimmste Massaker oder Amokläufe an Schulen haben bislang nicht zu grundlegenden Änderungen geführt. Dreht sich nun der Wind, weil die Waffenlobby-Organisation NRA geschwächt ist wie nie?

"Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden." So lautet der Zweite Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten von Amerika. Er stammt aus dem Jahr 1791 und lässt Interpretationsspielraum zu. Ursprünglich bezog sich der Satz wohl nur auf Milizen, die Vorgänger der Nationalgarde. Die meisten Konservativen und vor allem die Waffenlobby leiten daraus aber ein individuelles Recht auf Waffenbesitz für jeden US-Bürger ab. Und sie haben den Obersten Gerichtshof an ihrer Seite. Der Supreme Court hatte zuletzt 2010 aus dem Verfassungszusatz ein individuelles Grundrecht auf Waffenbesitz abgeleitet.

Die Wurzeln der US-Waffengesetzgebung liegen in einer Zeit, "in der es darum ging, die eigene Sicherheit zu gewährleisten, weil der Staat diese Sicherheit nicht gewährleisten konnte", erklärt David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Der Politikwissenschaftler macht außerdem ein "historisch und kulturell bedingtes tiefes Misstrauen gegenüber Staat und Staatlichkeit" aus. Dieses mache sich in politischen Debatten in den USA immer wieder bemerkbar und werde insbesondere von den Konservativen häufig vorgebracht, auch in der Diskussion um Waffengesetze.

Biden kämpft für verschärfte Waffengesetze

In der besonders hitzig geführten Waffendebatte wissen die Konservativen vor allem die National Rifle Association an ihrer Seite. Die Waffenlobbyisten kämpfen seit vielen Jahrzehnten für den Erhalt des zweiten Verfassungszusatzes. Nach vier Jahren mit ihrem Verbündeten Donald Trump im Weißen Haus muss sich die NRA aktuell mit Joe Biden auseinandersetzen. Der 46. US-Präsident hat im April per Verordnung schärfere Waffenregeln erlassen. Und trotzdem wird die Demokratische Partei ihren Kampf für eine Verschärfung der Schusswaffengesetze in den Vereinigten Staaten auch diesmal kaum gewinnen können. Oder wird nun doch alles anders?

"Die NRA erlebt im Jahr 2021 nach 150 Jahren Existenz wohl ihre größte Krise. Und das wird sich sicherlich auch in ihrem Einfluss bemerkbar machen", ist Sirakov überzeugt. Der Bundesstaat New York hatte im August vorigen Jahres ein Verfahren gegen die NRA, ihren Geschäftsführer Wayne LaPierre und drei weitere hochrangige Vertreter eingeleitet. Das war das Resultat einer Schlammschlacht zwischen LaPierre und dem damaligen NRA-Direktor Oliver North, die sich gegenseitig schwere Vorwürfe gemacht hatten. Diese hat die demokratische Generalstaatsanwältin des Bundesstaats New York, Letitia James, dazu bewogen, Ermittlungen einzuleiten.

Die NRA hat in den USA gemeinnützigen Status und unterliegt deshalb besonderen Auflagen, was die Verwendung von Spenden oder die Rechnungslegung betrifft. Denen sind sie offenbar nur unzureichend nachgekommen. Den NRA-Bossen wird Veruntreuung von Spendengeldern und Mitgliedsbeiträgen vorgeworfen. Außerdem sollen sie Aufträge an Familienmitglieder und Freunde vergeben haben.

NRA will nach Texas umsiedeln

Die Waffenlobbyisten versuchten daraufhin, ganz besonders schlau zu sein. Im Januar dieses Jahres meldete die Organisation kurzerhand Insolvenz an und stellte einen Antrag auf Gläubigerschutz. Zudem kündigte sie ihren Umzug vom Gründungsort und Rechtssitz New York nach Texas an. New York sei ein "vergiftetes" und "korruptes politisches und regulatorisches Umfeld", teilte die NRA in einer Erklärung mit. Der Plan: die NRA in New York abwickeln und in Texas, einem deutlich ruhigeren Umfeld für Waffenlobbyisten, neu gründen.

Mit dem Manöver wollte die Organisation offenbar ihrer weiteren juristischen Verfolgung in New York entkommen. Geklappt hat das nicht. Nur ein paar Tage später entschied ein Richter in New York, dass die NRA trotz angemeldeter Insolvenz weiter in dem Bundesstaat juristisch verfolgt werden kann. Mitte dieses Monats folgte der nächste Rückschlag: Ein Gericht wies den Insolvenzantrag ab, weil man damit lediglich versuche, Ermittlungen wegen Veruntreuung im Bundesstaat New York zu entgehen, so die Begründung.

In einer in dieser Woche veröffentlichten Mitteilung kündigte NRA-Chef Wayne LaPierre an, weiter für den Erhalt des Zweiten Verfassungszusatzes zu kämpfen. "All unsere Arbeit geht weiter und bleibt so wichtig wie eh und je", schrieb LaPierre an die etwa fünf Millionen NRA-Mitglieder. Der Plan, nach Texas umzusiedeln, werde weiter verfolgt.

Trump ließ NRA überheblich werden

Trotzdem kann die Mitteilung nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die NRA in einer tiefen Krise befindet und stark geschwächt ist. Und das nicht erst seit die Justiz ermittelt, macht David Sirakov deutlich. Die NRA drohe an ihrer eigenen Überheblichkeit zu scheitern, so der Experte. "Paradoxerweise ist die NRA auch deshalb in schwierige Fahrwasser gekommen, weil Donald Trump 2016 gewonnen hat. Durch seinen Sieg und die Wahlerfolge der Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus hat sich bei vielen offensichtlich der Eindruck verstärkt, dass man gar nicht so viel Lobby-Power braucht, weil die aus NRA-Sicht richtigen Leute in Amt und Würden sind." Diese "Hybris" habe dazu geführt, dass "die finanzielle Ausstattung der NRA zwischen 2017 und 2019 fast ins Bodenlose, mindestens aber deutlich gesunken ist".

Die tiefe Krise kommt für die NRA zur Unzeit. Nach Ende der Trump-Ära weht im Weißen Haus unter Joe Biden ein anderer Wind, was die Waffengesetzgebung betrifft. Der demokratische Präsident hat bei der Vorstellung seiner Maßnahmen gegen Schusswaffengewalt im April erklärt, dies sei ein "Schandfleck auf dem Charakter unserer Nation". Sie habe sich in den Vereinigten Staaten zu einer Epidemie ausgebreitet.

Bidens Verordnungen beinhalten unter anderem strengere Regeln für sogenannte Geisterwaffen, die von Waffennutzern selber zusammengebaut werden müssen, und neue Vorgaben für aufgerüstete Pistolen. Außerdem rief der US-Präsident den Kongress zu weitergehenden Maßnahmen auf. Biden setzt sich für ein Verkaufsverbot für Sturmgewehre ein, außerdem sollen Nutzer vor dem Waffenkauf stärker durchleuchtet werden, damit Waffen nicht an die Falschen geraten.

Mehrheit für Änderungen nicht in Sicht

David Sirakov macht deutlich, weshalb Joe Biden Diskussionen über das Waffenrecht in den USA als "schwierig" bezeichnet. Die Demokraten waren beim Versuch, die Waffengesetze zu verschärfen, in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gescheitert. Änderungen, die über "Executive Orders" des Präsidenten hinausgehen, sind auch diesmal nicht zu erwarten. Trotz einer zerrissenen republikanischen Partei und einer stark geschwächten NRA.

Zwar gibt es in der amerikanischen Bevölkerung seit Jahren eine Mehrheit für schärfere Waffengesetze, wie Umfragen des Gallup-Instituts zeigen, doch diese können die Demokraten im Kongress nicht durchdrücken, weil die Republikaner blockieren. Um eine Debatte vor der Verabschiedung eines Gesetzes zu beenden, braucht es im Senat die Stimmen von mindestens 60 der 100 Senatoren. Weil Demokraten und Republikaner beide über jeweils 50 Sitze verfügen, ist eine solche Mehrheit weit entfernt, erklärt Politologe Sirakov: "Die Demokraten bräuchten auf jeden Fall die Stimmen von mindestens zehn Republikanern, um eine Debatte zu einem möglichen Waffenkontrollgesetz überhaupt zu beenden. Und das ist aus heutiger Sicht aussichtslos."

Quelle: ntv.de


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