Der Vorfall müsse eine internationale Untersuchung zur Folge haben, betonte Borrell. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nannte die Aktion eine Entführung. Am Abend wird der EU-Sondergipfel über mögliche Sanktionen beraten. Das Thema wurde kurzfristig auf die Tagesordnung genommen.
Belarus hatte gestern eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius mit einem Kampfjet abgefangen und zur Landung in Minsk gezwungen. Dort wurde dann der im Exil lebende belarussische Blogger und Regierungskritiker Roman Protasewitsch abgeführt, der sich unter den Passagieren befand. Auch seine Freundin wurde festgenommen, wie ihre Universität in Vilnius mitteilte.
Nach Angaben des irischen Außenministers Coveney sollen sich an Bord der Maschine auch Mitglieder des Geheimdienstes befunden haben. Neben Protasewitsch hätten fünf bis sechs weitere Personen das Flugzeug verlassen, erklärte er. Die anderen Passagiere konnten später nach Vilnius weiterfliegen.
Internationale Kritik – Polen spricht von „Staatsterrorismus“
Bundesaußenminister Maas sprach von einem gravierenden Eingriff in den zivilen Luftverkehr. Protasewitsch müsse freigelassen werden. Auch eine Reihe weiterer europäischer Regierungen reagierten empört. Der litauische Präsident Nauseda sprach von einer Bedrohung für den zivilen Luftverkehr, auf die die EU und die Nato reagieren müssten. Nato-Generalsekretär Stoltenberg forderte eine internationale Untersuchung. Das Verteidigungsbündnis bezeichnete die erzwungene Landung in Minsk als „ernsten und gefährlichen Vorfall“.
Auch die USA verurteilten das Handeln der belarussischen Führung. Außenminister Blinken schrieb auf Twitter, man berate mit den Verbündeten über das weitere Vorgehen. Einen Linienflug umzulenken, um einen Journalisten zu verhaften, sei eine dreiste und schockierende Tat.
Polens Ministerpräsident Morawiecki nannte das Vorgehen der Behörden in Belarus einen Akt des „Staatsterrorismus“. Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja verlangte Konsequenzen. Diese müssten bis hin zu einem Ausschluss des Landes aus der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation gehen, erklärte sie.
Die russische Nachrichtenagentur RIA meldete, das belarussische Verkehrsministerium habe eine Kommission zusammengestellt, die den Vorfall untersuchen solle. Ergebnisse sollten bald veröffentlicht werden. Das belarussische Außenministerium wies alle Vorwürfe als unbegründet zurück und warf westlichen Ländern vor, den Zwischenfall zu politisieren.
Flugzeug mit Kampfjet abgefangen
Die Passagiermaschine von Ryanair war auf dem Weg von Athen nach Vilnius in Litauen, als sie über Belarus von einem Militärflugzeug abgefangen wurde. Als Begründung war von einer Bombe an Bord die Rede. Wie ein Flughafensprecher mitteilte, handelte es sich aber um einen Fehlalarm.
Der Blogger Roman Protasewitsch wurde nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna nach der Landung festgenommen. Protasewitsch gehört zu den international zur Fahndung ausgeschriebenen Oppositionellen in Belarus. Sein Nachrichtenkanal auf dem Messaging-Dienst Telegram gehört zu den wichtigsten Informationsquellen der Opposition.
„Wir holen Euch sogar aus der Luft“
Auch der oppositionelle belarussische Nachrichtenkanal Nexta bestätigte die Festnahme seines Mitbegründers und früheren Redakteurs. Nexta-Gründer Stepan Putilo sagte in einem Interview: „Das war eine Spezialoperation, die allen Gegnern von Lukaschenko zeigen soll: Wir schrecken vor nichts zurück. Wir holen euch sogar aus der Luft. Und auch diejenigen, die im Ausland leben, sollen sich nicht sicher fühlen.“
Die Behörden in Belarus hatten Nexta als extremistisch eingestuft. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der mutmaßlich gefälschten Präsidentenwahl immer wieder zu Massenprotesten gegen den autokratisch regierenden Lukaschenko aufgerufen.
Das Außenministerium in Griechenland erklärte, Protasewitsch sei Teil einer Delegation gewesen, die in diesem Monat am internationalen Delphi-Forum teilgenommen habe. Das Delphi-Forum lädt jedes Jahr internationale Fachleute und Politiker zur Diskussion über politische und wirtschaftliche Themen ein. Zu Protasewitschs Festnahme hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums in Athen: „Wir sind der Ansicht, dass solche Praktiken, die aus einer anderen Zeit stammen und sich für keinen zivilisierten Staat gehören, nicht unbeantwortet bleiben dürfen.“
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