Isolation ist für Lukaschenko keine Drohung

  25 Mai 2021    Gelesen: 564
Isolation ist für Lukaschenko keine Drohung

Nach der beispiellosen Verhaftung des belarussischen Journalisten Roman Protassewitsch droht Belarus die internationale Isolation. Vom autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko ist diese eventuell sogar gewünscht. Der tatsächliche Gewinner hieße Wladimir Putin.

Der Sonntag ist zu einem erneuten Wendepunkt in den ohnehin schlechten Beziehungen zwischen Belarus und dem Westen geworden. Im Rahmen einer Aktion, die Litauens Präsident Gitanas Nauseda einen "Akt des Staatsterrorismus" nannte, wurden der belarussische Journalist Roman Protassewitsch seine Freundin Sofia Sapega auf dem Flughafen von Minsk verhaftet. Der 26-Jährige war Chefredakteur des wichtigsten oppositionellen Telegram-Kanals Nexta, das eine Schlüsselrolle bei Protesten gegen Alexander Lukaschenko spielt.

Um Protassewitsch festnehmen zu können, brachten die belarussischen Behörden ein Ryanair-Flugzeug, das auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius war, mit einer beispiellosen Inszenierung zur Landung. Sie behaupteten, die palästinensische Hamas habe damit gedroht haben, die Maschine in die Luft zu jagen, und erzwangen so eine Notlandung in Minsk - obwohl die Entfernung nach Minsk zum Zeitpunkt des Landebefehls größer war als die nach Vilnius. Zwischenzeitlich wurde die Ryan-Maschine sogar von einem Kampfflugzeug begleitet.

Protassewitsch drohen aktuell bis zu 15 Jahre Haft, unter Umständen sogar die Todesstrafe. Belarus und sein Präsident Alexander Lukaschenko werden dagegen von mehreren Stellen der Luftpiraterie beschuldigt. So beschrieb Ryanair-Chef Michael O'Leary die erzwungene Notlandung in Minsk als "eine mit Unterstützung des Staates durchgeführte Entführung". Das griechische Außenministerium sprach von "einem Akt der staatlichen Luftfahrtpiraterie" und verwies darauf, dass der Vorfall einen Bruch des Chicagoer Abkommens über die internationale Zivilfahrt darstellt. Russland sieht die Situation anders: Die Aktionen von Minsk seien dem Außenministerium in Moskau zufolge im Einklang mit internationalen Regeln gewesen.

Putin wird Lukaschenko nicht fallen lassen

Als Reaktion beschloss der EU-Gipfel am Montag, belarussische Fluggesellschaften mit einem Überflug- und Landeverbot in der EU zu belegen. Außerdem forderten die Staats- und Regierungschefs die europäischen Fluggesellschaften auf, Flüge nach Belarus zu streichen. Darüber hinaus will die EU die Sanktionen gegen Belarus verschärfen. Konkrete Maßnahmen werden noch geprüft. Brüssel plant, weitere Personen aus dem engen Kreis von Lukaschenko auf die Sanktionsliste zu nehmen - dort stehen aktuell etwa 80 Personen. Zum ersten Mal denkt Brüssel auch über Sanktionen gegen einzelne Wirtschaftsbereiche nach. Die EU ist nach Russland zweitgrößter Handelspartner von Belarus.

Ist Lukaschenko dieses Mal also zu weit gegangen, hat er sich selbst geschadet? Was auf den ersten Blick wie die irrationale Entscheidung eines blindwütigen Diktators wirkt, könnte zumindest Ansätze einer Strategie beinhalten. Nachdem die EU im vergangenen Jahr die Massenproteste gegen die Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl im August unterstützt hatte, beendete Lukaschenko seine sogenannte Multi-Vektor-Politik, mit der er lange versuchte, zwischen Moskau und Brüssel zu balancieren. Zwar bleiben auch die Beziehungen des Kremls mit dem dort als unzuverlässig geltenden belarussischen Staatschef kompliziert, weswegen Russland von Belarus unter anderem eine Verfassungsreform fordert. Aber klar ist auch, dass Wladimir Putin Lukaschenko keinesfalls fallen lassen will.

Lukaschenko reagiert nun entsprechend, er will von der Verschärfung der Konfrontation mit dem Westen innenpolitisch profitieren. Jedenfalls bieten aktuelle Flugverbote sowie die mögliche Verschärfung der EU-Sanktionen reichlich Stoff für die staatliche Propaganda - und auch Erklärungen für neue Einschränkungen der Menschenrechte und Meinungsfreiheit. So hat Lukaschenko quasi parallel zum Fall Protassewitsch ein Gesetz unterzeichnet, welches unter anderem die Live-Berichterstattung von nichtgenehmigten Demonstrationen verbietet und auch sonst den Journalistenalltag erschwert.

EU in der Zwickmühle

Und so ist es nicht auszuschließen, dass in der Präsidialverwaltung von Lukaschenko tatsächlich die Risiken der Verhaftung von Protassewitsch im Voraus eingeschätzt wurden. Für die EU ist die aktuelle Situation in jedem Fall eine Zwickmühle. Eine scharfe Antwort auf eine derart provokative Aktion ist nicht nur gefragt, sie muss schlicht her. Allerdings hat Brüssel kaum Einflusshebel auf Belarus. Dass die EU die Rhetorik gegenüber Lukaschenko, den man ohnehin nicht als legitimen Präsidenten von Belarus sieht, noch einmal verschärft, bringt wenig. Bei der Einschränkung des Luftverkehrs muss aufgepasst werden, dass Regime-Gegner in Belarus weiterhin die Möglichkeit haben, das Land zu verlassen, zumal Minsk die Ausreise über die Landgrenze im Dezember vorübergehend sperrte. Offiziell wurde die Corona-Pandemie damals als Grund genannt. Und großangelegte Wirtschaftssanktionen gegen Minsk würden Belarus noch stärker in die Hände Russlands legen, als dies ohnehin bereits der Fall ist.

Zwar wäre Lukaschenko in dieser Konstellation abhängiger von Putin denn je, und für die belarussische Bevölkerung sowie für die Wirtschaft könnte die aktuelle Ausgangslage katastrophale Folgen haben. Die vollständige internationale Isolation von Belarus gäbe Lukaschenko aber die Möglichkeit, in seinem Land das zu tun, was er will, ohne überhaupt auf Reaktionen des Westens achten zu müssen. In erster Linie bekäme er dadurch grünes Licht für das noch härtere Vorgehen gegen seine innenpolitischen Gegner.

Der große Gewinner hieße jedoch nicht Lukaschenko, sondern Putin, der bereits in seiner Jahresansprache große Akzente auf Belarus und auf einen angeblichen vom Westen vorbereiteten Putschversuch gelegt hatte. Einerseits hätte Moskau gute Karten, die angestrebte gegenseitige politische und wirtschaftliche Integration mit dem Nachbarland tatsächlich zu vertiefen. Andererseits schafft das quasi staatsterroristische Agieren Lukaschenkos ein neues Problem. Und im direkten Vernunftvergleich mit seinem Minsker Amtskollegen schneidet Putin auch aus Sicht des Westens viel besser ab.

Quelle: ntv.de


Tags:


Newsticker