Gespensterwälder erobern die US-Ostküste

  30 Mai 2021    Gelesen: 759
  Gespensterwälder erobern die US-Ostküste

In einem Nationalpark von North Carolina sind in den letzten 30 Jahren etwa 11 Prozent der Bäume verkümmert. Kaum noch Blätter, kaum noch Äste. Wie so viele andere an der US-Ostküste haben sie Bekanntschaft mit dem salzigen Atlantik gemacht. Was kann man tun?

An der Küste von North Carolina im Südosten der USA stehen "Hölzerne Gräber". Gräber, weil sie die Überbleibsel sind von dem, was dort einmal stand: große, gesunde Bäume. Jetzt sind nur noch grau und fahl. Die Stämme tragen wenig Äste und kaum noch Blätter. Sie haben sich falsch ernährt. "Man kann es sich so vorstellen, als würden wir Menschen eine Portion Salzwasser essen", erklärt Ökologe Constantin Zohner von der ETH Zürich das Problem im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Salzwasser entzieht dem Körper weiteres Wasser. Das ist ein Zellgift, das dazu führt, dass man stirbt."

Die toten Bäume in North Carolina sind eines der deutlichsten Signale für die Folgen des Klimawandels auf die globalen Ökosysteme. Denn sie stehen direkt an der Atlantikküste und saugen mit ihren Wurzeln durch den steigenden Meeresspiegel immer mehr Salzwasser auf, das sie anschließend langsam vergiftet. Im "Alligator River National Wildlife Refuge", einem Nationalpark, gab es früher wunderschöne grüne Wälder. In den letzten 30 Jahren sind allerdings 11 Prozent der Bäume verkümmert. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Forscher, die das Waldsterben in North Carolina untersucht und erstmals konkrete Daten dazu gesammelt haben.

Besonders düster ist ihr Fazit deshalb, weil das Problem nicht nur einen Bundesstaat, sondern die komplette US-Ostküste betrifft. Von Maine ganz im Norden an der Grenze zu Kanada bis Florida im Süden. Der steigende Atlantik vergiftet nach und nach riesige Waldflächen. Vor allem, weil Stürme die salzigen Fluten immer häufiger bis weit ins Landesinnere spülen. Normale Wälder kämen damit absolut nicht klar, sagt Ökologe Zohner: "Die Bäume sterben einfach ab."

Halb so hohe Lebenserwartung

Auch Nienhagen in Mecklenburg-Vorpommern kennt das Problem: Die grauen, astlosen Bäume des Gespensterwalds an der Steilküste der kleinen Gemeinde im Landkreis Rostock sind zwar bei Touristen beliebt, wirken aber ähnlich traurig wie ihre Artgenossen in den USA. Die kräftige Ostseebrise bläst die wenigen Nährstoffe, die es auf dem Boden gibt, weg. Stattdessen trinken Buchen bei jeder Überschwemmung das salzige Meerwasser und gehen langsam ein. Gesunde Buchen werden üblicherweise bis zu 300 Jahre alt. In Nienhagen ist ihre Lebenserwartung nur noch halb so hoch.

Ökologen sehen im Salzwasser-Tod eine weitere Ursache des weltweiten Waldsterbens, die bisher wenig oder gar nicht berücksichtigt wurde. Der Mensch zerstört Wälder, das ist bekannt. Auch Hurrikane oder Zyklone tragen ihren Teil dazu bei. Durch den Klimawandel immer häufiger.

Das gilt auch für Waldbrände: Steigt die Durchschnittstemperatur, trocknen Bäume, Sträucher und andere Pflanzen allmählich aus. Ein Funke reicht und alles steht in Flammen. In Regionen wie Australien und Kalifornien mittlerweile fast das ganze Jahr.

Natürliche Barrieren für sterbende Bäume?

Der Klimawandel sorgt noch für ein anderes Problem. Durch die hohen Temperaturen und Hitzewelle verdunstet immer mehr Wasser. Die Trockenperioden nehmen zu, die Pflanzen haben zu wenig zu trinken und sind anfällig für Krankheiten wie Pilzbefall. Vor 10.000 Jahren haben Wälder auf der Erde noch mehr als die Hälfte der Landoberfläche bedeckt, inzwischen nur noch gut ein Drittel. Und es wird jedes Jahr etwas weniger.

"In Zahlen ist es schwierig, das auszudrücken, weil wir nicht wissen, in welche Richtung es beim Klimawandel geht", antwortet Constantin Zohner auf die Frage, um wie viel sich die Waldbestände noch verringern könnten. "Aber es sind riesige und vor allem extrem wichtige Gebiete betroffen, wie zum Beispiel der Amazonas. Dort wird es vor allem in Randgebieten so sein, dass es viel zu heiß wird und die Waldbrandgefahr steigt."

Will man das Waldsterben verhindern, muss man den Klimawandel stoppen. Bis das gelingt, wenn überhaupt, werden allerdings noch viele Jahrzehnte vergehen. Bis dahin ist es für viele Wälder zu spät. Deshalb wird in North Carolina und anderen Küstenregionen mit sterbenden Bäumen überlegt, sie mit natürlichen Barrieren vor dem Atlantik zu schützen. Eine Art Deich aus Sand, Steinen und Pflanzen, die besser mit dem Salzwasser klarkommen.

Mangroven für die Küste

Ein radikalerer Ansatz sieht vor, an den betroffenen Küsten ganz neue Wälder anzupflanzen mit Bäumen, die salztoleranter sind. Nur wenige Ökologen halten diese Lösung für ideal, weil sie die Natur so erhalten wollen, wie sie ist. Grade im langfristigen Kampf gegen den Klimawandel aber ist jeder gesunde Wald ein gerne gesehener Mitstreiter.

Wie könnte so ein Wald aussehen? Ganz im Süden von Florida, wo Miami Beach auf die Sumpfgebiete der Everglades trifft, hat sich die Natur bestens auf den salzigen Atlantik eingestellt. Dort wachsen und gedeihen Mangrovenbäume, die problemlos in sauerstoffarmen Erdschichten wurzeln und sich ausreichend Nährstoffe sichern können - und im Kampf gegen den Klimawandel ein sehr nützliches Mittel wären, wie Constantin Zohner erklärt. "Das Erste, was ich scherzhaft gedacht habe, als ich die Studie gelesen habe, war: Vielleicht bekommen wir dadurch ein paar mehr Mangrovenwälder", erzählt der Ökologe im Podcast. "Die sind hervorragend für die Natur, weil sie sehr viel CO2 binden und die Küste gegen Wellen absichern."

Bayerischer Wald als Vorbild

Ein tropischer Mangrovenwald in Mecklenburg-Vorpommern? Vermutlich würde der nicht weniger Touristen anziehen als ein Gespensterwald. Aber vielleicht wäre es auch einfach das Beste, die Natur sich selbst zu überlassen. Gerade dann, wenn es so aussieht, als wäre es schon zu spät. Wie beim Bayerischen Wald. "Dort hat man gesagt: Wir greifen nicht mehr ein. Wir lassen der Natur freien Lauf", erzählt Zohner. "Jetzt sieht man, dass im Laufe der letzten zehn Jahre robuste Mischwälder entstanden sind, die viel besser mit Stressbedingungen klarkommen."

Im Bayerischen Wald war die Luft früher so schmutzig, der Boden so sauer und die Temperatur so hoch, dass viele Bäume krank wurden. Dann fiel der Borkenkäfer über ihn her. Das erste Mal vor 40 Jahren, anschließend im Abstand von wenigen Jahren immer wieder. Die sterbenden Bäume haben ihn angezogen, er hat sie getötet und damit den Weg für neue, gesunde Nachfahren bereitet. Auch die sind einen Besuch wert. Der ist dann allerdings schön, nicht mehr gruselig.

Quelle: ntv.de


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